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WOLVES IN THE THRONE ROOM – Primordial Arcana

~ 2021 (Relapse Records) – Stil: Cascadian Black Metal ~


Gilt für Bands dasselbe wie für Ehen? Das verflixte siebte Album, so könnte man ´Primordial Arcana´ titulieren, denn hiernach werden sich so einige Wege scheiden, jedoch gleichzeitig auch neue Beziehungen knüpfen. Für die einen ist es ein neuer Höhepunkt im Schaffen der Wölfe, für andere nun doch der schmerzhafte Zeitpunkt, sich zu verabschieden. Woran liegt das?

Dafür muss man erst einmal zurückblicken. Seit fast zwanzig Jahren ist die Band der Weaver-Brüder, Mitbegründer des Cascadian Black Metal, einer der Grundpfeiler dieser US-Version atmosphärischen BMs. Tief verbunden mit der sie umgebenden wilden und ursprünglichen Natur des amerikanischen Nordwestens und lange in einem Agrarkollektiv lebend, ist ihre Musik Ausdruck sowohl ihrer spirituellen als auch physischen Heimat. Es ist ein Geben und Nehmen: WITTR sind inspiriert durch die Berge, Wälder und Küsten ihrer Heimat, sie sind unerschöpflicher Quell ihrer Kreativität, und dafür preisen sie die Natur für ihre Schönheit, Vollkommenheit und all das, was sie ihnen zum Leben gibt.

Diese Beziehung zwischen Mensch, Natur und der geistigen Welt, das Rad des Lebens, war seit Anbeginn Hauptthema ihrer Musik und fand sich im Experimentieren mit Samples von vielerlei Naturgeräuschen, Feuerprasseln, Tier- und menschlichen, oft ätherischen weiblichen Stimmen, wieder. Auch auf ´Primordial Arcana´, dem “ursprünglichen Geheimnis”, werden so wieder die Elemente besungen, es sind ausser Nathans und Kodys Stimmen jedoch kaum andere zu hören.

Denn sie haben sich mehr denn je auf sich selbst besonnen und diesmal wirklich inklusive Produktion und Mix alles alleine gemacht, die beiden Weavers plus Gitarrist Kody Keyworth in ihrem „The Owl Lodge“-Studio. Das kann zu mehr Stringenz führen, birgt aber gleichzeitig das Risiko, die notwendige innere Distanz für Selbstkritik zu verlieren. Und sie gehen sogar noch weiter, wie Aaron sagt: „Und jetzt machen wir unsere eigenen Videos in der örtlichen Wildnis. So konnten wir die gesamte kreative Kontrolle unter uns dreien behalten und gleichzeitig die Messlatte kreativ höher legen. Je isolierter wir werden und je mehr wir uns auf uns selbst verlassen, desto besser und schärfer wird die Kunst – eine perfektere Darstellung dessen, was die Band ausmacht.“

 

 

Scharf wie das Schwert, das im Video zu ´Primal Chasm (Gift of Fire)´ geschmiedet wird? Klirrend wie das Kettenrasseln, das immer wieder zu vernehmen ist? Mir ist das alles zu plakativ und vor allem martialisch, es passt jedoch wiederum zur Aussage, WITTR sei mit dieser Platte über die Zweite Welle hinaus zu den Genres zurückgegangen, die sie zuerst beeindruckt haben, Thrash und vor allem Death Metal. Ja, ´Primordial Arcana´ ist ein Konsensalbum, da es auch Fans ausserhalb des Black Metal abholt. Das stört mich nicht, sondern vielmehr, dass es mich nicht mehr so persönlich berührt wie zuletzt noch das warme, dunkle, ja erdverbundene ´Thrice Woven´.

