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TOUCHED – Back Alley Vices

~ 1984/2023 (Cult Metal Classics) – Stil: NWoBHM/Heavy Metal ~


Mitte bis Ende der 90er hatte ich in meiner Lieblingsstadt Lübeck (Marzipan rules) eine Brieffreundin, die Annika. Die hat mir eines Tages vom Laden „Woanders“ erzählt, den es 2023 immer noch gibt und hoffentlich noch lange geben wird. So haben 1997 meine damalige Perle und ich Annika in Lübeck besucht, sind mit ihr herumgetingelt und letztendlich im Plattenladen gelandet. Und da sah ich dieses blau gestaltete Kleinod von hässlichem Plattencover und las den Namen und wusste, die will ich. Irgendwie hat das an dem Tag aber nicht geklappt, so gab ich Annika die 10 Mark für die Platte und den Auftrag, sie mir alsbald aus dem Laden zu holen, ich würde sie dann bei ihr einsammeln. Das war 1997.

26 Jahre später sitzt Annika immer noch auf meinem 10 Mark herum, die ´Back Alley Vices´-LP von TOUCHED, dem NWoBHM-Geheimtipp auf „Ebony Records“, aus dem leider nie was Gescheites geworden ist, hab ich seither nie wieder für solch einen genialen Kurs gesehen, weder in Läden, auf Flohmärkten, noch Plattenbörsen und bei fucking eBay und Discogs schon gar nicht und ich hatte die Band auch total vergessen. Bis Todd von „Ripple Music“ in der Facebookgruppe des Labels und seiner Fans von der Band schwärmte. Geiler, rauer Britenheavymetal, der zwar keine Besonderheiten gegenüber dem Genrestandart aufwies, aber unheimlich Freude bereitet, mit all seinen Ecken und Kanten.

Sofort war der Saschbär wieder heiß (SIR LORD DOOM waren entsprechend nicht die drei von meinen Altvorderen 1974 beim Amt eingetragenen Vornamen und als Girl wäre ich ohnehin Bianca geworden) und just ein paar Tage später kündigten Manos Koufakis und seine Freunde von „Cult Metal Classics“ an, sie würden den beiden TOUCHED-Alben eine Neuauflage verpassen. 2022 haben sie selbiges mit den „Ebony Records“-Kollegen BLADE RUNNER vorgemacht, ich hoffe auf SAMURAI, DEMON EYES, SYRON VANES und NIGHTMARE in der Zukunft.

Also, Annika bekommt die 10 Mark geschenkt, kann Sie eh nix mehr für kaufen (selbst Kippen kosten schon die gleiche Summe in Euro) und ich komme zur Musik auf ´Back Alley Vices´ und meiner Begründung, warum Ihr als 80er Heavy Metal und NWoBHM-Freunde sie haben solltet. Zum Zweitwerk ´Death Row´ hab ich an anderer Stelle schon ein Review verfasst.

Die Songs, das geht beim Opener ´Warrior´ schon los, haben diese typische NWoBHM-Seele und eine tiefe Verwurzelung im britischen Hardrock von, wir sprechen von 1984, den Tagen zehn Jahre zuvor. Die Abwechslung kommt nicht gerade zu kurz. ´Warrior´ hat flotte, episch stampfenden und wogende und sogar verträumte Parts, die alle so ganz natürlich ineinanderfließen. Die Leadgitarre von John Hull, ex-ARAGORN, zaubert wunderbare Soli und standfeste Riffs. Der typisch verwaschen rauschende „Ebony“-Sound verdeckt die Feinheiten, macht aber erst das Album zu dem, was es ist. Jeder vermeintliche Makel ist ein Aspekt der absoluten Eigenständigkeit.

Nun gut, ´Heart Breaker´ hat die urtypischen NWoBHM-Melodien, einfach, erdig und doch wie kleine Hymnen den Herzschlag hochfahrend. Aus den treibenden Momenten heraus, die sehr straight, aber gut auf den Punkt gespielt sind, bauen sie auch mal Stops und Breaks ein, die den Hörer kurz aufschrecken, aber im Fluss der Musik bleiben.

TOUCHED sind spielerisch absolute Hexer, Sänger Ronnie Wolstenholme hat eine angeraute, helle und freche Stimme, die bestens zum Material hier passt. Er kann aber auch größere Melodiebögen zelebrieren, wie im Epic ´Warrior´, ich erwähnte bereits. Vorallem ist er das charismatische Gesicht der Band.

Die Mittelmaßkritiken von angeberischen NWoBHM-Sammlern in, für den Moment Mitte bis Ende der 90er aber wichtigen NWoBHM-Sammlerbüchern können mich mal, nochmals lass ich mich nicht davon beeinflussen.

