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PURE REASON REVOLUTION – Eupnea

~ 2020 (Another Century) – Stil: Modern Prog Rock ~


 

 

 

Es war einmal eine britische Rockband namens PURE REASON REVOLUTION, die zu Beginn der Nullerjahre die Herzen der Prog als auch Alternative Rock-Anhänger im Sturm eroberte. Der verstaube Prog Rock durfte modern, mit poppigen als auch zeitgemäßen Elementen erklingen. Harte Gitarren trafen auf elektronische Spielereien sowie ausgefallene Kompositionsstrukturen, die von einem ausgefeilten Harmoniegesang gekrönt wurden. Für die Formation um Chloë Alper und Jon Courtney war jede stilistische Eingrenzung ein viel zu eng gefasstes Korsett. Den Song ´The Bright Ambassadors Of Morning´, die Sternstunde des Debüts ´The Dark Third´, sollte jeder gehört haben, um jedes denkbare Etikett für den Sound von PURE REASON REVOLUTION zu begreifen: PINK FLOYD 2.0. BEACH BOYS des Prog Rock. PREFAB SPROUT goes Prog. PORCUPINE TREE in lebendig. MOSTLY AUTUMN ohne Folk-Kitsch. Doch die Cinematic Soundscapes zeigten sich auf dem zweiten und dritten Werk dunkler und weitaus elektronischer. Zu guter Letzt lösten sich PURE REASON REVOLUTION 2011 auf. Die Trauer war jedoch aufgrund der eingetretenen Entwicklung nicht übermäßig. Allein von Jon Courtneys Formation BULLET HEIGHT musste der Supporter zwischenzeitlich mehr als nur Notiz nehmen.

2020 sind Chloë Alper und Jon Courtney urplötzlich wiedervereint und lassen PURE REASON REVOLUTION als Duo aufleben. Die aufkommende Begeisterung ist dagegen nicht unermesslich. Eine dunkle Atmosphäre breitet sich stärker als im ersten Bandleben aus, die Cinematic Soundscapes leben sich in drei der sechs Kompositionen auf einer Distanz von neun bis dreizehn Minuten aus. Bereits der Opener ´New Obsession´ erzeugt eine Gemütslage zwischen ELOY, ANATHEMA, TOOL und PINK FLOYD. Die Pop-Elemente sind weitgehend gestrichen. Eine fette Rhythmik sowie eine Melodieführung durch das Klavier setzen in ´Maelstrom´ die prickelnden Gegenpole, wodurch der Gesang der beiden Performer besonders gefühlvoll und nah transportiert wird. Sanftheit und Heavyness sind in ´Ghosts & Typhoons´ als auch ´Silent Genesis´ beiderseits vorhanden, wobei die Schwere ordentlich in der Magengrube dröhnt. Etwas balladesker begibt sich ´Beyond Our Bodies´ auf die Reise. Das epische Titelstück ´Eupnea´ flirtet schließlich nochmal mit PINK FLOYD, doch der wahre Grund ist nicht ersichtlich, weshalb das Feuer 2020 nicht vollends wie 2006 in einem Flammenmeer aufgeht.

(7 Punkte)

Michael Haifl

 

 

 

 

Meine alte Obsession ist zurück und beginnt mit einer ´New Obsession´, welche mir augenblicklich wieder in Erinnerung ruft, was diese englische Combo – mittlerweile auf ein Duo geschrumpft, aber bei der Hälfte der Songs von Originalgitarrist Greg Jong unterstützt – so einzigartig macht: spannende, sich steigernde Arrangements mit fesselnden, von beiden abwechselnd oder gemeinsam gesungenen Melodien, dezent eingesetzter Elektronik und dieses gewisse Etwas, das man nicht greifen kann und PURE REASON REVOLUTION einfach ausmacht. Hey, dageblieben – natürlich auch fette Gitarren und donnernde Drums!

´Silent Genesis´ wandert anfangs gar auf den Spuren PINK FLOYDs und auch im Mittelpart wurden deren typische Keyboardsphärensounds entliehen und eingewebt in einen entspannten Flow, der dich überlegen lässt, ob nicht doch irgendwo zu Hause noch bewusstseinserweiternde Mittelchen versteckt sind. Und abermals reißt dich ein perkussiv befeuerter Gitarrenriffteppich aus der entspannten Andacht heraus und fordert dich auf, leicht zu bangen.

Mal sind es poppigere, Gitarren- und Klavierunterlegte Wohlfühlstücke wie ´Beyond Our Bodies´ oder ´Maelstrom´, die von verschachtelter, kontrastgebender Rhythmik leben und sich zu wahren Hymnen auswachsen. Daneben haben wir die „Longies“, die eine Klang-, Stil – und Soundvielfalt beinhalten wie der japanische Garten in Kaiserslautern zu voller Blütezeit (ein Schelm, der nun lache, denn dieser zählt zu den größten japanischen Gärten in Europa!).

Harmonie. Ebony and Ivory live together in perfect harmony. Das trifft den Nagel auf den Kopf, was die Wechselgesänge von Chloë Alper (E-Bass, Keyboard) und Jon Courtney (Gitarre, Keyboard) betrifft und sich wie ein roter Faden durch alle Songs und Alben zieht. Ein Paradebeispiel für die Bandbreite des Gesamtwerkes bietet der abschließende 13-Minüter und Titelsong ´Eupnea´, der dir einfach alles gibt, angefangen mit jener Harmonie über FLOYD’sche Szenarien, Instrumentalorgasmen, die weit über egomanischem Gefrickel anderer Progger stehen, Kate Bush-artigen Gefühlen, eruptiven Tempowechseln, heavy Gitarren, songdienlichen Keys und Synths – alles in allem eine musikalische Dynamik, die Rocker, Progger, aufgeschlossener Metaller und Indies gleichermaßen ansprechen sollte, wenn man Musik um ihrer selbst willen mag.

Erwartet einfach immer das Unerwartete – genau das ist es einfach, diese Kontraste von Wohlfühlen, Schweben, Abfahren – in einem einzigen Loop der mäandernden Abwechslung und Unvorhersehbarkeit, diese Musik ist unglaublich perfekt konstruiert und wirkt dabei doch ungezwungen spontan.

Für mich persönlich (noch) nicht ganz an meinem Liebling ´The Dark Third´ (2006), doch PURE REASON REVOLUTION haben mir auch in der Vergangenheit gezeigt, dass selbst ein vielhörendes Ohr ein neues Album nicht sofort mit Punkten erfassen kann. Kunst, die was kann. Ein Meisterwerk allemal und gerade jetzt in dieser Zeit brauchen wir die „Revolution der reinen Vernunft(frei nach Immanuel Kants „Kritik der reinen Vernunft“, 1781) !

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