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LORD VIGO – Danse De Noir

~ 2020 (High Roller Records/ Soulfood) – Stil: Doom ~


Ist das ein vermoderter Alien-Kopf oder schlicht ein, mit einem stylischen Headset umschlungenes Skelett-Schädelköpfchen? Ist das noch ein Mensch oder schon eine humanoide KI-Mutation? Ist das die reelle Zukunft der Menschheit oder betrachten wir nur einen schlecht konzipierten und dennoch gut ausgestatteten Sci-Fi-Film? Wandern LORD VIGO mit diesem Coverartwork gar auf den Spuren von H. R. Giger und sind sich zu fein, dieses Gemälde in einer Box mit Postern sowie Servietten umzusetzen und an uns zu verhökern?

LORD VIGO sind in jedem Falle gegenwärtig nicht mehr gelb, nicht mehr schwarz-weiß und auch nicht mehr lila, sondern eher silbern rostig. In Gedanken womöglich schwarz-blau, stellt sich das neue Material doch als Retro-Sci-Fi mit einem Schuss Film-Noir dar. BOHREN & DER CLUB OF GORE treffen auf behaarte MANOWAR-He-Mans? Nicht unbedingt. Der dritte Gefühlsechte-Longplayer spinnt jedenfalls eine Geschichte im „Blade Runner“-Universum auf dem Rad fort, nennt die lebendige Protagonistin Nihlai und konfrontiert diese mit implantierten Erinnerungen und keinesfalls mit Silikoneinpflanzungen. Drei kleine Mini-Sequenzen – ´The Voight Kampff Situation´, ´Are You Human´ und ´Fiery The Angels Fell´ – verweilen erzählerisch auf der A-Seite in dieser düstereren, schwarz-blauen Episode.

Der Titelsong ´Danse De Noir´ weht mit Glocken und Synthesizer-Streichern aus der Dunkelheit heraus. Welche Französin flüstert dem LORD dort nur ins Ohr? Seine Antwort ist jedenfalls in einer NWoBHM- bis SLOUGH FEG-Manier ausgefallen. Dagegen ist ´The Verge Of Time´ von den Achtzigerjahren durchflutet, gebettet in einer Keyboard-Wolke aus eben jenen Tagen von BLACK SABBATH. Atmet der LORD von VIGO etwa durch die Maske den Geist eines ´Heaven And Hell´ und ´Tyr´ ein? Die Glocken schlagen aber weiter, scheinbar geradezu immerfort. In ´Shoulder Of Orion´ rammen sich Glocken und Schlagzeug mit Wucht ins Gehirn. Und wer schlägt hier anstelle von Neil Peart die Glöckchen an? Für den Retter der letzten Tropfen des Gehirnsirups führt der Weg nur über das „Tannhäuser-Tor“ am Sonnenhimmel entlang. Wer öffnet die Tore? Zwischen Hochgesängen sind ´And Then The Planets Will Align´ und ´As Silence Grows Old´ gegenüber dem Rest hektischer veranlagt. Die melodische Hysterie von ´Between Despair And Ecstasy´ nimmt zudem jeden mit ihren fetten Drum-Schlägen gefangen. Wen befällt folglich zuerst die Ekstase? Die Angst scheint sich im finalen ´Memento Mori´ im gleichen Maße wie im Zeitgeist besorgniserregend breitzumachen. Schwarz wie die Nacht? Tanz der Dunkelheit, Tanz de Noir.

(8,5 Punkte – Michael Haifl)

 

 

 

 

2020. Eine Jahreszahl, die sich für den in den goldenen 80ern herangereiften Metalfan anhört wie pure Science Fiction. Umso passender das neue Konzept der mysteriösen Sonnenbrillenträger aus den Pfälzer Karpaten. Umschlungen von zwei kurzen atmosphärischen Instrumentalen inklusive Narration bietet das Titelstück genau das, was der Jünger von seinen Propheten erwartet: 100% LORD VIGO. Übermächtig. Erhaben. Episch. Mystisch. Mythisch. Beschwörend. Schwer. Kauzig. Karpatisch eben.

The time will burn us like fire
It´s the price we have to pay
Is there a voice in the night?
Danse De Noir

Doch Schande über diejenigen, die denken, das Potenzial wäre auf den ersten drei Longplayern bereits voll ausgeschöpft und das selbst kreierte Korsett zu eng geschnürt für weitere Überraschungen. Der beschrittene, cineastische Weg auf ´Six Must Die´ wird weitergegangen und die Geschichte des Replikantenjägers hat ihren Weg wohl mündlich überliefert in die Karpaten gefunden. Aus der Sicht der Replikantin Nihlai, die – sich ihrer eigenen Art unbewusst – mit Visionen und fremden Erinnerungen ´At The Verge Of Time´ steht, handelt diese neue Mär.

