Livehaftig

THE REUNION OF PYRACANDA

PYRACANDA, METAL INQUISITOR, ANGEL DUST, ADDICT
~ 08.02.2020, JUZ Live Club Andernach ~


Hütschenhausen – Andernach: Eine Stunde und vierzig Minuten. In Anbetracht unserer durchschnittlichen Wege ein Heimspiel quasi. Und doch haben wir schon überlegt, unseren Wohnsitz dorthin zu verlagern. Wäre da nicht unsere Homebase „kuscheliges Häuschen“, erbaut 1884. Und der knapp einstündige Weg in das inoffizielle Streetclip-Metalwohnzimmer 7ER CLUB Mannheim. Laberlaberlaber, weiter geht’s später im Text, denn es geht hier um den Sinn und Zweck der Reise: PYRACANDA Reunion mit METAL INQUISITOR, ANGEL DUST und ADDICT. Mit dem Werk der Reunion-Jubilare als auch des Engelsstaubes verbindet mich eine schier ewige Abhängigkeit, die mit dem Erwerb der jeweils ersten beiden Alben zum damaligen Erscheinungstermin ihren Lauf nahm, bei letzteren sogar noch zu Vinylzeiten.

Während Freund Less als Fanboy unterwegs ist, bin ich eher der Neugierige. Nach einem intensiven Jahr kenne ich so viele Leute, ohne die wäre ich erst gar nicht auf die Idee gekommen, die über 90 Minuten Autofahrt anzutreten. ADDICT sagen mir erst mal gar nix, von METAL INQUISITOR erinnere ich mich zumindest einiges Gutes gelesen zu haben. Dass ´Border Of Reality´ zu meinen Lieblingsalben gehört ist ein Pro-Argument. Dafür kenne ich das übrige Werk von ANGEL DUST gar nicht. Und dass ich sie vor Ewigkeiten mal in Hagen Live gesehen habe, ist kaum mehr als eine vage Erinnerung. Der Hauptact ist mir zu seinen aktiven Zeiten nicht untergekommen. Mit Dieter hatte ich allerdings kürzlich Kontakt. Und so fand vor vier Wochen ´Two Sides Of A Coin´ den Weg in mein Refugium.

Somit sind schon mal Marios und meine verschieden intensiven, emotionalen Ausgangspunkte geklärt. Wie zu erwarten, traf sich der junge und besonders der Best-Ager-Underground zu diesem nicht minder als historisch einzuordnenden Ereignis. Der zugunsten noch geilerer Bühne von 666 auf 600 Freaks und Freakinnen geschrumpfte Club war erwartungsgemäß fett gefüllt. Und das war gut so.

Leider nicht gut für meinen Augenzeugenbericht über die leidenschaftlich aufspielenden Opener ADDICT, von denen ich wenigstens die letzte Nummer noch genießen konnte. Zu viele alte Freunde und -Innen, zu viele bekannte Gesichter, zu viele nette Regionsansässige und weiter gereiste Metalheads und -Innen (ich spare mir ab jetzt die Gendercorrectness, ok?), zu viele Umarmungen, Shake-Hands und Prosts. Doch das Anheizen bewerkstelligten die Koblenzer (die erste von drei dort lokalisierten Bands) ohne jeden Zweifel.

Dass du ADDICT nicht gesehen hast – selber schuld, Less. Ich bin ja eher nicht der Anhänger der thrashigen Abteilung, aber was der Vierer auf der Bühne abbrennt, ist aller Ehren wert. Auf alle Fälle haben die Jungs neben METALLICA noch andere Sachen gehört, manchmal ist sogar ein Hardcore-Einschlag zu vernehmen. Zumindest die vorderen Reihen sind nicht abgeneigt, sich im Steilgehen zu üben. Ich kann mir vorstellen, dass das kommende Album ein Knaller wird. Songtitel sind leider völlig an mir vorübergefegt, ADDICT liefern einen Vorgeschmack auf Sabine, dazwischen aber ein paar geile Gitarrenmelodien, vor allem die eine, die hat was orientalisches.  Wenn ich die wiederfinden könnte…

