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EVILE – Hell Unleashed

~ 2021 (Napalm Records) – Stil: Thrash Metal ~


Für mich sind EVILE, bei allen musikalischen Unterschieden die diese Bands untereinander aufweisen, die logische Fortsetzung von SACRED REICH, REALM, TOXIK und auch POWERMAD gewesen. Ihr Thrash war in meinen Ohren nie nur stumpfsinniges Geprügel, sondern voller toller Riffs, präziser Gitarrenarbeit, immer auch filigran und sowohl künstlerisch als auch technisch anspruchsvoll. Eine große Anzahl von Zeitgenossen haben das allerdings anders gesehen und EVILE nur als einen Abklatsch von METALLICA mit Anleihen bei SLAYER und anderen Größen aus der Bay Area eingestuft. So ganz falsch sind die gezogenen Parallelen zu METALLICA allerdings nicht, was aber daran liegen könnte, dass EVILE die Riffs von METALLICA sozusagen in die Wiege gelegt worden sind. Die Ursprünge von EVILE liegen nämlich in einer Band namens METAL MILITIA, die 1999 von Matt Drake und Ben Carter, da waren beide gerade mal 18 Jahre jung, als reine METALLICA-Cover-Band gegründet wurde.

Ich habe den Werdegang von EVILE von der ersten Minute an mit hohem Interesse verfolgt und kurz die Luft angehalten, als Bassist Mike Alexander am 5. Oktober 2009 plötzlich während der Tour zu ihrer zweiten Scheibe ´Infected Nations´ mit nur 32 Jahren in Schweden an einer Lungenembolie verstarb. Schließlich hatte ich sie erst wenige Wochen zuvor beim „Bang Your Head Festival“ noch alle putzmunter und voller Spielfreude auf der Bühne agieren sehen. Für mich überraschend früh verkündeten jedoch EVILE noch im gleichen Jahr, dass sie mit Joel Graham einen neuen Bassisten gefunden hätten und es wurden im gewohnten Zweijahresrhythmus weiterhin Platten veröffentlicht, als wäre nichts gewesen.

Zumindest bis jetzt, denn nun hat die 2004 in Huddersfield (das liegt südwestlich von Leeds) gegründete Band ganze acht Jahre benötigt, um mit ´Hell Unleashed´ einen Nachfolger für das 2013 veröffentlichte Album ´Skull´ fertigzustellen. Ich vermute mal, dass der im Veröffentlichungsjahr von ´Skull´ erfolgte Ausstieg von Leadgitarrist Oliver Michael „Ol“ Drake (Bruder des Sängers und Rhythmusgitarristen Matthew Riley-Drake aka Matt Drake) nicht ganz schuldlos daran gewesen sein mag. Als Grund gab „Ol“ an, mehr Zeit für sich und seine Familie haben zu wollen, wovon er aber scheinbar bereits 2018 genug gehabt hatte und den in der Zwischenzeit für ihn eingesprungenen Piers Donno-Fuller wieder am Sechssaiter ersetzte.

Es schien also, als würde alles wieder beim Alten und „Normalität“ bei EVILE eingekehrt sein. Aber dann schlug im August letzten Jahres eine lange und ausführliche Verlautbarung von Matt Drake, ähnlich wie der plötzliche Tod von Mike Alexander, bei mir und vermutlich auch bei allen anderen Fans, wie eine Bombe ein. Ich fasse mal den Inhalt in aller Kürze zusammen: Seine Wege und die von EVILE hätten sich bereits seit einiger Zeit getrennt, denn er wolle mehr Zeit für die Familie, vor allem für seine beiden Stieftöchter und seine leibliche Tochter, zur Verfügung haben. Das wäre aber mit einem ausgedehnten Tourleben, wie dem bisher praktizierten, nicht möglich. Ausschlaggebend für seine Entscheidung wären aber schlussendlich die bereits seit längerem existierenden gesundheitlichen Probleme mit seiner Lunge gewesen, die eine Weiterführung seiner Rolle als Sänger von EVILE und auch insgesamt das anstrengende Leben als Musiker einer sich unentwegt auf Tour befindlichen Band, unmöglich machen würden.

