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KREATOR – Under The Guillotine – Box Set

2021 (BMG/Warner) – Stil: Thrash Metal ~


1949 hat Essen 573.000 Einwohner, 1955 681.000 Einwohner. Das Bistum Essen, das sogenannte Ruhrbistum wird erst 1958 errichtet. Die Kohleförderung stellt Essen jedoch bei allen Zechen während der Bergbaukrise zwischen 1958 und 1973 ein, einzige Ausnahme ist die Schachtanlage Zollverein. Den Fortschritt im Blick nimmt Essen im Jahre 1977 erstmals den U-Bahnbetrieb auf.

1982 gründen Sänger/Gitarrist Miland „Mille“ Petrozza, Bassist Rob Fioretti und Schlagzeuger Jürgen „Ventor“ Reil die Schülerband TYRANT. Unter dem Namen TORMENTOR bringen diese drei Schüler 1983 ein Demo heraus. Der Name des Demos ist ´Blitzkrieg´. ´End Of The Word´ veröffentlichen sie ein Jahr später als zweites Demo. TORMENTOR erhalten einen Plattenvertrag bei „Noise Records“ und ändern just zu diesem Zeitpunkt den Bandnamen zu KREATOR.

In nur zehn Tagen spielen KREATOR 1985 ihr Debüt in den „CAT Sudios“ von Berlin ein. ´Endless Pain´ schlägt im Underground wie eine Bombe ein. Vom Erfolg beflügelt, von der Plattenfirma schwer bedrängt, muss der Nachfolger schnell eingespielt werden. KREATOR bringen 1986 das Zweitwerk ´Pleasure To Kill´ unter das Volk. Im selben Jahr wird hingegen die Schachtanlage Zollverein, die letzte fördernde Zeche Essens stillgelegt.

Auf der nächsten Single im März 1987 ist bereits Gitarrist Jörg „Tritze“ Trzebiatowski an Bord. Eine erste Tournee bringt KREATOR mit RAGE und DESTRUCTION auf die Straße. Der nächste Kracher steht im gleichen Jahr in Form von ´Terrible Certainty´ an. KREATOR gehören spätestens jetzt zu den führenden Thrash Bands von Europa. Sie begleiten in Nordamerika D.R.I., unterschreiben dort bei „Epic Records“, und in Europa CELTIC FROST. Der letzte Verkaufsschlager wird 1989 tatsächlich von ´Extreme Aggression´, aufgenommen in Berlin und in Los Angeles vollendet, noch übertroffen.

Nach der Europatour mit RAVEN und vor der Nordamerikatour mit SUICIDAL TENDENCIES ersetzt Frank „Blackfire“ Gosdzik von SODOM Tritze an der Gitarre. Der Dokumentarfilm Thrash Altenessen erscheint. Der nächste Single-Hit aus dem nächsten Hit-Album ´Coma Of Souls´ erblickt 1990 das Licht der Welt. Erstmals kommen KREATOR zu ihren Anhängern nach Südamerika.

Die Thrash-Szene erlebt 1992 einen einschneidenden Umbruch. KREATOR werden nicht kommerzieller, nutzen aber Industrial- und Core-Elemente, um mit dem von Tom Morris produzierten ´Renewal´ konkurrenzfähig zu bleiben. 1993 wird die Kokerei Zollverein als aller letzte noch aktive Bergbauanlage stillgelegt. Nach einer Tour mit BIOHAZARD legen KREATOR eine Pause ein.

 

 

Knapp 30 Jahre später haben KREATOR acht weitere Alben produziert und sind immer noch aktiv. 2021 veröffentlichen sie für die wieder wachsende Zahl der Vinyl-Fetischisten eine Sammlung mit den ersten sechs Alben, sozusagen ein Resümee der Jahre bei  „Noise Records“, das Box Set ´Under The Guillotine´.

Für Einsteiger und kleines Geld gibt es die Doppel-LP ´Under The Guillotine – The Noise Anthology´ mit 18 Songs, für die aussterbende Gattung der CD-Sammler eine Doppel-CD-Version mit 30-Songs.