TOUCHED sind ein ungeschliffener Diamant. Alleine Hulls Soli sind so intensiv, mal eher eine kleine zusätzliche Melodie im Song, mal wild und eruptiv brodelnd. Und sie haben natürlich ein Repertoire mit kräftigen rauen Headbangern und tatsächlich melodischeren Heavy Rockern, die fast fröhlich wirken. So das trotzdem treibende ´Dream Girl´. Da geht bei den liebenswerten Melodien die Sonne auf, ich sehe tausende Mädels in Castle Donnington oder sonstwo bei den großen Festivals dazu tanzen.

Schön wäre es gewesen, aber TOUCHED haben nie die regionalen Pubs, kleineren Konzerthallen, Scheunen und lokalen Open Airs (wahrscheinlich noch mit freiem Eintritt) und somit die regionale Underground-Szene so richtig verlassen. Dafür ist ihre Musik wohl zu bodenständig, zu verwurzelt. Ganz große Rockstargesten traue ich Sänger Ronnie zwar zu, aber so räudig, wie die „Ebony“-Platten leider klingen, haben die US geprägten Mainstream Rock Kids doch gar nicht die Chance gehabt, ihre Herzen zu öffnen.

Dabei hatten TOUCHED ja eine Menge Kraft, nur eben war ihr Ansatz nicht der von erfolgreichen Bands wie IRON MAIDEN oder SAXON und gar den 70er Legenden JUDAS PRIEST.

Statt den ollen Muff als Ansatz für komplett neue Ideen zu nehmen, haben TOUCHED einfach UFO, nur eben schneller, kräftiger und etwas frecher gespielt. Und was heuer wieder die Kids begeistert, war Angesichts von SLAYER, VENOM, CELTIC FROST und BATHORY 1984 wohl eher ein Abtörner im Underground und trotzdem zu dreckig für den Mainstream.

Und ich sitz hier so und denk mir, was eine Perle. Heavier und wilder als die meisten zu spätem Kult avancierten NWoBHM-Pubrocker mit ihren Singles. Definitiv frischer und vielseitiger auch. Die Speedmetal Nummer ´I Got You´ schädelt mit ihren ungestümen Riffs und einfachen, aber packenden Melodien herrlich drauflos. Und gerade der Drummer leistet Schwerstarbeit, die sogar mehr als nur solide hin zu virtuos tendiert. Das Solo von John Hull explodiert schrill und Flammen schlagend aus den Boxen. Killer Song. Wieder ganz typisch für die „Ebony“-Klitsche, auch dieses leicht schrille Element. Aber bei Odin, eine Hammernummer.

Und das getragene Hardrockstück ´Running´ kann locker als Epic-Hymne durchgehen. Leicht melancholisch bei den Riffs und Melodien, aber einen Urzusammenhalt der Heavy Metal-Community ausdrückend und im weiteren Verlauf um das wieder komplett entfesselte und doch super einprägsame und prägnante Solo herum nochmal treibender werdend, ist das hier ein Kultsong für die NWoBHM-Gemeinschaft. Den aber kaum einer kennen möchte, grad von den heutigen Hipster Kids mit schnieken gelben VIRTUE-Shirts und modischen Oberlippenbärten.

Mehr Rock’n’Roll geht auch, nennt sich ´Straight From The Heart´ und ist so geil wie jede Nummer von den alten MÖTLEY CRÜE (die damals ja erst beim zweiten Album waren) und anderen Hardrock Helden, dann auch aus den späten 70ern. Cooler als der typische NWoBHM-Arbeiter-Rock-Klang. Leider auch kein Erfolgsgarant.

Die späteren Sammler-Reviews beziehen sich auf solche Nummern, wenn sie das Album als zu zerfahren ansehen. Aber ehrlich, Abwechslung kann schon was, wenn die Stücke entsprechend ihrem Auftrag gerecht werden. Und der ist bei TOUCHED einfach erklärt: Freude und Genuss bereiten.

So gesehen macht die Wiederveröffentlichung auch hier Sinn, da man auf dem Album eine Menge Songperlen und musikalische Kleinod Momente entdecken wird, bis in London die Lichter ausgehen. Die UFO-Referenzen sind ja auch nicht die schlechtesten. Immerhin pimpen TOUCHED sie ja noch mit ungestümerer 80er Heavy Metal-Energie. Einen Bonustrack gibt es noch, von einer damaligen Single. Es handelt sich um ´We’ll Fight Back´, auch eine dieser 70er Heavy Metal-Nummern, mit Hymne-Charakter, die dann für die 80er flottgemacht wurden. NWoBHM-Klassiker-Parts, wild verspielt mit furiosen Soli darin enthalten. Der gallopapierende Rhythmus in den Strophen unterstützt die latent aggressive Grundstimmung perfekt.

Zusammengefasst eine prima Platte, die mir auch ohne Bonustrack schon 1997 Spaß gemacht hätte. Wo Annika wohl abgeblieben ist und ob sie wohl doch die LP gekauft hat und damit durchgebrannt ist? Wir werden es nie erfahren…