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AMORPHIS – Halo

~ 2022 (Atomic Fire Records) – Stil: Melosymphonic Death Metal ~


Seit Jahren treibt die Metalszene immer wieder eine Frage um: woher sollen, bei weiter fortschreitender stilistischer Aufsplitterung der Szene, aber vor allem angesichts des bereits längst erreichten Rentenalters der ganz grossen Bands, die zukünftigen Festival-Headliner und Tour-Zugpferde herkommen? Ich würde sagen, ganz klar aus Finnland, und ihr Name steht nicht nur für kontinuierliche Qualität, sondern auch für die Fähigkeit, viele ganz verschiedene Geschmäcker zu erreichen ohne jemals von der ureigenen Stilistik abzuweichen – und wie gut sie das drauf haben, das beweisen AMORPHIS wieder einmal auf ´Halo´, ihrem 14. Studioalbum.

Melodeath, verlangsamter, doomig-progressiver, oder auch Folk-beeinflusster Death Metal. Das Aufkommen dieser nie im Fokus des Mainstreams stehenden Stilrichtungen Anfang der Neunziger oben in Skandinavien und England, es kommt einem gefühlt gar nicht sooo lange vor, ist es mittlerweile aber doch. AMORPHIS zählen nun einunddreißig Jahre, und die vier Gründungsmitglieder sind heute noch (oder wieder) dabei, Sänger Tomi Joutsen immerhin seit sechzehn Jahren, auch Keyboarder Santeri Kallio ist seit über zwei Dekaden vollwertiges Bandmitglied. Wer so lange erfolgreich zusammen Musik macht, muss ein Erfolgsgeheimnis haben, und das ist bei den Finnen sicherlich zum einen ihre überragende und immer weiter ausgefeilte Musikalität, aber vor allem die Tatsache, dass sie schon ganz zu Anfang ihre Themen und stilistischen Alleinstellungsmerkmale gefunden haben, und ihre Möglichkeiten stets um dieses Fundament herum erweitert haben. Immer wieder steht das finnische Nationalepos Kalevala im Zentrum ihrer Songs, die allesamt als kleine Epen aufgebaut sind, die jegliche Gefühlsschattierung bedienen und auch musikalisch von Gegensätzen und ihrer Auflösung leben. Ihre Fans sind den steten Weg von der Death Metal-Band mit Folkeinflüssen zum internationalen Metalact mit Pop- und Symphonicappeal deswegen so treu mitgegangen, weil er sowohl nachvollziehbar war als auch immer wieder neue Schwerpunkte fand und setzte. Ein lupenreiner Lebenslauf, sozusagen, bereit für den ultimativen Karriereschritt: die metallische Weltherrschaft.

 

 

Werden sie sie erlangen? Wir machen es uns also mit Popcorn und einem eiskalten Lapin Kulta gemütlich im Publikum ihrer neuesten Bewerbungsshow für den Metal-Thron.

´Northwards´ öffnet den Bühnenvorhang, baut growlig-düstere Spannung auf und beginnt gleich im Einstieg mit einem nordischen Wirbelwind aus typischen Folkloreharmonien im Kontrast zu Breitwandriffing, großen cleanen Gesangslinien, einem 70ies-Solomix zwischen Esa und Santeri, hinterlegt mit symphonischer Orchestrierung sowie Chören – das volle Programm, mit dem AMORPHIS gleich mal zeigen, wo Thors Hammer hängt und was sie alles draufhaben. Weiter geht’s ´On The Dark Waters´ „… of Tuonela“, dem Totenreich der finnischen Mythologie, das (ohne die extrem smoothe Produktion) auch vom gleichnamigen vierten Album der Band stammen könnte und mit einem rührend oldschooligen Video umgesetzt wurde. Dieser Blick zurück in die eigenen Anfänge verdeutlicht jedoch weitere, gar nicht so langweilige Tugenden der Männer aus Helsinki: ihre Bodenständigkeit, Heimat- und Naturverbundenheit, die die Basis aller ihre Werke ist.

´The Moon´ ist dann der erste Hit, der absolut kunstfertig das typische AMORPHIS-Schema umsetzt: ein einfaches Motiv wird gleich zu Beginn vorgestellt, um danach immer wieder abgewandelt durch Gesang oder andere Instrumente aufgenommen zu werden, was den Hörer wie ein Sog sofort tief in den Song zieht. ´Windmane´ setzt dagegen ganz andere Akzente, das Stück ist interessant rhythmisch und disharmonisch gegen den Strich gebürstet und holt damit die Progger unter den Fans ab, bringt zudem deutlich mehr Melancholie ins Spiel, was auch ´A New Land´ aufnimmt. Hier wird zudem eine weitere Konstante in AMORPHIS‘ Schaffen ins Zentrum gestellt, die verspielten orientalischen Einflüsse, die die Atmosphäre fremdartig und exotisch halten.

Daraufhin wird das übliche Mid-Tempo etwas angezogen und ´When The Gods Came´ startet knackig-riffbetont. Tomi Joutsen hat nochmal deutlich an seiner Phrasierung gearbeitet und ist in den cleanen Passagen teils kaum noch als er selbst zu erkennen, so klar, sauber und akzentfrei klingt er, die Anteile seiner Deathmetal-Growls sind immer perfekt auf den Verlauf der Story abgestimmt und ausgewogen eingesetzt. Während sich ´Halo´ als Album eher bei den ebenfalls extrem fett produzierten ´Circle´ und ´Under The Red Cloud´ einordnen lässt, schließt ´War´ eher an die Leichtigkeit und Frische des Vorgängers an, mit seinem orientalischen Einstieg und der sehr weiten, vielschichtigen Atmosphäre.

Ab dem Titelsong wird es mir dann jedoch zuviel an Streicher-Bombast und Knöpfchendreherei, auch wenn das natürlich eine reine Geschmacksfrage einer kratzbürstigen Extremhörerin ist. Für die Orchestrierung haben sich die Finnen diesmal noch mehr symphonische Unterstützung geholt, zum bereits bei ´Queen Of Time´ involvierten Francesco Ferrini (FLESHGOD APOCALYPSE) kommt mit Jesse Bartholomew Zuretti (BINARY CODE) ein weiterer Sound- und Tastenhexer hinzu, und natürlich hatte Wegbegleiter und Starproduzent Jens Bogren die Schieber auch diesmal wieder fest und zielgerichtet in den magischen Händen.

´The Wolf´ bietet nochmals interessante Gitarrenideen, doch wenn in der Rausschmeißer-Schnu, äh Ballade ´My Name Is Night´ der schon gefährlich insulinresistente Einsatz zweistimmigen Gesanges im Duett mit der ätherischen Stimme Petronella Lettermalms überhandnimmt, wünsche zumindest ich mir Anneke van Giersbergen zurück. Doch das ist eine absolute Minderheitenmeinung, die sich auch nur in der B-Note auswirkt. AMORPHIS sind schon längst im Stadion angekommen, und ich wünsche ihnen so viele Headlinerplätze wie nur möglich. Verdient haben es sich die Jungs allemal.

(8 Punkte)

 

 

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