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ODDLAND – Vermilion

~ 2022 (Uprising Records / SPV) – Stil: Atmospheric Progressive Metal ~


Da ist er also, der von unserem Herrn Hall erwartete nächste Anlauf aus Turku… und gerät in zinnoberrotem Lichte und Glanze geradewegs zum Zieleinlauf auf Weltsportniveau!

Hatte unser verwöhnter Gourmand „Bert“ den Vorgänger ´Origin´ leider im Gegensatz zu mir nicht wirklich genossen, so gehen die seit 2003 aktiven Finnen ODDLAND auf ihrem Drittling weitaus differenzierter und atmosphärischer ans Werk als auf den meiner Meinung nach ohnehin schon richtungsweisenden Vorgängern.

Das namensgebende Kernstück ´Vermilion´ steht als zusammenhängender Song in 5 Teilen für die Hoffnung aus dunklen Orten heraus wieder ans Licht zu finden. Der zweite, mit drei Songs repräsentierte Teil des Albums behandelt innere Konflikte um die Themen Liebe und Hass, Einheit und Spaltung und die Dunkelheit und das Licht. Das Werk zur aktuellen, persönlichen Gefühlslage in dieser aus den Fugen geratenen Welt?

So. Nachdenken und sacken lassen. Verinnerlichen könnt ihr das dann mit dem passenden Soundtrack, den ich euch nur wärmstens ans Herz legen kann…

 

 

´Pt.1: Arrival´: Ruhig und bedächtig zu Klavierklängen und von Gitarrist Jussi Poikonen gespieltem Saxofon geht die Reise los mit einem akustischen Bild von dunklen Gassen einer Großstadt bei Nacht (SUPERIOR hatten auf ihrem Meisterwerk ´Younique´ zu Beginn von ´Detect: Myself´ ein ähnlich wunderschönes Szenario entworfen) und mündet in den eigentlichen Opener ´Pt.2: Below´, der mächtig erschallt wie ihre nimmer müde werdenden Landsleute AMORPHIS und fast nahelegt, dass SVBWAY TO SALLY zum Einstieg die Gitarren diesmal Kellertief runtergestimmt hätten, während exotische, auch mittelalterlich anmutende Klänge einer verspielten, von Drummer Ville Viitanen programmierten Sitar die donnernde Brutalität zart umarmen.

Curl up closer and rinse yourself
Of all morality, we do not need it now

Lower
Lower

Now I am here
I’m pure, I’m blind, I bleed
Now I am here
I’m cured, I’m blind, I’m free

´Pt.3: The Walls Of The Mind´: Eine exzellent ausgearbeitete Dynamik von ruhigen Pianopassagen, sphärischen Keyboardteppichen und erzählender Gitarre wird förmlich von Joni Palmroths KORN’schem Bassdonner erschlagen, dazu winden sich Villes filigrane Drums aus dem Hause FATES WARNING jedoch weitaus rhythmisch-perkussiver à la DEADSOUL TRIBE zum gefühlvollem Cleangesang von Gitarrist Sakari Ojanen zwischen ebendiesem Devon „Buddy Lackey“ Graves (ja, unser Halbgott von PSYCHOTIC WALTZ!) oder Mikael Åkerfeldt (OPETH) dem Höhepunkt entgegen, der sich spätestens im ´Pt.4: Feed The Void´ manifestiert, wenn man diese Scheibe partout nicht als einen durchgehenden, multiplen Ohrgasmus erfahren möchte.

Nachdem die Teile 2 & 3 noch eine etwas rabiatere Gangart vorlegten, doch bereits mit dem wunderschönen Pianopart gegen Ende von ´The Walls Of The Mind´ und seinem ergreifenden Thema auf höhere Kunst vorbereitet haben, werden spätestens nun alle Register gezogen, um das Herz der Melodiefraktion im Sturm zu erobern. Hier wird die emotionale Nähe zu FLEETBURNER überdeutlich, falls jemand bisher wirklich noch Zweifel an der Klasse dieses Albums hatte.

We feed the void
Inside ourselves
Searching for a way out
Follow the path
Can you see
Repeating circles

Now I am here

Finale – ´Pt.5: Emancipator´: Der aufgewühlte Organismus wird mit einem Aufbäumen progressiver Hymnenhaftigkeit auf traumhafte Weise geheilt, ein leiser Part mit verspielten Keys erinnert schon beinahe an MARILLION. Dazu gesellt sich PURE REASON REVOLUTION Chorgesang und im gesamten Verlauf des Songs zeigt Sakari in allen Tonlagen bis zum wohlig-sonoren Tieftonbereich, was für ein brillanter Sänger er wirklich ist.

