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CHAOS INSIDE – AN602

~ 2020 (Mars Music Productions) – Stil: Progressive / Power Metal ~


Gute Musik weckt Gefühle und ruft individuelle Erinnerungen ab. Wie soll man das Unbeschreibliche beschreiben? Tut mir leid, ich muss heute weiter ausholen, wer keine Zeit hat: 10 Punkte. Klassiker. Kaufen. Lasst euch nichts anderes erzählen, wenn ihr’s nicht selbst gehört habt.

Gute Musik hält einen mitunter auch wach. Insomnia – I can’t get no sleep. In meiner Erinnerung ist dies nun das dritte Mal, dass eine kleine Nachtmusik mich zu einer unchristlichen Zeit (heute 4:14 Uhr) aus dem Bett fegt, um meine durch „Input Overflow“ zerbröckelnde Gedankenwelt schriftlich zu sortieren, während ich das Album noch zweimal am Stück höre. Haha, diesmal passt sogar der Name: CHAOS INSIDE…welcome to my world.

Letztes Jahr waren RAMMSTEIN, im Jahre 2003 SIDDHARTA dafür verantwortlich. Das Meisterwerk ´RH-´ der Slowenen betrachtete ich direkt damals als auch heute mit dem nötigen Abstand als Klassiker. Was ist für uns ein Klassiker? Ist es wirklich musikalische, bahnbrechende, wegweisende Kunst oder ist unser Blick auf diese prägenden Scheiben doch oft nur verklärtes Festhalten an der Vergangenheit, an der eigenen Jugend, an Zeiten, die unwiederbringlich vorbei sind? Wer mag im Thronsaal unserer Szene-Klassiker an den Stühlen von FATES WARNING, MERCYFUL FATE, DREAM THEATER, SLAYER, METALLICA, OMEN, MEKONG DELTA oder der ganzen Schar aus der zweiten oder dritten Reihe bzw. den Unendlichkeiten des Undergrounds kratzen?

Und können manche Acts mit unbestrittenem Klassikerzertifikat musikalisch überhaupt mithalten mit Göttern wie GENESIS, RUSH oder…oder…SAGA, deren Anfangstaten man durch die Bank mit Höchstwertung auszeichnen muss. Im Falle SAGA wären das inklusive Livedokument schonmal 7 bis einschließlich ´Behaviour´ – selbst über diese lasse ich nichts kommen, auch wenn das damals fast jeder anders sah.

Damit bin ich endlich beim Thema, sorry liebe Leser, danke für eure Geduld. Metal ist tot? An jeden, der das ohne spätere Reue wie, wann, warum gesagt hat oder nun aktuell wieder plakativ rausbrüllt: F.O.A.D. – schönes Leben noch. I have heard the Future of Metal…and it’s here, now and called CHAOS INSIDE. Was sich mit der 2017er EP ´Freedom.System.Future.Illusion.´ – deren fünf Songs nun in ihrem finalen Gewand auf AN602 enthalten sind – bereits angekündigt hat, konnte meine kühnsten Erwartungen locker übertreffen. Sagenhafte SAGA auf Metal plus mehr. Einzigartig halt. Fertig. 10 Punkte. So einfach ist das.

Ok, ihr und auch CHAOS INSIDE haben schon ein wenig mehr Erläuterungen dazu verdient. Diese Dreiercombo (wie RUSH, hihi) hat mit Petra (S.Grooves – aka Pez, auch ECLIPTICA) eine Bassgöttin, Stephan (L. Clark) an den Drums ist eine Maschine wie einst unser Jörg Michael und Sänger/Gitarrist Andrew (G. Fckyrslf aka Andy Gee aka Andreas Gammauf) ist ein ebensolcher Virtuose als auch der einzige Gitarrist, welcher – meiner gesamten Musikerfahrung nach – die typische, niemals erreichte Griffbrettflitzerei und Stilistik eines Ian Crichton (SAGA) mit der Heavyness unserer Metalguitargods der Jahrzehnte verschmilzt. Seine herausragende Stimme ist ebenso einzigartig, kraftvoll und markant wie die eines Michael Sadler (SAGA – uups I did it again) oder Nick Beggs (ehemals KAJAGOOGOO, heutzutage begehrter Studio-und Livemusiker…und wer jetzt lacht, zieht sich die Eselskappe auf, stellt sich in die Ecke, googelt und denkt über seinen intellektuellen Zugang zu Musik an sich nach).

In jedem einzelnen Song von CHAOS INSIDE findet sich neben ureigenem CHAOS INSIDE dermassen viele unterschiedliche, hochkarätige Parallelen – daher erspare ich mir die Aufzählung und Analyse einzelner Songs, sondern überlasse euch selbst diese Entdeckungsreise in heavy SAGA mit dem besten Gitarrensolo, das Ian Crichton nie gespielt hat, wunderbaren ASIA-Melodien der John Payne-Ära, der musikalische Ausnahmeklasse unserer SIEGES EVEN als auch VANDEN PLAS und Refrains, nach denen sich selbst die wiedererstarkten DREAM THEATER die Finger lecken würden. Andy brilliert neben der extraordinären Gitarrenarbeit gesanglich zwischen total entspannt über aggressiv bis hochemotional und das alles extrem packend und kraftvoll, während Stephan und Petra – die ihren Namen “Grooves” wahrhaft lebt – so ziemlich jeder Band dieses Planeten eine Lehrstunde in Sachen Power, Dynamik und natürlich…Groove erteilen. Diese Musik ergreift sofort, hat aber weitaus mehr Feinheiten zu bieten, die es zu entdecken gilt, als eine Schachtel Pralinen mit dreifachem Boden.

Ihr einzigartiger Stil lebt neben den Fähigkeiten der Musiker und dem ausgezeichneten Songwriting vom sinnvollen Einsatz sparsamer Elektronik, die zur handgemachten Power zusätzlich songdienlichen Drive reinbringt, akzentuierten Klavierklängen, die die gefühlvolle Seite unterstreichen und den schönsten Gesangslinien und Refrains, die man sich im Jahre 2020 vorstellen kann. Ein Wechselbad von ruhigen, stimmungsvollen, wunderschönen Momenten, die ausbrechen in unbändige, musikalische Eruptionen.

Darüberhinaus ist die textliche Seite eine eigene Entdeckungsreise wert und würde aufgrund ihrer aktuellen Relevanz einen Extrapunkt erhalten, wenn wir nicht das Ende der Fahnenstange bereits erreicht hätten. Es ist nun 5:18 Uhr. Es versteht sich von selbst, dass ich nach diesen Zeilen das Album noch unzählige Male gehört habe, es auch weiterhin tun werde und bald die Band auch live erleben darf…doch dies ist eine andere, höchst wahrscheinlich glorreiche Geschichte.

Mit CHAOS INSIDE haben sich drei Charaktere zusammengefunden, die in dieser Besetzung die Macht innehaben, weitere Klassiker einzuspielen. Und weniger erwarte ich von dieser Ausnahmeband nicht mehr. So wie damals von SAGA.

Kommenden Samstag auf der HEADBANGERS NIGHT pünktlich ab 19:00 Uhr zu erleben. Be there or be gone and ´Don’t Be Late´! (SAGA, 1980)

Habe fertig.

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