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POPOL VUH – Vol. 2 – Acoustic & Ambient Spheres

~ 2021 (BMG/ADA) – Stil: Krautrock/Ambient/Folk ~


Krautrock, immer wieder Krautrock, dabei war dieser aus England auf die ganze Welt überschwappende Sammelbegriff gerade auch für POPOL VUH viel zu eng gefasst. Die von Florian Fricke 1969 in München gegründete Formation durchlebte innerhalb des Krautrock von der Elektronik, des Ambient und New Age viele weitere Schattierungen des Rock, die aufgrund von exotischen Instrumenten auch der Ethno und Weltmusik zugerechnet wurden.

Bereits vor zwei Jahre begann für POPOL VUH mit der Vinyl-Box ´The Essential Album Collection Vol. 1´ eine Retrospektive, die solch bahnbrechende Werke wie ´Affenstunde´ (1970), ´Hosianna Mantra´ (1972), ´Einsjäger & Siebenjäger´ (1974), ´Aguirre´ (1974) und ´Nosferatu´ (1978) enthielt. Die Fortsetzung ´Vol. 2 – Acoustic & Ambient Spheres´ vereint derzeit im Vinyl-Boxset mit ´Seligpreisung´ (1973), ´Coeur De Verre´ (1977), ´Agape-Agape´ (1983) und ´Cobra Verde´ (1987) vier weitere Werke aus dem Schaffen der legendären Formation, die allein aufgrund ihrer zahlreichen Soundtracks zu Werner Herzogs Kinofilmen eine nicht wegzudenkende internationale Größe ist.

Die Werke erscheinen frisch remastert mit jeweils einem Bonustrack, im Boxset mit Liner-Notes und Fotos, drei Picture-Prints, einem Poster aus „Coeur de Verre“ und dem Original-Filmplakat von „Cobra Verde“. Selbstverständlich erblicken die Werke auch einzeln auf einem Silberling im Digipak wieder das Licht der Welt. Kurioserweise enthalten allerdings die beiden Soundtracks ebenso völlig identische Booklets wie die beiden anderen Alben.

 

 

Mit diesem Vinyl-Boxset werden Menschen bis in ihre Seele von der Musik berührt oder erleben ein Herzbeben, denn dies war gar das Ziel von Florian Fricke. Eine Kategorisierung seiner Musik lehnte er ohnehin ab:  „Ich finde immer neue Stile und wiederkehrende Motive, die ich in die Musik einfließen lasse. Aber die Essenz bleibt immer dieselbe. Ich möchte Ihnen noch etwas dazu sagen: Die Essenz von POPOL VUH ist eine Messe für das Herz. Es ist Musik für die Liebe. Das ist alles.“

 

 

Dass die Besetzung von POPOL VUH über die Jahre kontinuierlich wechselte, schadete nicht dem Ansehen von Florian Fricke als Pionier der Elektronikmusik, der tragischerweise bereits 2001 im Alter von 57 Jahren an einem Schlaganfall starb. Bedeutende Mitspieler waren Holger Trülzsch und Frank Fiedler, Daniel Fichelscher (AMON DÜÜL II) und Klaus Wiese. POPOL VUH waren für die Ambient- und Trance-Musik wegweisend, der von Florian Fricke eingesetzte MOOG III legendär.

 

Seligpreisung (1973)

Die Musik von POPOL VUH wurde 1973 noch akustischer, entfernte sich von der Elektronik innerhalb ihrer Krautrock-Zone. Nicht nur durch die Integrierung von Conny Veit (GILA) an der Gitarre und Daniel Fichelscher (AMON DÜÜL II, NIAGARA) an Gitarre und Schlagzeug tendierte die Musik in Richtung Rock. Die kosmische Seite prägte hingegen die Oboe von Robert Eliscu (BETWEEN) sowie das Klavier und Cembalo von Florian Fricke, der in Abwesenheit von Sängerin Djong Yun alle Gesangsparts übernahm. Seinen Moog-Synthesizer hatte er in der Zwischenzeit verkauft.

Die Kompositionen drehten allerdings keine Runden in religiösen Himmelfahrtszirkeln, obwohl die subtilen Songtexte der Bergpredigt des Matthäusevangeliums entlehnt waren. Es wurde krautrockig und psychedelisch, auch indische Einflüsse schauten herein, allerdings nicht mehr in der massiven Spiritualität des Vorgängers. Halleluja, sang Fricke, besagt Lobe Gott, in allen Sprachen. Halleluja.

Der Bonussong ´Be In Love´ ist eine Single-A-Seite und entstand vor den Aufnahmen zu diesem vierten Werk.

´Seligpreisung´ ist ein zwingend gebotener Bestandteil jeder POPOL VUH-Sammlung, dessen immense Anziehungskraft bis zum heutigen Tag nicht nachgelassen hat. Die Musik kann mindestens ein Lächeln auf die Lippen ihrer Hörer zaubern, wenn nicht gar Herz und Seele berühren. Halleluja.