Die „Guillotine“-Box selbst enthält ein 40-seitiges Buch im Vinyl-Format mit Fotos, Zitaten und Songtexten aus dem ersten Jahrzehnt der Band sowie die DVD ´Some Pain Will Last´ mit der Mini-Dokumentation ´From The Vault´ und Live-Aufnahmen aus 1986 und 1993 sowie zwei zuvor unveröffentlichten Audio-Konzerten und einem Andy Sneap-Remix von ´Live In East Berlin 1990´, zudem einen USB-Stick als „Demon“ Figur, inklusive aller MP3s der sechs „Noise“-Alben in ihren Expanded-Versionen, denn in den Benzinkutschen hat wohl niemand einen Plattenspieler und die Industrie hat den Einbau von Kassettenradios und CD-Playern im Auto bereits fast eingestellt. Für die wahren Oldschooler mit Kassettenradio im alten Opel Omega gibt es in der Box eine Neuauflage der ´End Of The World´-Demo-Kassette und natürlich das Vinyl, die sechs Langspielplatten von ´Endless Pain´ bis ´Renewal´:

 

Endless Pain (1985)

(Swirl-Vinyl mit originalem Artwork)

 

´Endless Pain´ ist das charakteristische Debüt, es ist wild und roh, zehn Songs in 38 Minuten. Die Aggressivität der 18- bis 19-jährigen, beinahe noch jugendlichen Rebellen ist zu jeder Sekunde spürbar. Auch wenn einige Songs im Midtempo starten, drehen sie kurzerhand zu voller Power auf.

Obwohl dieses Debüt aus heutiger Sicht natürlich nicht KREATORs bestes Werk bleiben sollte, entgegen der Regel, das erste Demo oder die erste Scheibe sind immer die besten, wird es genügend Echtmetaller geben, die nach diesem furiosen Auftakt, gespickt mit Versen über Tod und Krieg, etwa ´Cry War´ und ´Total Death´ („Politician warpigs got only shit in their heads“), sowie über den Teufel und seine Dämonen, etwa ungefähr der Rest, also oftmals echt okkult, dämonisch und evil, von diesen bösen Rabauken für alle Zeiten befriedigt sind.

Die Gesangsaufteilung zwischen Ventor und Mille – erst Thrash-Geschrei von Ventor (Lieder 1, 3, 5, 7 und 9), dann bestialisches Röcheln von Mille (Lieder 2, 4, 6, 8 und 10) und in weiterer Folge dementsprechend im Wechsel – sorgt zudem für eine ungewöhnliche Breitwandwirkung innerhalb des Headbangens in Luft und an Wand.

 

 

´Endless Pain´ ist der böse Eröffnungsklassiker. Noch böser und schneller sind ´Total Death´ und ´Bonebreaker´. ´Son Of Evil´ klingt nach Speed-NWoBHM, ´Storm Of The Beast´ vielmehr klassisch-metallisch und ´Cry War´ besitzt gleichfalls ein nahezu angepasstes Hardrock-Riff. Im Spirit von VENOM kracht ´Tormentor´ und in dem von SLAYER ´Dying Victims´ aus den Boxen – und den Klassiker ´Flag Of Hate´ („Time to raise your flag of hate, destroy the world is our only aim, to strike them down is the only way to make ´em dead and make ´em pay.“) nehmen die weiß getünchten Nordlichter noch heute in ihr Abendgebet auf, schließlich dienen KREATOR seit 1985 der „Second Wave of Black Metal“ als Inspirationsquelle.

Alles klingt ungeschliffen und erbarmungslos, ja chaotisch, selbst Milles Soli. Die richtungsweisende Einmaligkeit eines kriegerischen Schlagzeugs, hysterischen als auch bitterbösen Geschreis sowie eine tödliche Produktion von Horst Müller (HELLHAMMER, DESTRUCTION, IRON ANGEL, RUNNING WILD, WARRANT) machen aus einem Debüt einen Klassiker.

Nach HELLHAMMER und BATHORY anno 1984 setzen KREATOR im Jahre 1985 in Europa neue Maßstäbe in Sachen Härte.

 

Pleasure To Kill (1986)

(Splatter-Vinyl mit originalem Artwork)

 

Können Künstler bei ihrem Debüt zumeist aus dem Vollen schöpfen – die schlechten ins Kröpfchen, die guten ins Töpfchen – sieht es bei dem Nachfolger meist nicht so rosig aus, vor allem wenn diese, wie bei KREATOR, von ihrer Plattenfirma gedrängt werden, umgehend wieder ins Studio zu gehen. Ein Schnellschuss ist rasch produziert.