Wenn ich also zu Beginn dieser Rezension von EVILE in der Vergangenheitsform gesprochen habe, so war das mit voller Absicht, denn ein wesentlicher Teil von EVILE ist meiner Meinung nach mit Matt gegangen und das dem wirklich so ist, lasse ich an dieser Stelle mal von ihm persönlich erläutern: „I’m proud of my contributions to EVILE’s music, whether it’s riffs or sections here and there, or entire songs (´Burned Alive´, ´Plague To End All Plagues´, ´Long Live New Flesh´, ´The Naked Sun) but i’m proudest of the lyrics and vocal lines I contributed, which is roughly half of ´Enter The Grave´, most of ´Nations´, most of ´Five Serpent’s Teeth´…

Und auch wenn Matt selbst von seiner Stimme nichts hält „I acknowledge it isn’t a natural ability and I’m not the strongest or even that impressive of a vocalist,…´, so war seine Stimme für mich immer mit EVILE untrennbar verbunden. Auch hier haben Kritiker immer Parallelen zu James Hetfield gesucht und gefunden. Aber wahrscheinlich hat Matt seine Stimme in den fünf Jahren bis zur Geburtsstunde von EVILE so sehr darauf getrimmt nach James Hetfield zu klingen, dass er zum Schluss gar nicht mehr viel anders klingen konnte. Viel spannender finde ich aber den in der Vergangenheit ebenfalls gezogenen Vergleich zur Stimme von Bob Mayo, dem Sänger von WARGASM, dem ich, nach kurzer Überlegung, durchaus zustimmen kann.
Alles vorbei…

Überraschenderweise hat auf der neuen Scheibe sein Bruder Oliver mit nachfolgender Begründung den Gesang übernommen: „… we decided it would be best to keep the new vocalist a familiar face within the band.“ Und da Matt auch ein Instrument bedient hatte, musste mit Adam Smith nun auch ein neuer Rhythmusgitarrist her.

Hetfield kann man beim Gesang von Ol Drake sicherlich nicht mehr heraushören, eher den von ihm verehrten Chuck Schuldiner und auch Ol selber sieht seinen Gesang eher im alten Death-Metal verwurzelt. Tatsächlich ist sein Gesang bei weitem nicht mehr so variabel wie bei Matt, beinhaltet aber um einiges mehr an Aggressivität und versprüht viel mehr tödliches Gift, als es bei seinem Bruder je der Fall gewesen ist.

Auch das Songmaterial ist nun wesentlich aggressiver als bei den Vorgängeralben und orientiert sich stärker an Ols musikalischen Haupteinflüssen wie DESTRUCTION, CARCASS, SEPULTURA und OBITUARY, wobei aber auch weiterhin Riffs à la METALLICA und ANNIHILATOR die Musik von EVILE beeinflussen, da es diese Bands sind, die ihn hauptsächlich geprägt haben. Aber eben auch die Riffs von OBITUARY, an denen er sich beim Komponieren ein Beispiel nimmt, da diese simplen Riffs seiner Meinung nach jedem Song eine unglaubliche Heavyness verleihen.

Nach Ols Aussage war ihre Herangehensweise an das Songwriting so, als würde es sich um eine neue Band handeln. Das kann auch nicht sonderlich schwergefallen sein, da EVILE, und hier berufe ich mich wieder auf Ol, während seiner fünfjährigen Abwesenheit keine einzige Note zu Papier gebracht hat. Das Ziel dabei war, wieder zurück zu den Anfängen zu gehen und an das Debüt von EVILE anzuknüpfen, aber auf dieses noch eine Schippe draufzulegen. Das war dann auch der Grund dafür, sich von Russ Russell zu trennen, der ihre letzten drei Alben produziert hatte und sich mit Chris Clancy einen neuen Produzenten zu suchen. (Das Debüt wurde übrigens in den „Sweet Silence Studios“ in Kopenhagen aufgenommen und bezeichnenderweise von Flemming Rasmussen produziert, der dies auch viele Jahre lang für die Alben von METALLICA getan hat.) Aber nicht nur der Produzent, sondern auch das Label ist im Zuge der neuen Scheibe ausgetauscht worden. Nachdem EVILE ihre gesamte bisherige musikalische Karriere dem englischen Label „Earache Records“ treu geblieben waren, sind sie nun bei den Österreichern von „Napalm Records“ untergekommen.