…da sollten unsere Leser oder ADDICT selbst weiterhelfen können, oder? Dann kam jedenfalls für mich bereits die Stunde der Wahrheit. Schnell ANGEL DUST und PYRACANDA Shirts in der mobilen „Anywhere-Homebase“ verstaut (dem INQUISITOR hatte ich bereits die Jahre zuvor meine sündige Seele als auch Hab‘ und Gut vermacht), ab in die Menge und: Überraschung… a) – Gründungsmitglied Frank am Bass fehlt, dafür lecker aussehender (laut Angaben meiner Karin) Neuzugang, der seine Rolle mit Bravour in Sachen Stageacting als auch Handwerk erfüllte. b) – alle Ängste und Skepsis ob rund zwei Jahrzehnten Veröffentlichungsabstinenz weggefegt an der Frontposition Gesang. Durch Haarverlagerung von Kopf unter Kinn und Voicequalität dachte ich bei Dirk sofort an unser neues Wunderkind von HEIR APPARENT.

Äusserst souverän natürlich auch Gitarrist Bernd und der Virtuose Boris am Keyboard. ANGEL DUST are fucking back und die Zeichen stehen auf Sturm! Wenngleich ich mir persönlich auch ein Quäntchen mehr Geschick bei der Songauswahl gewünscht hätte, doch das liegt immer im Auge des Betrachters.

Was hast du an der Songauswahl zu bemängeln? Du weißt doch, es wird gegessen, was auf den Tisch kommt. So kenne ich das noch von meiner Oma. Und was ANGEL DUST servieren ist, wie ich finde, sehr schmackhaft. Gut, du und ein paar Zwischenrufer sehen das anders. Geschenkt. Ich bekomme ein wenig ´Border Of Reality´, ein wenig SAVATAGEschen Bombast und einen unaufgeregt aber effektvoll agierenden Gitarristen. Ich erwarte mir von euch eine längere Show. Das Album ist schon fast gekauft. Und beim „Iron Fest“ werde ich nachhören, wie ihr euch entwickelt.

Aber, eine Bitte, das nächste Mal ohne Brille und ohne Kopfsocke, das wirkt doch irgendwie arrogant. Erst nach Ablegen dieser Accessoires kam rüber, wie sympathisch Dirk eigentlich wirklich ist.

Jajaja doch, Mario – ich liebe die vier letzten Werke ebenso und von der ´Bleed´ kamen genau die Kracher, die ich haben wollte. Und nein-nein-nein – ein bisschen Show muss sein. Auch Alex von EISBRECHER braucht Sonnenbrille und Mütze. Aber ehrlich, Männer: Auch wenn aus den Anfangstagen nur noch der andere Dirk den perfekten Drumstorm heraufbeschwört, könnt und dürft ihr uns Best-Agern nicht wenigstens ein Stücklein von ´Into The Dark Past´ oder euer ureigenes ´Ride The Sky´ namens ´To Dust You Will Decay´ vorenthalten. Und schiebt’s bitte nicht auf den Neuen – der kann das! Also: Ich trage brav mein neues Shirt, kaufe die neue Platte und ihr zerlegt mich spätesten auf dem IRON FEST zu DUST! Deal?

Woran hat et jeleeche? Tja, dat fraacht ma sich hinnerher immer, woran et jetz jeleeche hat… METAL INQUISITOR brauchen sich keine Gedanken zu machen wie einst einer ihrer Landsmänner der Kategorie Fussballspooocht beim legendären Versuch eine Antwort auf die Frage zu finden, denn unsere heimischen bekennenden SAXON- / IRON MAIDEN-Liebhaber grätschten dieses Mal wieder generell alles weg mit ihrer ureigenen Mischung, die auch mindestens ein Stücklein bot, für das Rock’n’Rolf seine Seele als auch Piratenflagge dem Deibel hinterherschmeißen würde, um das Kriegsbeil zu begraben, das Schiff zu versenken und sich mit seinen alten Freunden noch einmal in Chains & Leather zu schmeißen.

