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BLUES PILLS – Lady In Gold

2016 (Nuclear Blast Records/Warner) – Stil: Psychedelic/Blues/Rock/Soul


Mit ihrem gleichnamigen Debüt lieferten die BLUES PILLS eines der Classic Rock-Highlights der letzten Jahre ab. Die Band um die charismatische Frontfrau Elin Larsson stand somit vor der mächtigen Herausforderung, dieses Album zu überbieten. Kann das gelingen ohne sich weitestgehend zu wiederholen und gleichzeitig neue Akzente zu setzen? Oder geht man auf Nummer sicher und liefert einen musikalischen Aufguss des Debüts? Nein, so tickt diese Band nicht. Das Quartett ist gereift, hat sein Songwriting vertieft und stellt sich musikalisch breiter auf. Die Songs wirken feinfühliger, ein großer Teil der Stücke hat enorm packende Melodien ohne dabei ins Kommerzielle abzudriften. Die Tracks gehen schnell ins Ohr, haben allerdings Unmengen an Details, die sich einem erst nach einigen Durchgängen erschließen. Vielseitigkeit ist Trumpf auf `Lady In Gold`. Das flotte `Rejection` mit seiner großen Melodie und diesem early Seventies Touch, enthält im Mittelteil einen fantastisch angespacten Gitarrenpart – ganz groß! `Little Boy Preacher` ist enorm vom R&B beeinflusst und lebt von einer gigantischen Melodie, die nur noch von dieser einzigartigen Stimme Larssons getoppt wird. Ruhig und emotional geht es bei `I Felt A Change` zu. Ein gediegener Song zum Abschalten. `Gone So Long` ist pure Gänsehaut. Wahnsinns Melodie, unfassbarer Gesang. Alles klingt so leicht beschwingt und dennoch setzt die Gitarre Akzente. `Elements And Things` begeistert mit der intensivsten Gitarrenarbeit des Albums. Fantastisch. Dass sich vieles deutlich souliger anhört, ist für mein Verständnis von Weiterentwicklung absolut legitim. So hebt man sich vom Gros der Vintage Rock-Bands ab. Allerdings birgt es das Risiko, dass man Fans des Debüts leicht verwirrt im Raum stehen lässt, die etwas anderes erwartet haben.

`Lady In Gold` enthält zehn Songs mit ausgeprägten Alleinstellungsmerkmalen, hoher Melodiedichte, kaum greifbaren Gesangsparts und beweist deutlich: BLUES PILLS sind eine Ausnahmeband, die auch mit ihrem zweiten Album auf ganzer Linie überraschen und überzeugen kann. `Lady In Gold`, der zweite Klassiker von BLUES PILLS? Diese Aussage kann man getrost unterschreiben.

(9 Punkte)

Jürgen Tschamler

 

Am selbstbetitelten Debütalbum der BLUES PILLS hatte ich mich dann doch schneller sattgehört als erhofft. Klar barg das Teil einige Lieder mit Langzeitwirkung, allen voran das lässig groovende ‚Ain’t No Change‘ und die hinreißend gesungene Halbballade ‚No Hope Left For Me‘. Doch das epidemische (Nach)geplapper von wegen „Rettung des Rock’n’Roll“ war angesichts der überdeutlichen Anlehnung an die Vorbilder der Blütezeit mindestens eine Hypestufe zu hoch. Zumindest für meine Wenigkeit.

Umso größer ist nach einem guten Dutzend Durchläufe die Überraschung, was für ein formidables Rockalbum der Nachfolger ‚Lady In Gold‘ geworden ist. Front-Schwedin Elin Larsson und ihr amerikanischer Bassist/Chef-Songschreiber Zack Anderson haben es geschafft, eine Scheibe zu fabrizieren, die subtiler, weniger ungestüm aber trotzdem dichter und mitreißender klingt als es die meisten ihrer Retro-Zeitgenossen jemals hinbekommen werden. Der vorab veröffentlichte Titel-Ohrwurm mit seiner markanten Kontra-Oktave steht exemplarisch für die selbstsichere Orientierung hin zu mehr Soul und schwarzer Musik. Doch die BLUES PILLS haben noch größere Kaliber am Start. Das orgelgetränkte ‚Little Boy Preacher‘ lappt auf wunderbare Weise ins Gospelige, ‚Burned Out‘ streift mit einem Augenzwinkern die dunkle Seite des Mondes während sich Elin & Co. mit ‚Gone So Long‘ für den Soundtrack des nächsten Bond-Films bewerben. Was Adele kann…

Apropos: Als potenziell größter Hit geht ‚I Felt A Change‘ ins Rennen, eine hingetupfte Mellotron-Ballade, in der Miss Larsson ihre gereifte Stimme gänsehaut-provozierend in Szene setzt. Inga Rumpf (FRUMPY) dürfte stolz auf ihre Erbin sein, Joss Stone wird möglicherweise einen Neidanfall erleiden – selbiges könnte Beth Hart beim kernigen Blues von ‚You Gotta Try‘ passieren.

Wer glaubt, dass die Pillen ihr Pulver mit diesem Donnerschlag bereits verschossen haben, wird bei den gnadenlos abgehenden ‚Won’t Go Back‘ (mein derzeitiger Favorit) und ‚Rejected‘ aus den Flipflops kippen. Mit dem Tony-Joe-White-Cover ‚Elements And Things‘ gelingt der Band ein hypnotisch-jammiger Abgang, der den Finger unweigerlich zum Repeat-Knopf zieht.

Clevere Naturen sollten sich die Tickets für die anstehende Herbsttour alsbald sichern. Es dürfte das letzte Mal sein, dass man die BLUES PILLS in überschaubaren Hallen zu sehen und hören bekommt. Durchbruch Hilfsausdruck.

(8,5 Punkte)

Ludwig Krammer

 

Nach weit mehr als einem guten Dutzend Durchläufe bin ich immerhin schwer beeindruckt von Miss Larsson und ihrer grandiosen Backingband. Rein handwerklich gesehen – und erst recht nicht an der Stimme von Elin Larsson – gibt es nichts auszusetzen. Respekt. Dennoch regt sich weiterhin nicht viel. Nicht bei einem erneuten Durchlauf, nicht bei neuerlichen Durchgängen. Der Funke springt längst nicht über, ganz und gar nicht.

Selbst wenn andere Menschen bei dieser nun womöglich gänzlich durchstartenden Retro Combo in Hysterie verfallen sollten, eine musikalische Erregung hört sich anders an, sie fühlt sich anders an. Selbst einer der Höhepunkte – ‚Little Boy Preacher‘ – schafft es nicht, die musikalisch ihm erschaffene Bühne, mit Emotionen auszufüllen, die ganz tief im Inneren berühren sollten. Eine Ballade – eine Ballade geht immer, wenigstens eine Ballade gelingt immer, eine Ballade war immer ein Höhepunkt 70er Scheiben – wie ‚I Felt A Change‘ hätte selbst der Fledermauskopfabbeisser mit etwas mehr Streichern versehen zum Glühen gebracht. Immerhin glüht ‚You Gotta Try‘ etwas auf, sogar die Gitarre schenkt Wärme und hätte sich vollends in einen Rausch spielen dürfen.

Wahrscheinlich dauert diese Retro Welle bereits viel zu lange an, das Feuer ist längst erloschen, alles Pulver verschossen. Denn wenn selbst drittklassige Krautrock-Combos vor über 40 Jahren mehr Feeling und wahre Magie verströmten, dann bedarf es keiner Neuauflage, dann bedarf es keiner weiteren Ausführungen meinerseits.

(6,5 Punkte)

Michael Haifl