Der Spannungsaufbau und die musikalische Klasse von PAIN OF SALVATION sind ebenso stets allgegenwärtig – selten habe ich ein Album gehört, welches dich ohne Pausen im Griff hat, aufrüttelt, runterbringt und deine Emotionen ständig auf dem höchsten Level hält und Gefühlswelten auftut, die einst WHILE HEAVEN WEPT erkundet haben. Spätestens jetzt werden wahre Progmetaller diese Scheibe in die Alltime-Liebeskategorie von Bands wie VAUXDVIHL einsortieren.

Lyrisch hat die Reise von ´Vermilion´ ihre Bestimmung erreicht… es gibt ein Licht am Ende des Tunnels und vielleicht ist der Mensch nicht für die Einsamkeit gemacht… ?!

All that I am, is nothing without
The eyes I feel reflect me
That pain would burn
In only one skin
The flames would sing, devour

If mirrors die, do I exist
That pain will burn, entirely
All that I am, is nothing alone
What would be left, still breathing

You have witnessed a breathing darkness
And a healing red on that canvas

 

 

Nach diesem kompletten ´Vermilion´- Opus ist der aufmerksame, geneigte Zuhörer eigentlich erst mal fick und fertig.

Doch es gibt keine Verschnaufpausen und kein Absinken des Spannungsbogens, denn wir bleiben auf dem zweiminütigen ´Pathway´ zur Glücksseligkeit (dessen Text weiter unten den würdigen Abschluss dieses kleinen Aufsätzleins machen wird) zwischen LORD OF LIGHT und sanften OPETH und der gesamte Körper resoniert danach abermals in freudig erregtem GPS-würdigem Zucken während die ´Resonance´ stoisch im DEADSOUL TRIBE-Groove nach vorne marschiert.

I believe we are all fated to feel pain
Determined to endure and to escape
On the other side
Where love resides
The void fulfilled with what we need to grow

Love do we need
But where does it end
When there’s a void

Please take this hardened man
Hold him so he’ll understand

Instrumentenfeuer regnet auf wunderschöne Gesangslinien herab und ich entdecke zum zweiten Male bereits die QUEENSRYCHE-Gitarren, die mir sonst jeder Hinz und Kunz bei anderen, vermeintlich neuen Sensationsgruppen unterjubeln will, die jedoch irgendwie bis dato stets im Äther zwischen meinen Ohren und den Boxen anscheinend auf sonderbare Weise verlorengingen.

Auf zur letzten Attacke und zum vereinenden ´Unity´, welches erneut im Stakkato losdonnert als ob es kein Morgen gäbe, in einen unregelmässigen Groove driftet und dabei doch diesen fantastisch gefühlvollen Gesang in höhere Sphären trägt. Was für Melodien, was für eine Naturgewalt!

Fall, let yourself fall
And feel your core diffuse
Weightless and numb
Feel life heal

What if we could learn to see the unity
Appreciate it painfully
Nothing will ever exist

Zerstören und rekonstruieren. Aufwühlen und beruhigen. Aggressivität und Harmonie. Das volle Spektrum menschlicher Stimmungslagen in Musik übersetzt. Das ist es, was ODDLAND auf ´Vermilion´ meisterhaft tun… und dazu mit einem so kraftvoll-lebendigen, glasklaren Sound und wahren Stereoeffekten, dass nicht nur die Speaker-Membranen feucht werden. Die CD ist ab heute erhältlich, das schick zinnoberrot marmorierte Vinyl folgt Ende April.

Wer mein Faible für emotionsgeladene Höhenflüge wie anno 2020 bei FLEETBURNER oder LOCH VOSTOCK aus dem letzten Jahr verfolgt hat, wird erahnen, daß ´Vermilion´ nicht nur in meiner Jahresbestenliste 2022 ganz weit vorne zu finden sein wird, sondern auch in meinem Verständnis von essenziellen Jahrhundertplatten.
Falls es Punkte in der Kunst gäbe, könnte man hier keinen mehr zum Maximum addieren.

Das Schlussplädoyer überlasse ich ODDWORLD selbst und folge weiterhin diesem ´Pathway´:

We are victims of both sides
Of darkness and glistening light

We are
Soldiers in oblivion
Pathways so obscure
But in darkness
A glistening light
Can only shed
Love

 

 

– Oddland Official (oddlandband.com)
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