 

 

Ich gebe gerne zu, dass ich mich aufgrund der im Vorfeld durch Ol Drake getätigten Aussagen, mit einer Menge Vorbehalte dieser neuen EVILE genähert habe und in der Tat offenbart bereits der Opener die wesentlichen Unterschiede zwischen den alten und den neuen EVILE.

´Paralysed´ marschiert gleich kompromisslos nach vorne los und haut einem die Riffs mit brutaler Gewalt um die Ohren. Der Gesang ist wie von Ol angekündigt deutlich tiefer, fieser und nicht so familienfreundlich wie der von Matt. Im Mittelteil wird zwar etwas Fahrt rausgenommen und der Leadgitarre Raum gegeben, aber nur, um zum Ende hin das Gaspedal wieder gehörig durchzutreten.

`Gore´ beginnt zwar zunächst wesentlich behäbiger mit einem schleppenden Riff, aber schon kurz darauf wird der mit ´Paralised´ eingeschlagene Weg gnadenlos fortgeführt. Das Stück handelt passend zum Titel von einem Massenmörder und beinhaltet so aussagekräftige Zeilen wie:

Back and forth between what’s right and what I need
Absorbed in watching my work bleed
I confess, I need to rip and tear to please
Chained to the obsession, my disease

Also auch textlich ist man alles andere als freundlich zurückhaltend.

Als Backgroundsänger hat sich die Band bei diesem Song übrigens den Schauspieler, Comedian und Musiker Brian Posehn an Land gezogen. Mir sagte der Name nichts und ich habe erst jetzt gelernt, dass er den Geologen ´Bert´ in „The Big Bang Theory“ verkörpert hat, aber er scheint eine bekannte Szenegröße zu sein.

Mit einem schon nicht mehr für möglich geglaubten ruhigen Intro, der den Geist der alten EVILE beschwört, steigt ´Incarcerated´ ein, bei dem aber nach nicht einmal zwei Minuten…ja genau…der Gashahn wieder gehörig aufdreht wird. Der Song spielt sehr effektiv mit Tempowechseln und streut hier und da einige schon fast progressiv zu nennende Gitarrenparts ein. Natürlich macht auch ´War Of Attrition´ keine Gefangenen und legt gleich wie ein Orkan der Stufe fünf los. Der Songtitel bedeutet nicht nur Zermürbungskrieg, er pulverisiert auch nahezu alles auf dem Weg in die Gehörgänge des Zuhörenden, wobei Ol diesem akustischen Anschlag seinen Gesang in Form staccatoartig ausgespiener Worte unterlegt. Mit dem auf der Mitte des Albums angesiedeltem ´Disorder´ wird das Tempo etwas rausgenommen, bleibt aber natürlich nach wie vor verflucht hoch. Ein Mid-Tempo-Stück sucht man nämlich auf diesem Album vergeblich. Das Stück glänzt mit einem…ja wirklich…melodischem Mittelpart, der von der Leadgitarre dominiert wird, die sich hier mal etwas austoben darf.

Und dann kommt das Stück, welches mir bei der Betrachtung der Titelliste sofort ins Auge gefallen war. Allerdings ist dies vor allem auf die Jahreszahl 1982 zurückzuführen, die Bestandteil des Titels ´The Thing (1982)´ ist und die mich als großem Fan der Filme von John Carpenter sofort an das Remake des Films aus dem Jahr 1951 denken ließ. (Für die Älteren unter euch: Im Original verkörpert James Arness, das ist Marshall Matt Dillon aus der Serie „Rauchende Colts“, das „Ding“.) Das Remake mit Kurt Russel in der Hauptrolle ist übrigens der einzige Film den ich kenne, in dem keine Frau mitspielt. Der Song ist der passende Soundtreck zu diesem Sci-Fi-Horrorfilm, in welchem sich unter anderem Teile von menschlichen Körpern losreißen, um selbständig zu agieren. Mehr brauche ich ja wohl zu diesem Stück nicht zu sagen, oder?

