Livehaftig

IRON HAMMER Festival

~ 12.09.2020, Andernach, JUZ ~


„Endlich wieder Live!“

Das schallt an diesem Abend mehrfach von der Bühne, und das Echo der 350 Besucher ist überwältigend.

Ja, eigentlich sollten alle sitzen, im Überschwang fällt das manchem allerdings schwer. So hat die Security einiges zu tun, die Leute wieder auf die Plätze zu komplimentieren. Auch die Absperrung vor der Bühne ist tabu. Allerdings hat man doch ein paar Chancen, ein paar Fotos zu schießen. Ein freundlicher Blick, dann kommt man auch ohne Fotopass nahe genug an die Bühne. Trotzdem, insgesamt ein Lob den Leuten von der Sicherheit. Die hatten es sicher nicht leicht, das Hygienekonzept am Laufen zu halten, gerade später, bei steigendem Pegel.

Und die Mehrheit der Besucher hat sich gehalten. Schließlich wollen alle weiter Konzerte besuchen. Wenn sich also ein Konzept bewährt, kann es weiter genutzt werden. Dieser Test und die Bewährungsprobe können als gelungen bezeichnet werden.

Aber erst einmal will ich feststellen, die heute aufspielenden Bands sind hungrig. Seit März ist nicht viel für sie passiert, manche haben in der letzten Zeit einige Auftritte canceln müssen. Für LORD VIGO, die schon auf der Bühne stehen, als ich das Gelände betrete, ist es der erste Gig seit etwa einem Jahr. In diesem Jahr erschien auch ihr formidables viertes Album ´Danse De Noir´. Damit haben sie bei vielen Freunden epischer Doomkunst weit offene Türen eingerannt. Wie kauzig die Gesellen aus den pfälzischen Karpaten sind, beweist das Interview, das Freund Less für unsere Seiten hier führte.

Die Gestalten der Nacht dürfen den Reigen eröffnen. So stehen sie auf der Bühne, unpassend im nachmittäglichen Sonnenschein. So dauert es nicht lange, bis sich die Gesichtsfarbe des Sängers Vinz Clortho dem Farbton seines Ledermantels anpasst. Neben ihren Klassikern, ´Doom Shall Rise´ heizt als Opener mächtig ein, liegt das Augenmerk auf dem aktuellen Dreher. Vor allem ihr Hit ´Verge Of Time´mit den Tony Martin SABBATH-Vibes kommt mächtig an. Sowohl Kenner als auch Uneingeweihte feiern mächtig ab. So startet der Abend ´Between Despair And Ecstasy´, ganz klar mit einer starken Neigung hin zur Extase.

Das Ergebnis des Auftritts, der Strom hin zum Merchandise ist schon bei der ersten Band recht stark und einige Shirts und Platten werden gen Parkplatz getragen. Weise, wer früh sich eindeckt. Die Jungs haben doch recht zügig den Heimweg angetreten.

Im bayerischen Pfaffenwinkel, unweit der berühmten Wieskirche, ist die nächste Band daheim. SWEEPING DEATH treten aber nicht in die Spuren von STRYPER. Ihre Einflüsse liegen hörbar anderorts. Und so klingen sie nach proggigem, leicht angethrashten Power Metal. Hier treffen JUDAS PRIEST auf OPETH und DEATH auf SAVATAGE. So hat der Drummer Tobias als gelernter klassischer Pianist einige wunderbare Klavierpassagen beigetragen.

Mit zwei selbst veröffentlichten Alben in der Hinterhand ist genügend Material vorhanden, die Leute von den Sitzen zu holen. Und das gelingt. Zweistimmige Leads treffen auf hartes Riffing, Tradition trifft auf Moderne. Irgendwie erscheinen mir die Bayern wie Brüder im Geiste von AVENGED SEVENFOLD.

Der Fünfer ist auch ziemlich mutig. Obwohl das Publikum eher auf Party gestimmt ist, fügen sie ihrem Set mit ´Suicide Of A Chiromantist´ einen ausgewachsenen Zehnminüter zu. Aber auch ´Blues Funeral´ und ´Till Death Do Us Part´ beeindrucken mich. Trotz ihres Anspruchs, SWEEPING DEATH werden ziemlich abgefeiert. Wie geil muß diese ungestüme Truppe erst in einem Club kommen, bei voller Bühnenbeleuchtung. Mich wundert nicht, dass sie auch schon im Vorprogramm von NIGHT DEMON abgeräumt haben.

