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CANTICLE – Mortem Tyrannis

~ 2022 (Witches Brew) – Stil: Crossover Thrash ~


Ich muss mich mal weit aus dem Fenster lehnen. Ich habe aufgehört, die meisten neuen Bands im Epic Metal zu unterstützen. Das liegt nicht einmal am ständigen MANOWAR meets BATHORY (´Hammerheart´-Phase) Rip Off, sondern bei vielen schlichtweg am Konformismus, den sie Haltung zeigend an den Tag legen. Ja, sie stehen auf der Seite des Lichts, Kämpfer für Freiheit, reinen Geist, blitzsaubere Gedanken ohne Ecken und Kanten und edelste Tugenden. Ich muss spucken, wenn ich soviel Selbstreinwaschung präsentiert bekomme. Wie gut, dass CANTICLE diesen ganzen anpasserischen Firlefanz nicht nötig haben.

Kleine Gesten können große Musik erschaffen. Die Band aus der norditalienischen Region Emilia-Romagna, Provinz Ferrara, fünfzig Kilometer nordöstlich von Bologna schöpft aus einem reichhaltigen Fundus an kulturellem und geschichtlichem Erbe. Ihre Musik auf der vorliegenden EP, die leider nach zwölf Minuten schon wieder vorbei ist, hat eine sehr spezielle Magie und Atmosphäre. Die Band und ihre Musik an sich sind alle Metal and Doom, keine Kompromisse, keine ungesunden Stilmixturen, welche die reine Seele des Heavy Metal durch widerwärtige Fremdeinflüsse aus dem Gleichgewicht bringen. Sie sind Kult, sie sind Torwächter, Fundamentalisten in ihrem Treiben und wohl auch wenn es um das eigene Hörvergnügen geht. Als Beispiel hat der Bassist Iron Fed, neben der Band im Musikbereich noch als Leiter beim neuen „Envoy Of Death Records“-Label tätig, einen sehr puristischen Geschmack bei Heavy, Doom und Thrash Metal. Lieber ruppig rau und dafür mit Seele und Leidenschaft gespielt, als aalglatt und blitzeblank sauber für den potentiellen Großfestivalgänger und Spotify-Hörer konzipiert. Ecken und Kanten dürfen sein, aufmüpfig und für manchen Zeitgenossen emotional schwer verdaulich offensiv geht immer.

Und so gestaltet sich auch die Musik der EP. Drei Songs, die verquerer für die Mainstream geeichten Ohren der beinahe gesamten Metalgemeinde nicht sein könnten. Die Musiker zeigen keine außergewöhnliche Virtuosität beim Spiel. Ganz im Gegenteil, ab und an wirkt es an manchen Stellen etwas von der Rolle.

Beim Opener ´The Weird Mansion´ stehen die Schnurrbart-Hipster mit ihren porentief reinen Kutten und ihren gelben VIRTUE-Shirts offenen Mundes da. Der Sänger wechselt zwischen eher dumpfem Gesang und rostigen, hellen Screams, manchmal innerhalb einer Zeile. Sein leichter Akzent verstärkt den kauzigen Ausdruck. Die eröffnende Leadgitarre klingt wie ein unsauber gespieltes Kavallerie Trompetensignal, der Rest ist mittelschneller Kauz Metal auf tänzelndem Beat. Das hat die Ästhetik einer Kreatur aus den dunkelsten Tiefen Lovecraft’scher Gedankenlabore. Die Gitarre klingt aggressiv und bissig, auch wenn der Song eher ein entspanntes Tempo einschlägt. Die Melodien sind dunkel, obskur, äußerst morbide und gerade deswegen so faszinierend hymnisch.

´Once You Go, Witch´ hat eher einen folkigen Charakter, wechselt gesanglich zwischen mittelhohem Croonen und aggressiven Screams und Shouts, ab und an mit theatralischen Sprechgesangsparts gespickt. Der erzählende Aspekt des Songs steht im Vordergrund, aber auch hier klingt alles sehr roh und schmutzig. Die Band scheint interessanter aufgebaute Songs zu schreiben, als sie eigentlich zu spielen in der Lage ist. Aber der Rumpelfaktor und das bösartige Schlitzen und Sägen der Gitarre haben schon den Charakter von gemäßigtem Black Metal. Auch hier geht die Band geschwindigkeitstechnisch nicht wirklich steil. Aber es passt und macht den Song noch eindringlicher.

´Obey Thy Monarch´ ist dann stampfendes Tänzeln im Rhythmus, aggressiv kommandierender Gesang, repetitive Riffs und Bassläufe, immer mal wieder mit coolen Breaks. Auch hier wird mehr eine Geschichte erzählt. Das Spiel ist nicht sauber, aber sehr lebendig. Dafür weiß man sofort, dass die vier jungen Italiener es ernst meinen. Die drei Songs haben einen primitiven Charakter und zeigen dem Mainstream den ausgestreckten Mittelfinger. Hier geht man sogar weiter hinein in die Tiefen archaisch anmutender Musik, als es viele der 80er Helden je gewagt hätten.

Wenn MANILLA ROAD, DEATH SS und CELTIC FROST 1984 zusammen AMEBIX Songs gecovert und vor lauter Schnapsnebel im Brägen kaum mehr die Instrumente richtigherum halten gekonnt hätten, vielleicht wäre etwas ähnliches dabei herumgekommen. Wie 1983 die ´Full Moon’s Eyes´ von OSTROGOTH oder die ´Coup De Metal´-EP von H-BOMB ist auch diese EP hier schlichtweg vollkommen. Nicht perfekt im Spiel, aber perfekt in der nachhaltigen Hymnen-Wirkung. Räudige Scheisße, sowas von geil.

(8 Punkte)

 

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