KREATOR wählen bei ´Pleasure To Kill´ zumindest den einzig möglichen Weg der Weiterentwicklung. Milles Gesang klingt noch böser und dunkler als zuvor, Ventor haut derweil so schnell er kann auf sein Schlagzeug ein. Chaotisch ja, aber mit purer Gewalt alle Extreme auslotend. Während in Übersee im gleichen Jahr SLAYER (´Reign In Blood´) und DARK ANGEL (´Darkness Descends´) den Thrash auf den Gipfel tragen, loten KREATOR in Europa das seinerzeit mögliche Maximum zwischen Thrash und Proto-Death Metal aus. Sie stellen sich zu diesem Zeitpunkt in Sachen Erbarmungslosigkeit über alle anderen Teutonen-Thrasher. Sie sind so brutal, dass die Melodien beinahe in Vergessenheit geraten. Da selbst in den Texten die pure Gewalt und der pure Hass lebt, ist es nicht verwunderlich, dass Herr Petrozza die Texte der ersten beiden Scheiben heutzutage hier nicht abgedruckt haben will.

 

 

Diese extreme Brutalität fördert vermeintlich keine Abwechslung zutage, obgleich klare Unterschiede zwischen den aufgebauten Abrissbirnen auszumachen sind. ´The Pestilence´ zeigt („There must be a parasite in their brains. Terror is their only aim. Gods of war and fallen kingdoms prayed for it in times of decay. A curse of the unity of the undead has reached the poisoned souls. Middle ages time of the pestilence, cruelty of unreached thrones. The Pestilence!“), im Gegensatz zum SLAYER-like ´Pleasure To Kill´ („My only aim is to take many lives, the more the better I feel, my only pleasure is to hear many cries from those tortured by my steel. The colour of your blood from your open body is all I wanted to see. Tasting the blood from your lips as you die means satisfaction to me. Pleasure to kill!“) bereits erste Ansätze späterer Thrash-Kunst. Nur wer sich jedoch diesem schonungslos brutalen, wütenden und destruktiven Thrash Metal zum Zeitpunkt seines Wutanfalls hingibt, erkennt auch die fein aufgebauten Kompositionsstrukturen mit Intros und Outros, mit Bridges und bestens eingepflegten Gitarrensoli.

Als Paradebeispiel muss der echte Opener ´Ripping Corpse´ („Eternal terror eternal horror, eternal wickedness, eternal death, life taking bloodrain neverending death-pain. No one will care when you die.“), nach dem melodisch-sinfonisch antäuschenden Intro ´Choir Of The Damned´, genannt werden. Simple und gradlinige Gitarrenlinien werden zum Nährboden für späteren Death und Black Metal. Ein ´Death Is Your Saviour´ („Death is your saviour, you’re gonna die, burn in the fire, scream across the sky. Death is your saviour, you’re gonna die. All the survivors can hear you cry.“) lotet hingegen die Geschwindigkeit des Gesangs aus und ´Command Of The Blade´ („Warrior of the king, mission to kill, death to all, his aim is to give you. Command of the blade. When you fall his mission is complete, he’s gonna get you. Command of the blade!“) geht als Proto-Death Metal durch, der Gesang von ´Under The Guillotine´ ohnehin.

Das fehlende Bindeglied zwischen ´Seven Churches´ von POSSESSED aus dem Jahre 1985 und dem Death Metal kann mit ´Pleasure To Kill´ betitelt werden.

 

Terrible Certainty (1987)

(Splatter-Vinyl mit originalem Artwork & Inner Lyric-Sleeve)

 

Während sich die wahren und harschen Thrash-Klänge 1987 bereits auf dem Rückzug befinden, die US-amerikanische Riege in den kommenden Jahren nicht mehr die zuvor gewählte Brutalität an den Tag legen wird – METALLICA 1988 mit ´… And Justice For All´, SLAYER 1988 mit ´South Of Heaven´ oder DARK ANGEL 1989 mit ´Leave Scars´ – wählen KREATOR den Pfad zum reinen Thrash Metal.

