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YES – Mirror To The Sky

~ 2023 (InsideOutMusic/Sony Music) – Stil: Prog Rock ~


Grundsätzlich liegt die Vermutung nahe, dass die Formation YES immer mehr zu einer Solo-Veranstaltung von Gitarrist Steve Howe wird. Sänger Jon Anderson wird seit fünfzehn Jahren vermisst, aber durch Jon Davison in der letzten Dekade immerhin gesanglich recht würdig vertreten. Rick Wakeman wird seit beinahe zwanzig Jahren vermisst, stattdessen fechtet ASIA-Keyboarder Geoff Downes seit einer Dekade respektvoll die Kämpfe an den Tasten aus. Chris Squire wird seit seinem Tod im Jahre 2015 schwer vermisst und von Billy Sherwood redlich ersetzt. Alan White wird ebenfalls seit seinem Tod 2022 vermisst und ermöglichte dem oftmaligen Tourneemitglied Jay Schellen den Platz am Schlagzeug.

Doch YES haben nach ´Heaven & Earth´ aus 2014 und ´The Quest´ aus 2021 ein weiteres Studioalbum in dieser aktuellen Besetzung, die nach den beiden Todesfällen mittlerweile gar kein Gründungsmitglied enthält, eingespielt. Sie haben sich allerdings vorgenommen, in dieser Formation zu wachsen, um ihren Sound im Sinne der Siebzigerjahre weiterentwickeln zu können. Schließlich wollen sie das Erbe würdig weiterführen. Glücklicherweise konnten sie auf reichlich Material zurückgreifen, das sich bereits bei der Veröffentlichung von ´The Quest´ schon wieder angesammelt hatte.

 

 

Die seit über fünfzig Jahren bestehende englische Prog Rock-Legende versucht auf ´Mirror To The Sky´ immerhin ihren charakteristischen Sound in die Gegenwart und in die gegenwärtige Besetzung zu transferieren. YES trachten nach einem frischen und lebendigen Sound, den Gitarrist Steve Howe als Produzent beinahe ausnahmslos herzustellen vermag. Dass ´Mirror To The Sky´ als angekündigtes Doppel-Album mit seinen 63 Minuten auf einen einzelnen Silberling passen würde und somit längst nicht die etwa 90 Minuten eines klassischen Doppel-Vinyls erreicht, ist die einzige komplette Fehleinschätzung der Gruppe.

Denn ´Cut From The Stars´ eröffnet das Album in klassischer Manier, allerdings im spacy und psychy Unterbau. Allerdings schließt sich mit ´All Connected´ sogleich der erste Longtrack über neun Minuten an, der von einer wunderbaren Gitarrenmelodie eingeleitet und am Ende auch wieder hinausgeführt wird. Billy Sherwood unterstützt hierbei sogar den Gesang von Jon Davison, abwechselnd und selbstverständlich wundervoll harmonisch im Vortrag.

Der nächste Longtrack, abermals über neun Minuten, folgt mit ´Luminosity´ auf den Fuße, wabernd und strahlend im Sternenstaub und einem himmlisch flehenden Gitarrensolo. Besonders einschmeichelnd zeigt sich ´Living Out Their Dream´, mit einem 60s ähnlichen STONES-Riff eröffnend, farbenfroh aus den 60s kommend. Im großen Epic, dem 14-minütigen ´Mirror To The Sky´ bieten sich hingegen für alle Instrumentalisten reichlich Gelegenheiten, ihre Stärken auszuspielen, ebenso werden die Streicher des FAMES Studio Orchestra präsenter.

Den Abschluss der ersten Scheibe bildet die wonnige Akustikballade ´Circles Of Time´. Interessante Gesangsarrangements begleiten auf der zweiten Scheibe den letzten Longtrack, das achtminütige ´Unknown Place´, ehe die kürzeren, beide von Steve Howe in dessen Sinne vorgetragenen ´One Second Is Enough´ und nostalgischen ´Magic Potion´ den endgültigen Schlusspunkt unter das mühelos beste YES-Album seit über zwei Dekaden setzen.

YES sind mit epischen Kompositionen und virtuosem Gitarrenspiel beileibe nochmals im Progressive Rock angekommen.

(8 Punkte)

 

https://www.facebook.com/yestheband/


Pic: Gottlieb Bros
(VÖ: 19.05.2023)