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IBARAKI – Rashomon

~ 2022 (Nuclear Blast) – Stil: Extremmetall, progressiv interpretiert ~


Seit ich von diesem Projekt hörte, habe ich mich gefragt, wie wohl die IHSAHN-Elitisten damit zurechtkommen werden, dass diese Ikone gerade mit Matt Heafy von den vielgebashten TRIVIUM gemeinsame Sache macht: „Blasphemie! Sofortiger Verriss! Weiß der denn überhaupt, was Black Metal ist?“ – nun, womöglich besser als so mancher selbsternannte Szeneheilige. Er hat auf jeden Fall verstanden, worauf es in dieser Sache ankommt, und wieviel hiervon letztendlich auf Ihsahns Einfluss, nicht nur als Produzent, zurückgeht ist dann auch unwesentlich. ´Rashomon´ ist ein absolut erstaunliches Album, das von Song zu Song, nein, von einer Minute zur nächsten zu überraschen versteht, und das auf die gesamte Laufzeit von immerhin knapp über einer Stunde.

Sicher, natürlich kann Matthew Kiichi Heafy, wie er sich nun mit vollem Namen präsentiert, Mutter Japanerin, Vater Ire, seine Metalcore/Thrash-Roots auch in diesem Projekt nicht verleugnen, und gerade an seinem geschrienen Gesang werden sich die Geister scheiden (zudem hat er mit BM-Vocals wenig zu tun…), mir selbst fällt es genau aus diesem Grund schwer, das Album komplett am Stück durchzuhören, was sehr schade ist – weil es eine absolut runde Sache ist und die Songs aufeinander aufbauen, und generell weil es so extrem viel darin zu entdecken gibt. Zum Glück singt er jedoch auch sehr viel und außerordentlich gelungen klar auf ´Rashomon´, und diese Passagen wirken emotional dann auch gleich deutlich tiefer, berühren und überraschen in den besten Momenten durch ihre Ehrlichkeit und Offenheit. Auch die sehr persönlich geprägten Lyrics über japanische Mythologie als Teil seiner eigenen Identität, auch als körperlich eingebrannte Erinnerung über seine entsprechenden Tattoos (es lohnt, sich die Videos zum Album anzuschauen, z.B. das zu ´Kagutsuchi´ unten), tragen viel zu diesen intimen Momenten bei. Manchmal denke ich, IBARAKI ist Heafys Rite of Passage der Rückbesinnung auf, und die tatsächliche (und vor allem öffentliche!) Annahme seiner japanischen Wurzeln, von denen zuvor nicht viel bekannt war, und dazu benötigt er eben eine komplett neue Identität, oder baut sich diese vielmehr im Prozess erst auf. Und will ihr dann eben auch eine neue, anders klingende Stimme verleihen – geben wir ihm noch etwas mehr Zeit dafür, sie tatsächlich zu finden. Ihsahn als sein Mentor hierbei hat sie ihm ja auch gegeben, und das Ergebnis ist mehr als beeindruckend.

 

 

Als junger Mann in Florida war ihm vermutlich viel wichtiger, einfach dazuzugehören, als sich auch kulturell zu sehr von seinen Peers zu unterscheiden. Wie viel er trotzdem verinnerlicht hat, von der sehr traditionsbewussten und eigenständigen Kultur seiner mütterlichen Vorfahren, wird auf ´Rashomon´ und den dazu veröffentlichten Videos deutlich. Und diese Auseinandersetzung mit seinen so andersartigen und für Außenstehende fremden, oft erst unzugänglichen Wurzeln spiegelt sich in den Kontrasten, Brüchen und den inneren Kämpfen, die sich durch die gesamte Platte ziehen. Und da hat er sich Black Metal als das wohl beste Vehikel für zerrissene Emotionen ausgesucht – und zwar den Black Metal, dessen Essenz komplette Freiheit ist. Seine Gäste am Mikrophon, Ihsahn und BEHEMOTHs Nergal, nehmen sie sich ja auch, von MY CHEMICAL ROMANCEs Gerard Way kann ich das nur vermuten.

Es ist genauso die Freiheit, in ein japanisch thematisiertes Album mit unerwarteten Instrumenten wie Akkordeon, Posaune, Tuba und einem operettenhaften Chor wie aus einer französischen Hafenkneipe des 19. Jahrhunderts einzusteigen, und zwar sofort im Intro. Sich wegzubewegen von der bisherigen perfektionistisch/exhibitionistischen Technikbesessenheit, hin zu deutlich mehr gebrochener Atmosphäre und Experiment. Und all das, obwohl seine TRIVIUM-Kollegen an ihren entsprechenden Instrumenten bei IBARAKI aushelfen. Trotzdem beeinflusst Heafy das eigentlich nur bei seinem rauen Gesang, der nicht viel anders klingt als gewohnt, und leider auch bei den teils schon zu klebrig-symphonischen Melodielayers wie man sie von seiner Hauptband kennt, sonst erweist er sich als Freigeist, der seine Einflüsse von überall her bezieht und diese neue Band als Spielwiese für seine vielerlei Interessen und Einflüsse außerhalb der Metalwelt benutzt.

Innerhalb dieser wiederum erweist er mit ´Jigoku Dayū´ OPETH zu ´Blackwater Park´-Zeiten seine Bewunderung, ´Akumu´, was übersetzt Alptraum bedeutet, zeigt Nergal ganz persönlich auf Polnisch, und beim kaleidoskopischen Schlüsselsong ´Rōnin´ mit Gerard Way spielt Ihsahn nicht nur ein Gitarrensolo, nein, dessen komplette Familie ist gesanglich beteiligt und seine Frau Ihriel steuert extra hierfür aufgenommene Natursamples aus dem benachbarten Wald bei. ´Tamashii No Houkai´ ist die Blaupause ihrer gemeinsam entwickelten Idee von zeitgemäßem Metal, der auch dezente Orchestrierung gut vertragen kann, und  dass der Junge sogar Humor hat, zeigt der makabre Rausschmeißer ´Kaizoku´. ´Susanoo No Mikoto´, das vielleicht komplexeste und gleichzeitig vollendeste Stück des Albums, teils japanisch gesungen, weist darüber hinaus in Richtung Oper und doch wieder zurück auf Heafys eigene musikalische Geschichte. All das ist Prog Metal, der sich am Black Metal orientiert, und nicht umgekehrt.

Eines ist damit klar: TRIVIUM ist die Erfolgsmarke, aber kann niemals so sehr Kiichi sein wie IBARAKI. Das ist seine wahre Stimme, das Beste, was er der Welt zu geben hat. Ich hoffe auf viele Fortsetzungen.

Chapeau und 8,5 Punkte!

 

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