Woran hat et jeleeche? Woran es liegt, dass ich von METAL INQUISITOR Tonträger und Patches nach Hause trage? An einem hammerstarken Auftritt. Vor allem Sänger El Rojo haut mich um. Das komplette Set überlege ich. Die Stimme erinnert mich an… Ja, an wen? Irgendwann zu Hause kommt die Erleuchtung, es gibt keinen Vergleich. 

Jau, Mario hat’s verstanden und treffend formuliert. Rein objektiv betrachtet (falls das bei einem Abend dieser Klasse überhaupt möglich ist) war nun die Hütte arschvoll mit allem, was gehen, rollen, bangen, hören, grölen und ein Bier halten konnte. Die Lokalmatadoren (die eigentlich mittlerweile die gesamte True Metal-Welt erobert haben sollten) haben auf gut pfälzisch erstmal alles „weggebloose“ – von Anfang bis Ende und erst recht nochmal bei der Zugabe. Wenn die Welt gerecht wäre, müssten die Jungs finanziell gesehen im Privatjet mit Biff und Rob Karten spielen und Longdrinks schlürfen, während Bruce die Maschine fliegt. Lieber Less, die Welt ist nicht gerecht. Umso besser, so müssen wir nicht mit so vielen teilen. Für die Masse gibt es ja die Megaseller… Naja, so bleiben sie halt einfach unsere Kowwelenzer Band der Herzen. Für immer!

Zurück zum Anfang. Labern. Madrid – Düsseldorf – Andernach: ca. sieben Stunden mit Flughafenanfahrt, Einchecken, ab in die Lüfte, Landen, Koffer und Mietwagen holen und so weiter. Wie weit seid ihr bereit zu reisen für eine ausländische Undergroundcombo aus längst vergessenen Tagen?

2020 – 1992 = 28. Auch etwa drei Jahrzehnte habe ich darauf gewartet, dass die Kansas City Chiefs aus Missouri (irgendwo in der Nähe des Staates Kansas) den zweiten Superbowlring an den Finger stecken… die Chiefs selbst mussten 50 Jahre ausharren und ein komplett anderer Satz Finger griff erfolgreich nach diesem Ziel.

saustarkes Merch, beidseitig bedruckt – so macht Fandom Spass…

Rund 30 Jahre lang schlägt das Herz unserer spanischen Freunde Ricardo und Emilio für unsere PYRACANDA, schlägt immer weiter und seit vergangenem Wochenende noch viel schneller. Denn was drei Original-PYRACANDAs (Hansi „The Voice“, „Hair“ Dieter und „Shred“ Dennis) verstärkt um zwei CALIBANe (Denis / Gitarre & Patrick / Schlagzeug – der übrigens damals nach Elmars Ausstieg schon im zarten Alter von 17 die Position besetzte und laut Dieters Aussage eigentlich auch als „Original“ durchgeht) nach all dieser Zeit abgefackelt haben, schaffen manche Bands nicht, die in der Zeit dieser Abstinenz jedes Wochenende konzentriert zocken. Auch Elmar durfte bei ´Dreamworld´ als Gast nochmal ran und hat ebenfalls nichts verlernt.

Perfekt eingespielt ist eine Untertreibung. Mitreißende Show zu sagen wäre ebenso eine – wie wenn der Schweinefetischist sagen würde „Schnitzel ist ok“. Hat euch jemals deutscher Speed / Thrash Metal in den letzten Jahren ohne offensichtliche Kontaktlinsenprobleme während der Headbangprozedur die Augen bewässert? Willkommen in meiner heilen Emotionswelt. Welcome back PYRACANDA. Welcome Spain – die Reise hat sich gelohnt. Das haben Jan Müller und seine Crew mit dieser Reunionshow ermöglicht. Aufbauend auf den Bemühungen einer lieben Musiknerdnervensäge namens Alex F. (á la Axel F: „Ring ding ding ding ding ding! Wh-wha-what’s going on-on? Ding, ding“ – Anm. d. Red.), der einzelne Mitglieder der Band solange belagert, belabert und bedroht hat, bis die Vernunft siegte und PYRACANDA aus dem Schatten des Musikrentnerdaseins hervorgetreten sind. Wie der Phoenix aus der Asche.