Der für den Black und Death Metal vorbereitete Acker bleibt am Rande des Geschehens brach liegen. Die pure Wut und vor allem die Wucht sind ebenso gegangen wie die Dunkelheit und diese manische Brutalität. Etwas mehr als eine halbe Stunde lang wütet ´Terrible Certainty´ mit purem Thrash. Die Brachialität des Vorgängers weicht perfekt geschliffenen Stahlgeschossen für neue Albtraumgeschichten. Aus dem Chaos erwächst in jenen Tagen eine gewisse Finesse heran. Heutzutage spricht man bei solchen Kompositionen von klassischen Thrash Metal-Songs mit repräsentativen KREATOR-Riffs.

Die Produktion übernimmt zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Harris Johns, sondern Roy Rowland. Rasende Express-Riffs, aber weniger Soli, und ein drückendes Schlagzeug prägen das Soundbild. Dem Bass fehlt hingegen, beinahe wie ein Jahr später auf dem berühmteren ´…And Justice For All´, sein Gesicht, so dass ´Terrible Certainty´ als ein allzu schnell übersehenes Lehrstück unter den frühen Meisterwerken aus dem Hause KREATOR bezeichnet werden muss.

 

 

Wiewohl beinhaltet das Werk herausstechende Thrasher wie den Opener ´Blind Faith´, den Titeltrack ´Terrible Certainty´, einen bis in die Gegenwart gern gespielten Live-Classic, und den mächtigen Rausschmeißer ´Behind The Mirror´ („Entering a part of your mind, where reality is lost and time stands still, dreams and nightmares are one, only hell knows if this is real. No human being has been here before, not a single soul has seen this before, you are entering a new world and you are the first, the mysteries of life becoming clearer. Behind the mirror!“), der auch persönliche, überraschend menschliche Probleme anspricht.

Erstmals widmen sich KREATOR neben Mord und Totschlag, Barbarei und Plünderung immerhin auch ganz profan der Umwelt, etwa in ´Toxic Trace´ („Pesticide in torrents, how fast it flows, total pollution the earth can’t stand much longer, chemical industry brings new diseases, the fear of self-destruction is growing stronger, nuclear waste in an uncontrolled deluge, reduces the earth to an airless planet, reformation lies far away, now is your only chance to save it. Contamination in every place. Condemn the human race. Everything will decay. Broken down by toxic trace!“). Weitere Highlights, wie ´Storming With Menace´ mit seinem Doppelgitarrenangriff, dürfen nicht unerwähnt bleiben. Die wenigen, eher mittelschnellen Songs sind dagegen ´No Escape´ sowie der rockende Thrasher ´As The World Burns´, bei dem Ventor diesmal seinen einzigen Einsatz am Mikrofon hat.

 

 

Extreme Aggression (1989)

(Bi-Coloured-Vinyl mit originalem Artwork & Inner Lyric-Sleeve)

 

Waren KREATOR mit ihren ersten beiden Werken Vorreiter in Sachen Brutalität und Aggressivität, werden sie es mit ´Extreme Aggression´ in Sachen First-Class-Metal. Die Extreme hatten die Essener bereits zuvor ausgelotet und die rohe Brutalität teilweise in einem einfachen Soundbild dargelegt. Vormals zogen sie wie Barbaren mit der Axt in die Schlacht, 1989 haben KREATOR die polierte und geschärfte Schwertklinge in der Hand. Mille wischt sich hierfür den Schaum vor dem Mund ab und perfektioniert seinen Gesangsstil des Schreiens. Seine Texte sind mittlerweile sogar äußerst gesellschaftskritisch. Waren die ersten beiden Scheiben eine brutale Schändung in den Sitten des Mittelalters, tönt ´Extreme Aggression´ wie ausgelassener Sex der Achtzigerjahre.

Obwohl KREATOR längst nicht zu den technischen Thrashern zu zählen sind, gehört das Chaos der Vergangenheit an. Die Kompositionen sind resolut und interessant zugleich, sie sind zudem mit einer Langzeitwirkung recht eingängig geraten. Trommelattacken, schnelle Riffs und schwere Mosh-Power werden in einem leicht kälteren und gar mechanisierten Sound dargeboten, bei dem Gitarren und Gesang dominieren, aber alle Instrumente ihren Platz erhalten. Die klare Produktion von Randy Burns stellt obendrein ein Quäntchen an Melodie zur Verfügung.