Das werden auch die Recklinghäuser Jungs von TYLER LEADS. Die waren wohl schon einmal im JUZ und haben so abgeräumt, dass sie gebucht wurden, heute den Hammer kreisen zu lassen. Da bin ich aber nicht vorbereitet. Ich lasse mich gern überraschen und checke Bands im Vorfeld nicht. Hier soll sich das als Fehler erweisen. Da kommen 5 junge Kerle auf die Bühne, Shirts von MGLA oder HAVOK, irgendwie rechne ich mit einer Thrash-Abrißbirne. Ruhrgebiet eben.

Es gibt eine Abrißbirne, aber nicht die erwartete. ´Call Of The Wild´ und Konsorten, das ist Heavy Rock vom Feinsten. Ein leichter Blues-Einschlag und knackige Gitarren. Damit machen sie mächtig Rabatz. Der Pippin-Doppelgänger am Mikro fliegt, tobt, tanzt über die Bühne, erstaunlich, dass er noch Luft hat zum Singen. Wie sie dann die kleine technische Panne überspielen, da fallen die Lautsprecher kurz aus, und die Meute zum Klatschen und Singen animieren, das sollte den letzten Zweifler überzeugen.

So kommt, was kommen muß. Keiner ist auf seinem Platz zu halten. Da tanzt der Kuttenträger neben dem Iro, der nicht mehr ganz schmale Altmetaller neben der energetischen Jugend. Ich wünsche TYLER LEADS noch eine fette Karriere. The Sky is the Limit. Und beim nächsten Mal warte ich mit Essen und Getränke holen, bis Ihr Euer Set fertig gespielt habt.

Die weiteste Anreise des Tages, die hatten STORMZONE. Deren Weg führte aus Belfast nach Andernach. So bringen sie ein wenig britisches Flair auf die Bühne. Ihr klassischer Power Metal bewegt sich irgendwo zwischen der NWoBHM und Teutonenstahl. Vor allem HELLOWEEN lassen immer wieder grüßen. Solide ist das allemal, wenn sie dann auch noch keltische Klänge einfließen lassen, bekommen sie eine ganz eigene Note. STORMZONE sorgen zumindest dafür, das der Stimmungspegel nicht abfällt.

PYRACANDA durfte ich an gleicher Stelle schon einmal erleben. Das war Anfang Februar, kurz vor dem Ausbruch der Misere. Es war spät am Abend, meine Form schon dahin, also blieb jener Abend in meiner Erinnerung ein guter Abend. Kein Vergleich mit heute. Trotz Sitzen, ich habe einen Heidenspaß an den Lokalmatadoren. Ich genieße jedes Riff, jeden Ton, jeden Schlag des Drummers. Leicht technischer Speed/Thrash, zu ihrer ersten Zeit waren PYRACANDA weit der Zeit voraus, manche Zutat erscheint mir recht modern.

Es gibt Stimmen, die Schwierigkeiten mit Sänger Hansi Nefen haben. Kann ich verstehen, ist schon ein Typ. Äußerlich sicher nicht (mehr) der Metaller, das muß aber auch gar nicht sein, hat er doch mächtig Ausstrahlung. Klar, er dürfte auch mit Luft sparen, doch warum? So lang wird der Gig auch nicht.

Ein Vorteil, die Jungs sind eingespielt. Vor drei Wochen spielten sie schon ein Konzert beim Stadtfest in Bendorf. Diesen Schwung konnten sie sich bewahren. Jetzt heizen sie mächtig ein. Vor der Bühne brodelt es. Das Volk ist kaum zu bändigen. Das heizt die Band zusätzlich an.

Erstaunlich ist auch, wie aktuell manche ihrer Texte sind. ´Democratic Terror´, bei der Ansage spielt Hansi auf die Anti-Coronademostranten an. Den Terror, den diese verbreiten, gibt es auch nur, weil sie die Möglichkeiten der Demokratie nutzen können. (Bei den Straßenschlachten im Song kommen einem derzeit vielmehr die USA und hierzulande eher vermummte Massen, die Hamburg verwüsten, in den Sinn – Anm. d. Red.)