Fettes Drunning, ein superbes Gitarrenduo und mit Dieter am Bass der agile Blickfang, der mit seiner wallenden Mähne die sehnsuchtsvollen Blicke der Glatzen-und Tonsurträger auf sich zieht. Tja und Hansi ist der Fronter, an dessen Stimme und Energie die ganzen Jahre scheinbar spurlos vorbeigegangen sind. Unfassbar. Männer – auch wenn ich in diesem Leben kaum noch mehr abfahren kann als an diesem Abend, verspreche ich noch ein Bricketts draufzulegen, wenn ihr das nächste Mal ´18 Degrees´ spielt. Unmöglich? Das dachtet ihr und wir auch vor dieser Reunion, man darf ja bitteschön noch weiter träumen dürfen, hehe. Besonderen Dank an die CALIBAN-Crew, die von Equipment bis zur Merch Lady dafür sorgten, daß PYRACANDA „in der Heimat auf ‚Dicke Hose‘ machen“ konnten, wie es Hansi so wundervoll formulierte.

Woran hat et nu jeleeche? Dat fraacht ma sich tags druff immer mal, woran et jetz jeleeche hat. Wie Dieter von PYRACANDA sinngemäß treffend sagte: „Heavy Metal ist eine Familie. Egal welche Stilrichtung genau unter dem Begriff Heavy Metal gespielt wird. Alle gehören zusammen“. Schönere Schlussworte kann man nicht finden. Es ist jeder einzelnen Band dieses traumhaften Abends geschuldet, dass nicht nur einer der geflashten Fans am nächsten Tag den Begriff „Knochenpuzzle“ ganzkörperlich verinnerlichte und auch meine Halswirbel nur noch einen bechterew’schen Rübenbewegungsradius zulassen.

Zu PYRACANDA hast du tatsächlich alles gesagt, was gesagt werden muss. Für dich als Fanboy ist das sicher noch vergnüglicher als für mich Newie. Mir gefällt der PYRAstoff ausgesprochen gut. Da ich aber mit dem Material weniger gut vertraut bin – und ja, die Füße tun weh, ziehe ich mich weiter nach hinten zurück. Ich verstehe jetzt auch, warum einige später kamen und deshalb ADDICT versäumten. Nach drei Bands ist man satt. Und wer satt ist, kann nichts mehr genießen, das ist so bei Tisch oder eben hier. Späteres Erscheinen ist eine Art Vorsorge und Kraftsparaktion…

Paperlapapp, das ist rein tagesformabhängig oder Trainingssache…einerlei. Die komplette Organisation (wie immer), das wunderbare Publikum, die gesamte Bandauswahl und letztendlich die vereinigte Künstlerriege haben dafür Sorge getragen, dass das JUZ Andernach weiterhin mein Full Metal Headquarter No.1 bleibt (klar – und der 7ER Mannheim unser Metalwohnzimmer, sicher ein guter Platz für PYRACANDA, sich auch mal blicken zu lassen).

Leider sind ANGEL DUST recht schnell auf und davon – gut, sie haben auch eine weitere Heimreise als die restlichen Künstler. Dennoch hätte ich gern ein paar lobende Worte gewechselt. Ach, noch eins, das Publikum, das ist einfach prächtig. Überraschend, ich war ja nie Szenegänger, das hat sich tatsächlich erst im letzten Jahr so entwickelt. Aber ich kenne doch eine ganze Menge Leute hier. Noch ein bisschen, dann verpasse ich auch wie Less die erste Band. Oder ich brauche, wie heute Abend, immer länger bis zum Auto.

Nachfolgend rein zur Info noch ein paar Appetizer, um euch heiß zu machen, was dieses Jahr dort noch an Tanzkarten aus dem Hut gezaubert wird. BE THERE, YE METALFOLKS! Denn ohne macht es keinen Spaß. Und hier stoßen wir richtig an!

(Mario Wolski & Less Lessmeister)