Livehaftig

ALBEZ DUZ, CRESTFALLEN QUEEN, MORAST, MORIBUND MANTRAS

~ 25.05.2019, clubCANN, Stuttgart ~


Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. Plan war ein metallisch glitzernder Vor-Wahl-Abend in der Landeshauptstadt, gemeinsam mit Freunden ein gepflegtes, vielfältig besetztes und gut besuchtes Doomfestival geniessen, brandneu veröffentlichte Platten erstmals live erleben, und überhaupt ausgiebig das Leben feiern. Aber dann: einer muss arbeiten, der Zeitplan verschiebt sich, die Autobahn ist viel zu voll und ich verpasse gleich mal die erste Band, MORIBUND MANTRAS, komplett und erreiche den clubCANN erst nach Mitte des MORAST-Sets. Egal, Hauptsache da!

Doch die sehr übersichtliche Füllung der Halle ist erstmal äusserst ernüchternd. Okay, Beginn war mit 18 Uhr sehr früh angesetzt, aber mittlerweile ist es normale Konzertzeit – und wo bitte sind die ganzen Stuttgarter Metalfans? Auf jeden Fall nicht vor Ort. WTF? Ich verstehe das nicht. Vier Bands, die ein sehr weites Spektrum abdecken innerhalb eines Metalgenres, über das ein geschätzter Kollege kürzlich so treffend sagte: „Sind wir nicht alle Doomköpfe?“. Na ganz offensichtlich nicht, zumindest nicht ausreichend genug, um sich einen Samstagabend lang mit exquisiter Mucke beschallen zu lassen. Nee – Quatsch! Nochmal neu: …um sich einen Abend lang von exquisiter Mucke in bessere Welten entführen zu lassen!

Denn das war es schlussendlich, eine Reise mit allen Sinnen, ein Trip in andere Sphären, tief runter zum Bodensatz der Psyche – wobei wir auch schon gleich bei MORAST wären. Die Rheinländer zelebrieren einen dunklen, kalten Doom, der um schwarzmetallische Klangwände kreist, sich auch gern mal in bodenlose Tiefen bohrt und todesmetallisch ins Hirn fräst. Das Tempo teils extrem ausgebremst, dann wieder mit hypnotisch schnell wiederholten Riffs angezogen, kostet jeder einzelne Saitenanschlag die breitbeinigen Akteure auf der Bühne sicht- wie spürbar so viel Kraft, wie er auch gleich wieder zurückgibt – zumindest dem Publikum, das sich in eine fast genauso tiefschwarze Trance wie die leider äusserst sparsame Bühnenbeleuchtung einschwingt. Denn eines muss man den anwesenden Zuschauern lassen: wer heute hier ist, ist auch voll dabei!

Bandboss R bearbeitet seinen Bass mit einer fast beängstigenden Vehemenz, jeden Moment könnte er eine Saite herausreissen, das hier ist kein Spass, hier geht es um alles – oder nichts. J ist an der schön verzerrten Gitarre genauso wie L an den extrem fetten Drums für die Tempowechsel zuständig, und der eher todesmetallisch sprechsingende Vokalist F klammert sich an sein Mikrophon wie an die allerletzte Hoffnung, aus dem Schlund des Verderbens wieder an die Oberfläche zu gelangen. Vertonter Nihilismus. Zähflüssig, fesselnd, intensiv, fett. Genau der richtige Sound, um hier endgültig und fest geerdet anzukommen. Zu schade, dass ich die erste Hälfte des Auftritts verpasst habe. Das muss andermal unbedingt nachgeholt werden!

Setlist MORAST:
November
Purging
Cut
Crescent
RLS
Ancestral Void

 

Nach einer sehr flotten Umbaupause ist die Bühne nun in Kerzenlicht getaucht, das Backdrop zeigt die drei ´Queen(s) of Swords´ des einen Tag zuvor veröffentlichten Albums (Review siehe hier) so lebendig, als ob dort oben tatsächlich Statuen stünden, und dass sich die Atmosphäre komplett gewandelt hat liegt nicht nur an den Räucherstäbchen. Die Gastgeber CRESTFALLEN QUEEN bringen uns die Wärme und Vielfarbigkeit des prallen Lebens mit ihrer Musik zurück, die zwischen 70ies Okkultrock, mystischem vielstimmigem Doom und dunklem Gothic Metal oszilliert. Es ist tiefsinnige, oft düstere, aber genauso lebensfrohe Mucke, die genau wie bei ihren Vorgängern kaum einzuordnen ist in fixe Genredefinitionen, die vor allem gefühlt werden will, und die die Zuschauer tief in die von ihnen erzählten tragischen und aufwühlenden Geschichten antiker Heldinnen hineinzieht.

Die Stuttgarter steigen, wie es sich für eine Record Release Party gehört, mit den ersten drei Songs ihres Debüts ein, die gleich die ganze Bandbreite ihrer Ausdrucksmöglichkeiten aufzeigt, schwere Doomträgheit wechselt sich ab mit flotten NWoBHM-inspirierten Headbang-Rhythmen, und trotz anspruchsvoller Kompositionen sind sie heute vielleicht diejenigen, die stilistisch am nächsten dran sind an der hohen Schule des Doom.