Selbst wenn beim Thema Geschwindigkeit nicht von Midtempo gesprochen werden darf, fehlt den Songs dennoch das rasende Element der Vorgänger und überraschend Ventor vollständig am Mikrofon. Die-Hard-Anhänger der ersten beiden Scheiben reden ohnehin längst vom Ausverkauf und singen den Text von ´Love Us Or Hate Us´ mit: „Sounds without feeling, energy of agressions from money hungry brains and not from the heart.“

 

 

Interessanterweise ist aber eigentlich jedes KREATOR-Album dieser Frühwerke bei Veröffentlichung als das beste seiner Zeit anzusehen, solange sich der Headbanger mit jeder gezeigten Weiterentwicklung anfreunden kann. Freilich produzieren KREATOR weiterhin noch Wut in kleinen Dosen für Menschen mit Wut im Bauch.

Songs wie ´Betrayer´, eines ihrer schnellsten und schönsten Vorschlaghammermethoden, und ´Extreme Aggressions´ („Extreme aggressions, seeing you suffer brings pleasure to me. Extreme aggressions, my aggressions became too extreme to be kept under control.“) sind Klassiker, die für Aggressivität und Melodie stehen. Während ´No Reason To Exist´ das Riffing dieses Albums galoppierend und leicht verständlich präzisiert, folgen mit ´Stream Of Consciousness´ („There is no differnce between death and life, just a circle to be closed by time, pretend death is the end of the line.“) und ´Bringer Of Torture´, lyrisch über Kindesmissbrauch, jedoch musikalisch an alte Tage anknüpfend, eingängige Uptempo-Nummern. ´Some Pain Will Last´ („Eternal slaves of morbid minds, helpless and blind, dealers of heartless oppression, controlling mankind, resistance is quelled, it’s birth incomplete, no chance to succeed.“) bleibt zurückhaltender auf der geschärften Spur des Werkes, derweil ´Don’t Trust´ als heimlicher Favorit wieder einmal Echtmetall-Töne einbringt.

Postwendend klettert der Thrash Metal aus Essen auf der Popularitätsskala weltweit ganz nach oben.

 

Coma Of Souls (1990)

(Splatter-Vinyl mit originalem Artwork & Inner Lyric-Sleeve)

 

´Coma Of Souls´ stellt die Krönung in der Entwicklung von KREATOR dar. Massive Gitarren legen den Grundstein für dieses Thrash-Filet aus Essen. Die Mischung aus Thrash-Melodic und Thrash-Brutalität präsentieren KREATOR 1990 in konstanter Vollendung. Mille, ein Biest in der Gestalt eines Sängers, beißt mit seinen kritischen und politischen, nicht mehr kindischen und urplötzlich intelligenteren Texten wie eine Schlange zu und verspritzt dabei im bissigen und wütenden Gesang das Gift. Frank „Blackfire“, der von SODOM und ihrem 1989er Klassiker ´Agent Orange´ zu KREATOR stößt, erweist sich als perfekter Part an der Gitarre und trägt die vorgefundene Finesse kunstfertig zum Gipfel. Die Soli klingen klassisch und ungekünstelt. Ventors Schlagzeug scheint zu brennen und der Bass von Rob erhält in der fantastischen Produktion von Randy Burns endlich sein Gesicht. Die Kompositionen verlieren durchgehend nie an Härte, auch wenn sich die Songs in entsprechenden Abschnitten, zwischen purer Aggressivität und mittelschneller Geschwindigkeit, in Zurückhaltung üben möchten, können sie die Intensität und Heavyness nie verbergen. Die Songs besitzen von ihrem Anfang bis zum Ende, vom ersten bis zum letzten Lied, einen wunderen Fluss – perfekte Songs mit perfekten Tempowechseln im perfekten Flow. 1990 gibt es keine zweite Meinung, ´Coma Of Souls´ ist einer der größten Thrash Metal-Klassiker aller Zeiten.

 

 