Coeur De Verre (1977)

Abseits aller gängigen Modetrends folgten POPOL VUH allein den Ansprüchen ihres eigenes Kosmos. ´Coeur De Verre´ war anno 1977 in purer Instrumentalbesetzung von Florian Fricke und Daniel Fichelscher eingespielt worden; Matthias von Tippelskirch an der Flöte und Al Gromer (AMON DÜÜL II, WOLF CITY) an Flöte und Sitar gesellten sich als Gastmusiker hinzu. Die Musik schien solch eine hypnotische Wirkung zu entfalten, dass sie Werner Herzog als Soundtrack für den Spielfilm (ohne Klaus Kinski) „Herz aus Glas“ erkor. Passenderweise spielten die Schauspieler zur Geschichte eines Sehers im Bayern des 19. Jahrhunderts unter Hypnose.

Zwischen Krautrock, Prog Rock, Psychedelic Rock, Ambient und Worldmusic überstieg die Magie der Kompositionen längst die von ´Letzte Tage, letzte Nächte´. Melodien aus dem Westen, Melodien aus Indien begannen ein hypnotisches Spiel, etwa in ´Singet, denn der Gesang vertreibt die Wölfe´ zur Vereinigung aus Rock und Weltmusik sowie im Rock-Kosmos von ´Hüter der Schwelle´, um die spirituellen und pastoralen Pfade zu beschreiten. Das erst im Nachgang als zweiter Soundtrack veröffentlichte Album von POPOL VUH schenkt dem Hörer schließlich eine gute Dreiviertelstunde, um in Trance zu verfallen, und wird vielerorts als letztes anziehendes Werk der Formation angesehen.

Das 1977er Ambient-Stück ´Earth View´ von Florian Fricke-Solo ist als Bonusstück zugegen.

Agape-Agape (1983)

´Agape-Agape´ nahm 1983 das Herz aller Anhänger von POPOL VUH im Sturm. Florian Fricke stand unter dem Einfluss der Werke des persischen Mystikers und Dichters Rumi und produzierte mit Sängerin Renate Knaup, Ausnahmegitarrist Conny Veit und Schlagzeuger Daniel Fichelscher ein spirituelles und Rituale entfachendes Werk zwischen Folk und Weltmusik sowie Prog und Psychedelic Rock.

Perkussive Elemente und Chorgesang, etwa in ´Hand In Hand´, bestimmen die Hymnenfindung, die Suche nach der Göttlichkeit. Denn Agape, griechisch für Liebe, steht für die uneigennützige Liebe Gottes. Daher treffen auf ´Agape-Agape´ in einer Kraft, wie sie zuletzt höchstens auf ´Hosianna Mantra´ anzutreffen war, weltliche Klänge auf spirituelle, pastoraler Rock auf spirituelle Weltmusik. Ich weiß, was ich ich weiß, aber: „Why do I still sleep?“ wird zum Finale als Mantra auserkoren.

Der Bonustrack ´Circledance´ wird ebenfalls im Stile des Folk und Prog Rock präsentiert.

Cobra Verde (1987)

Zwischen ´Coeur De Verre´(´Herz aus Glas´) und ´Cobra Verde´ standen noch die Soundtracks von ´Nosferatu´, ´Fitzcarraldo´ und ´Gasherbrum – Der leuchtende Berg´. ´Cobra Verde´ wurde ein neuerlicher Meilenstein in der Geschichte von POPOL VUH. Der Soundtrack zum abenteuerlichen Werner Herzog-Drama nach dem Roman von Bruce Chatwin, in der Hauptrolle Klaus Kinski als brasilianischer Bandit „Cobra Verde“, wurde für den „Besten Soundtrack Award“ nominiert.

In ungewohnt düsterer Atmosphäre ist die einstige pastorale Stimmung verflossen, Florian Fricke spielt neben Gitarre auch Synclavier, Daniel Fichelscher Gitarre und Percussions. Renate Aschauer-Knaup ist am Mikrofon sanft zu vernehmen, und als Gäste Kristen Riter (´Der Tod des Cobra Verde´) und Irmgard Hecker (´Sieh nicht überm Meer ist’s´). Der Hymnen- und Chorgesang (´Der Tod des Cobra Verde´) durch den Chor der Bayerischen Staatsoper wird von Synthesizer-Soundscapes (´Nachts:Schnee´ und ´Eine andere Welt´) unterbrochen. Dennoch verfängt sich die erste Hälfte in der Dunkelheit. Der finale Neunminutensong ´Hab Mut, bis dass die Nacht mit Ruh‘ und Stille kommt´ ist hingegen himmlischer Balsam für die nervöse Seele.

Anstatt der Komposition ´Die singenden Mädchen von Ho, Ziavi´ kommt selbst in der aktuellen Wiederveröffentlichung ´Om Mani Padme Hum 4´ zum Einsatz. Mit der Pianoversion ´Om Mani Padme Hum 4´ als Bonus klingt das Werk aus.

 

 

Und wieder lebt ein Stück von Florian Frickes Herzblut auf, seine Musik lebt nimmermüde weiter.

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