Das Trio ´Don’t Get Infected´, ´Good Bye Mary Ann´ und ´Rigor Mortis´ erscheint auch fast wie ein Kommentar zu Corona. Zumindest beweist die Reihung einen gewissen Humor. Auch ihre bekanntesten Songs ´Two Sides Of A Coin´ und ´Top Gun´fehlen nicht. So sind ihre Fans zufrieden. Und PYRACANDA beweisen, sie waren Anfang der 90er Vorreiter, und wären es gerne wieder und weiterhin. Ich würde mich über eine weitere Karriere sicher freuen. Da bin ich sicher auch nicht allein.

Während man früher bei solchen Events schon mal unterwegs war, einen Sitzplatz zu suchen, heute hat der ein oder andere dann das Bedürfnis, ein paar Schritte zu tun. So trifft man sich immer wieder auf dem Parkplatz oder an strategisch aufgestellten Zäunen. Dieses Fest geht ganz sicher in die Annalen ein. Als gut organisiertes und gelungenes Event in Zeiten, die es Veranstaltern und Gästen nicht leicht machen. Ja, auch Gäste haben ihre Schwierigkeiten. Im Überschwang der Gefühle fällt es doch schwer, auf dem Platz zu bleiben und seine Maultasche zu tragen. Vor allem bei steigendem Pegel.

TANKARD folgen als würdiger Headliner. Sie sind eingesprungen, nachdem klar war, dass Bands aus den Staaten nicht einreisen können. Sie müssen allerdings NIGHT DEMON nicht ersetzen. Sie sollen einfach TANKARD sein. Auf meiner Liste standen sie in den letzten 30 Jahren eher nicht. Gut, auf einer alten Kassette hatte ich ´Chemical Invasion´ vertreten und ´Empty Tankard´. Sie waren mir auch immer irgendwie sympatisch, aber musikalisch nicht ganz mein Thema. Dennoch freute ich mich immer schon über gute Nachrichten aus dem Lager der Eintracht-Fans.

Was ich allerdings immer etwas befremdlich fand, und immer noch finde, die Glorifizierung von Alkohol und Trunkenheit. Da verliere ich jedes Verständnis. Das fehlt mir auch für Leute, die so fertig sind, dass sie vom Festgelände getragen werden müssen.

Das tut aber der eigentlichen Sache keinen Abbruch. TANKARD räumen ab. Altes und Neues in guter Mischung, ernsthaftes und Partyfutter. Es macht schon Laune, Gerre zu beobachten. Rund herum vor der Bühne recken sich Fäuste in den Abendhimmel, alle singen mit. Frenetisch wird nach ´Freibier´verlangt.

Und was ich nicht weiß, am Schlagzeug sitzt nicht der eigentliche Drummer. Wegen Erkrankung wird Olaf kurzerhand von Soundmann Gerd Lücking ersetzt. Der macht einen tollen Job. Ich merke nicht, dass da ein Ersatzmann dabei ist, den Ball im Tor zu versenken. Nach ´Freibier´ ist auch noch nicht Ende. Die Nachspielzeit wird genutzt, um noch mehr Tore zu schießen. ´R.I.B.`, ´Zombie Attack´ und das unkaputtbare ´Empty Tankard´.

GEIL!

Ich werde um Alkohol weiter einen Bogen machen, TANKARD haben sich dagegen einen Platz in meinem Getränkelager erspielt.

Und sonst? Ich habe heute Abend tatsächlich eine starke Bandmischung erleben dürfen. Jeder, der nicht da war, eventuell mit der fadenscheinigen Begründung „Konzert im Sitzen geht doch nicht, wie soll da Stimmung aufkommen?“, jeder, der das verpaßt hat, sollte sich jetzt einmal kräftig in den Allerwertesten beißen. Beim nächsten Mal vielleicht doch über den Schatten springen und ausprobieren, wo andere viel Zeit und Arbeit investiert haben.

 


Ich bedanke mich bei Alex Fähnrich für die Überlassung von drei Fotos.