Es wird zunächst tief BLACK und das an einem SABBATH in allen Epochen des Birmingham’schen Universums. Dieses Epos zieht schon gleich mit seinem ´Holy Diver´ Rhythmus in den Bann, während der schwarze Tanz um das ´Headless Cross´ herum vollführt wird – ein Hit, der bereits zeigt, dass das Songwriting noch weiter ausgereift erscheint.

Is this music from the elder?
Or echoes of the last breath I am hearing from a dying star?
I can still remember
Those I have loved and I have left behind

Viel runder und weniger sperrig als in der Vergangenheit fällt auch der Dampfhammer ´The Shoulder Of Orion´ nach einem weiteren Storyintermezzo in der neuen Zeit hernieder und nimmt im Mittelpart ordentlich powermetallisch Fahrt auf. Besonders elegant hier das virtuose Bassspiel mit wunderschönen Läufen und natürlich die fabelhaften MANILLA ROAD’schen Gitarrenmelodien. Meisterwerk.

Into the ocean of the dark I fell
Into the gates of hell…hell
With no one
No one

Fast schon eine innige Umarmung mit der Eisernen Jungfrau geht der Heavy Metal-Flug ´And The Planets Will Align´ ein, um klar zustellen, dass die geliebte Kauzigkeit nicht weggefeilt wurde. Auch der sphärische Mittelpart erinnert an einen ´7th Son Of A 7th Son´, dem die letzte Glocke geschlagen hat.

I am blinded by the bright earth shine
I feel so lonely and I feel so divine
A leap of time through the sacred heart of mine

Haben sich Replikanten nun wirklich auf natürlichem Wege fortgepflanzt? Keine Ahnung, die Kreativität des LORDs auf alle Fälle, nur so ist es zu erklären, warum er einen BLUE ÖYSTER CULT feiert, dabei Post Punk-Blut trinkt und die Fans von den IDLE HANDS ´Between Despair And Ecstasy´ einsammelt, um ihnen zur Freude von Christopher Walken „more Cowbell“ über den Scheitel zu ziehen.

Building castles on top of the fear of man
Drown my sorrows with your lie
Make me a believer
Remove the veil from my blinded eye

LORD VIGO scheint diesmal Gnade vor Recht ergehen zu lassen, wenn er uns am Anfang von ´As Silence Grows Old´ vorgaukelt, eine Ballade für unsere besseren Hälften mitgebracht zu haben und zwar in der Art der unerreichten DOOMSDAY. Doch wieder einmal sind die Eulen nicht, was sie scheinen, denn wer kein toughes Mädel ist, muss gleich zurück in den Käfig (auch hier natürlich wieder 5€ von mir in die SC-Chauvikasse, liebe Replikantinnen), denn nun rumpelt die NWoBHM auf klassischste Weise über’s Parkett, was Vinz zu wahnwitzigen SAVATAGE-meets-SIREN-Screams animiert.

Lay down in sadness
The night is on
Desperation and solitude
As silence grows old

Danach heißt es ein letztes Mal Luft holen, Schwestern und Brüder. Zum Abschluss wird zum Gedenken an die Toten noch einmal gnadenlos episch, gefühlvoll und atmosphärisch gedoomt: ´Memento Mori´.

I am on fire when all hell breaks loose
I´m dancing on their graves with the devil

Die Tragweite des vierten Streiches von LORD VIGO ist mit Worten allein nicht zu beschreiben, zu vielschichtig die Ideen und Einflüsse, die sich nach unzähligen Durchgängen immer weiter auftun. Darüberhinaus ist das diesmal Albumumfassende, auf ´Blade Runner´ basierende Konzept, eine eigene Entdeckungsreise wert, die den Rahmen hier komplett sprengen würde.

LORD VIGO sind mittlerweile zu einem felsenfesten Szenebrocken herangereift, was auch die verdienten Live-Rekrutierungen zum IRON FEST, BANG YOUR HEAD und IRON HAMMER deutlich zeigen. Ich gebe es offen zu: Ich bin Cineast, Musikfan und Kauz, deshalb öbeye ich abermals im Namen Vigo von Homburg Deutschendorfs und kann nicht um eine hundertstel Kommastelle von meiner sportlichen Meinung zu dem Vorgänger abrücken.

(Less Leßmeister)

 

 

 

 

https://www.facebook.com/LordVigo666/

https://lordvigo.bandcamp.com/album/danse-de-noir


(VÖ: 10.04.2020)