Beim kurzen ´Zombie Apocalypse´ handelt es sich passenderweise um ein Cover der amerikanischen Death-Metaller MORTICIAN. Es ist übrigens die erste Coverversion, die den Weg auf eine Platte von EVILE findet.

Das mit einem kurzen Bass-Intro beginnende ´Control From Above´ überrascht mit einem lange Zeit anhaltenden eher gemächlichen Tempo sowie Melodien und Gitarrensoli, die sich so auch auf einer Platte der alten EVILE hätten wiederfinden können. Das Stück gooved gewaltig und man ertappt sich tatsächlich beim Mitwippen und ruckartigem Vor- und Zurückbewegen des Kopfes. Natürlichen wird das Tempo gegen Ende wieder angezogen, gerade rechtzeitig um beim Titelstück und Nackenbrecher ´Hell Unleashed´ wieder alle MACH-Rekorde zu brechen.

Fazit: Ol hat seine Ankündigung wahr gemacht und EVILE 2.0 an den Start gebracht.

Fans von alles zermalmendem Highspeed-Metal und ultra-aggressivem Gesang kommen bei dieser Scheibe voll auf ihre Kosten. Waren auf ´Infected Nation´ oder ´Five Serpent´s Teeth´ noch viele Stücke im Mid-Tempo vorzufinden, so werden in ´Hell Unleashed´ solche Parts nur noch gelegentlich in die Songs eingestreut. Ansonsten wird durchweg mit brutaler Härte agiert, eben gerade so, als wäre die wahrhaftige Hölle über uns hereingebrochen. Hier wird nicht vorher abgewogen oder vorsichtig taktiert – hier wird alles gnadenlos mit dem Panzer überrollt.

Überraschenderweise komme ich, obwohl eigentlich kein so großer Freund der ultraharten Fraktion, sehr gut mit dieser Scheibe klar, bei der die Wurzeln von EVILE nach wie vor deutlich erkennbar sind, nur alles eben etwas schneller, fieser und brutaler. Vielleicht ist nicht mehr ganz so viel METALLICA wie früher drin, dafür aber umso mehr SLAYER, wogegen ich nun wirklich nichts habe. Auch der Gesang wandelt nicht, wie im Vorfeld angekündigt, in Death Metal-Gefilden, sondern ist tatsächlich als solcher erkennbar. Statt wie befürchtet nur ein monotones Grundrauschen wahrzunehmen, kann man sogar zumeist verstehen was er singt, womit seine Stimme eine nähere Verwandtschaft zu der eines Tom Araya oder Chuck Billy aufweist, als ich zu hoffen gewagt hätte.

Auf der Scheibe passt irgendwie alles wirklich gut zusammen, obwohl ich zugebe, dass ich mir nach einem Durchlauf erstmal Erholung gönnen und etwas anderes auflegen muss.

(8 Punkte)

Das Coverartwork stammt übrigens vom bekannten Fantasy-Künstler Michael Whelan, der bereits das Cover für das zweite Album von EVILE erschaffen hat und der z.B. auch der Urheber aller Covermotive der Scheiben von CIRITH UNGOL ist.

Das Album erscheint auf CD, auf schwarzen Vinyl im Gatefold-Cover und als streng limitierte (200 Stück) Napalm Records-Mailorder-Edition auf rotem Vinyl im Gatefold-Cover.

EVILE sind:
Oliver Michael ´Ol´ Drake – Gesang und Leadgitarre
Ben Carter – Schlagzeug
Joel Graham – Bass
Adam Smith – Rhythmusgitarre

www.evilecult.com
www.facebook.com/evileuk


(VÖ: 30.04.2021)