Die pure Vernichtung überdauert 45 Minuten. ´When The Sun Burns Red´ besitzt bereits dieses klassische, akustisch geprägte Intro eines All-Time-Classics und ist zudem KREATORs früher Beitrag zur Problematik der globalen Erwärmung („Savage heat is searing, global warming has begun, Mother Earth is reeling, no protection from the sun, forest fires are raging, while the rivers turn to ice, foolish man creating, Mother Nature’s cruel demise.“). Auch ausführliche Lieder wie der Titelsong ´Coma Of Souls´, der galoppierende ´Hidden Dictator ´, das hochaktuelle ´Material World Paranoia´ („Material world paranoia, corporations rule the earth, material world paranoia, enslavery begins at birth, but the promise of a better future is a lie.“) sowie ´Agents Of Brutality´ („Manic. Panic will you suffer endlessly from agents of brutality.“) setzen Maßstäbe in Abwechslung und kompositorischem Reichtum. Selbst mittelschnelles Liedgut, etwa die magischen und melodischen Thrasher ´Terror Zone´ („My heart turns to stone. God, I’m all alone, Oh, no! All alone“) und ´Mental Slavery´ sowie der eingängige Anti-Nazi-Song ´People Of The Lie´ sind ebenso Ausnahmelieder wie die klassischen KREATOR-Songs, die überhastigen und kurzen Stücke ´World Beyond´ und ´Twisted Urges´.

 

Renewal (1992)

(Swirl-Vinyl mit originalem Artwork & Inner Lyric-Sleeve)

 

Zu Beginn der Neunzigerjahre ziehen Alternative Rock-Sounds in alle musikalischen Bereiche ein. Vom neuen Sound der Dekade blieb KREATORs ´Coma Of Souls´ noch verschont. Die gesamte Thrash Metal-Szene hingegen über die folgenden Jahre nicht. Groove Metal und Nu Metal sind schlagartig hip und der Thrash Metal fällt diesen allerorts zum Opfer. Selbst METALLICA und SLAYER können nicht widerstehen, auf den fahrenden Zug dieser Modeerscheinung zu springen. KREATOR entscheiden sich abermals konsequent für ihren eigenen Weg und erschaffen das Kunststück ´Renewal´.

Das 1992er Werk steht einmalig wie ein matt-schimmernder Fels in der Diskografie von KREATOR. Es ist ein Werk, das Aufmerksamkeit benötigt, sofern es nicht bereits in den frühen Neunzigerjahren ausgiebig erkundet und verinnerlicht wurde. Vielleicht benötigt es bei den ersten Kontakten auch eine wehmütige, trübe und melancholische Stimmung oder einfach nur die richtige Dosis an Marihuana, um mit der Wut aus ´Renewal´ heraus in eine andere und vorteilhaftere Geistesebene bugsiert zu werden. Denn es folgen knappe 40 Minuten experimenteller Kunst in einer einmaligen Atmosphäre.

´Renewal´ ist weder ein Hardcore- noch ein Industrial Metal-Album jener Tage. Es besitzt aber in seiner beeindruckenden, womöglich depressiven Atmosphäre Merkmale des Post und Crust Punk sowie des Industrial Metal. Der Thrash Metal ist aus dem Hause KREATOR selbstredend nicht verschwunden, die rasende Geschwindigkeit jedoch beinahe schon. Der gesamte Schlagzeug-Sound ist unwahrscheinlich trocken und prachtvoll. Die Gitarren kämpfen sich schmutzig durch schweres Dickicht. Milles Gesang kommt eher einem Zermalmen gleich. Gleichwohl besitzen alle Kompositionen echte Emotionen, keinesfalls künstliche, alle dem Anschein nach monoton, mit kalten Gefühlen, aber wahnsinnig intensiven.

 

 

Kein Lied klingt wie das andere, ohnehin keines wie es in den vergangenen Jahren bislang von KREATOR aus den Boxen krachte. Das ´Winter Martyrium´ gehört – wie der rohe Blitz-Thrasher ´Europe After The Rain´ („Monotony provokes the escalation, terifying industry protect departed nations, can’t get back they’re going insane, leaving Europe after the rain.“) – zu den neuen Klassikern. Die ´Realitätskontrolle´ ist ein einminütiges industrielles Maschinenfeuer und die ´Depression Unrest´ ein Eroberer im Gleichschritt, dem beizeiten das Korsett lockerer sitzt. Zwischen Doom-Besinnung und einem Thrash-Massaker pendelt ´Reflection´ („No gods, no dictators. Don’t force me to return. No gods, no frustration. Don’t force me to return. To return.“) hin und her, während sich ´Karmic Wheel´ schwerfällig und hypnotisch zeigt. Die Hymne ´Renewal´ („Never to be seen again, ever to release the pain. Renewal of our minds. Renewal of my mind.“) packt schließlich doch ein fettes Thrash-Riff aus und ´Brainseed´ gleich noch ein paar Schläge gegen echte Metallrohre dazu. Metal on Metal.

Thrash Metal – unter der Guillotine.