Sängerin E ist das E-nergiebündel auf der Bühne und sticht ihre fingerfertigen Bandkollegen in Punkto Headbanging und Bühnenacting klar aus, sie wirbelt zwischen Klaviatur, Tamburin und Mikrophon hin und her, vor allem jedoch trägt ihre jeden im Wortsinn wegblasende, enorm kraftvolle und zwischen sanften oder akzentuiertem Klargesang bis krassem Growlen und Schreien alles unfassende Stimme diesen Auftritt. Gänsehaut garantiert!

Die Songs des Stuttgarter Quintetts sind lang und windungsreich, und mit jedem Song werden wir mehr hineingesogen in ihr unheiliges Universum aus himmlischen (Twin-)Gitarrenmelodien, die menschliche Abgründe umschreiben. Ein mitreissender Trip! Und mit dem letzten Druiden kommt schliesslich sogar noch ihr Demo zu Ehren.

Viel zu schnell ist jedoch alles vorbei, die Band hört auf, als die Stimmung ihren Siedepunkt erreicht, und kommt wegen der rigiden Zeitplanung im Club auch nicht wieder heraus, als wir ausdauernd nach Zugaben rufen. Doch, um nochmal einen schlauen Spruch zu strapazieren: man soll eben aufhören, wenn es am schönsten ist. Und auch dieser Auftritt schreit nach baldiger Wiederholung!

Setlist CRESTFALLEN QUEEN
Umbra
Queen Of Swords
Eurydice’s Lullaby
Lethean Bed
The Last Druid

 

What, ist die Pause denn schon wieder vorbei? Es tönt beim Luftschnappen so richtig powervoll doomig aus der Halle, also nix wie zurück! Der Headliner ALBEZ DUZ hat die Anfangs-80er, als sich klassischer Doom und NWoBHM gegenseitig befruchteten, zurück auf die Stuttgarter Bühne gebeamt, und die Berliner steigen gleich mit schmissiger Geschwindigkeit in ihr Set ein.

Die zum Quartett herangewachsene Band hat heute ebenfalls einige Premieren zu verzeichnen: ihr erster Auftritt in diesem Jahr, die verspätete Release Party für den Ende April veröffentlichten vierten Langdreher ´Enigmatic Rites´ (Review ist in Arbeit!), von dem man auch gleich die ersten beiden Songs bringt, und Sänger Alfonso spielt zum ersten Mal live Rhythmusgitarre. Und das erweitert die Aktionsmöglichkeiten dieses geborenen Frontmanns noch mal deutlich. Man merkt ihm an, dass es ihm ordentlich Spass macht, statt „nur“ zu singen (was bei ihm allein schon durch seine mächtige, extrem wandelbare und bisweilen abgrundtiefe Stimme ein Erlebnis ist!) nun auch richtig mitspielen zu dürfen, mit seinem Verstärker rückkopplungstechnisch zu flirten und mit der Gitte zu tanzen. Perfektes Posing und vor allem zusätzliche Livepower für die Band!

Aber auch Neuzugang Julian (statt Julia…) an der Leadgitarre überzeugt nicht nur durch stilgerechte Schlaghosen, sondern unterstützt Alfonso als counterpart im Gesang und bringt vor allem einen wunderbar ausdrucksvollen, warm-verzerrten und höhensicheren Stil mit ein, der das Klangbild noch kraftvoller und weiter macht als es bisher schon war.

David gibt den dauerheadbangenden Brummelbär am massiv-satten Bass, und mancher ALBEZ DUZ-Neuling wird sich wundern, wieso sich immer mal wieder alle zum Schlagzeuger umdrehen und Blickkontakt suchen, hat hier doch der Bandleader die Stöcke und rhythmischen Fäden fest in der Hand. Eugen ist Zentrum und treibende Kraft der Band, und führt diese druckvoll durch das Set, das keinen Doomjünger mit erhobenem Haupt stehen lässt, und auch den gemeinen Metaller mitnimmt, beinhaltet die neue Scheibe doch deutlich mehr Heavy Metal-Anteile als die noch viel stärker 70ies-Psych-orientierte ´Wings Of Tzinacan´. So entspricht die Setlist einem Birmingham-Best-Of im Mix mit Bandklassikern wie ´Mictlan´ und ´Servants Of Light´.

Leider ist auch ihr Auftritt viel zu kurz,und das begeisterte Publikum fordert lautstark Fortsetzung. Diese wird auch gewährt, und dauert exakt 15 Sekunden – bis Eugens Fussmaschine auseinanderfällt. Uff. Zu schade, dass ein so vielversprechender Abend nun schon vor halb Elf enden muss. Wo bleibt denn da der Rock’n’Roll??? Aber glücklicherweise gibt es ja noch die After Show-Party in der Innenstadt, die zum Ausgleich lang, heiss und feucht ausfällt. A night to remember…

 

 

Setlist ALBEZ DUZ:
Rites Of Hidden Souls
Wandering Soul
Our Lord The Flayed One
Mictlan
Servants Of Light
+ 15 sekündige Zugabe…

 

(PS: Das anfangs erwähnte Thema „Glitzer“ wurde dann tatsächlich noch eingelöst. Mein verhaftetes MORAST-Shirt mit seinem im Zwielicht der Halle als „bronzefarben“ angepriesenem Logodruck erweisst sich in der Morgensonne des Wahlsonntags nämlich als purer solcher. Let Black Metal shine!)

 

https://www.facebook.com/events/423729491534713/