Und wieder bestätigt Aaron meine Gefühle: „Thrice Woven war sehr erdig. Aber dieses Album ist ein wenig kälter und schärfer – wie die klare Luft hoch oben in den Bergen, näher an der Geisterwelt und weiter entfernt von der Welt der Menschen. ´Mountain Magick´ ist eine Beschwörung dieser Energie. Es ist ein Einstieg in die Welt der Magie und der Träume.“ – ich könnte ihm nicht deutlicher widersprechen, aber ich bin eben auch eine Frau. Für mich beginnt die Traumwelt im dunklen, warmen Schoss von Mutter Natur, und mitten unter den Menschen. Magie ist überall dort, wo wir sie wahrnehmen, aufnehmen, wandeln und mit ihr arbeiten. Immerhin besingt dies noch ein Song, ´Underworld Aurora´:

“Mistress of Heaven and Earth
Beloved
Encircled in lapis
Your roar is the living Earth”

 

Sonst liegt der Schwerpunkt diesmal leider auf den männlichen Attributen, der Verehrung des Hirschgottes Cernunnos und den Göttern von Blitz und Donner, Eis und Sturm. Die Naturmystik wird diesmal sogar nochmal stärker betont, aber mir fehlt die Magie. Früher konnte man sie spüren, wohnte sie der Musik inne, dem zugleich so wilden wie zarten Ausdruck der Songs, die einen eintauchen liessen in eine WOLVES IN THE THRONE ROOM-Platte bis zu ihrem Ende. Auch das ist anders: die Verbindung zur Natur wird beschworen, aber ist sie noch greifbar da? Sogar die Stücke sind nicht mehr wie zuvor miteinander verbunden, sondern stehen meist für sich allein. Und bitte versteht mich nicht falsch: es sind keine schlechten Songs, die Weavers wissen natürlich, wie man gute Musik schreibt, unterschiedliche Elemente miteinander verbindet, und sind vor allem in der Ausführung perfekt. Es fehlt mir jedoch die Seele, das Mehrdeutige, der Zweifel und der innere Kampf, die sich stets in einer berauschenden Komplexität niedergeschlagen haben, die nun zugunsten leichter nachvollziehbarer Strukturen aufgegeben wurde. Für andere, neue Hörer mag all das auch fesselnd klingen, die Riffs und Melodien sind entsprechend eingängig, doch WITTR-Fans sind da einfach mehr gewohnt. Überrascht zu werden, verführt zu werden; und ich werde den Eindruck nicht los, dass sie, wie so viele von uns, einfach müde sind, und deshalb so vorhersehbar wurden. Das wäre dann jedoch ein Grund mehr gewesen, sich wieder in den dunklen Bauch der Erde zurückziehen, um Kraft zu tanken, anstatt sich der dünnen Höhenluft der eisigen Bergspitzen, der Sichtbarkeit, Kämpfe und Konflikte auszusetzen.

Manchmal ist es eben doch besser, das Urteil anderer miteinzubeziehen, um Ausgewogenheit zu schaffen, statt einer Platte, die so sehr den männlichen Aspekt feiert, dass sie ihre Herkunft meist vergisst – auch wenn, oder besser: gerade weil das im Metal „normal“ ist. Es lohnt, die eigenen Wurzeln zu pflegen, statt den abgehobenen Himmelsstürmer zu geben, denn das wird sich vielleicht jetzt, aber nicht auf lange Sicht auszahlen, in jeglichem Sinne. Und es lohnt ausserdem, nicht den Willen einem Vorhaben voranzustellen, sondern auf den inneren Zwang zu warten, sich ausdrücken zu müssen. Ich weiss, dass ich mit meiner Meinung weit ausserhalb des Mainstreams stehe, ich habe lange erfolglos versucht, die Begeisterung der Massen für ´Primordial Arcana´ nachzuvollziehen. Doch sind mir WOLVES IN THE THRONE ROOM einfach zu wichtig, als dass ich meine Eindrücke für mich behalten kann. Die Hoffnung, dass sie nach ihrem testosteronschweren Sword & Fire-Ausflug wieder wohlbehalten nach Hause kommen, kann mir (noch) keiner nehmen.

(7 traurige Punkte)

 

 

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