
GREEN DAY – American Idiot
2004/2024 (Reprise Records) - Stil: Punk Rock
Irgendwann um die Jahrtausendwende fängt das große Grübeln an. ´Dookie´ ist längst ein Klassiker, ´Insomniac´ hat gezeigt, dass man trotz Speed gute Alben machen kann, und ´Warning´ klingt plötzlich nach Bob Dylan auf Skateboard, doch das wollen pubertierende Kids nicht hören, wenn sie ihre Eltern hassen.
GREEN DAY sind Anfang der 2000er nicht mehr die jungen Garage-Punks mit Kifferlunge und bekommen auf der “Pop Disaster Tour” fast weniger Aufmerksamkeit als die jungen BLINK-182 geschenkt. Die Zeit für einen Richtungswechsel – oder die Midlife-Crisis mit 31 – scheint also gekommen. Ergo nehmen sie 20 Songs für ein neues Album namens ´Cigarettes And Valentines´ auf, darunter sogar Salsa-Nummern und versaute Weihnachtslieder. Man weiß ja nie, wozu das mal gut sein kann. Doch dann klaut irgendein musikalisch verwirrter Einbrecher die Mastertapes. Statt das FBI oder einen Racheengel einzuschalten, ruft die Band einfach Produzent Rob Cavallo an, der ihnen jedoch ehrlich sagt: “War eh nicht euer bestes Zeug”.
Zeit für einen Neuanfang. Zeit für eine verdammte Punkrock-Oper! Mit Handlung, Figuren und richtig viel Drama. “Jesus of Suburbia” wird geboren, ein zynischer, trauriger Antiheld der Vorstadt. Die Themen: kaputte Gesellschaft, Krieg, Drogen, Identitätskrisen – und George W. Bush.
´American Idiot´ entsteht – ein musikalischer Mittelfinger gegen alles, was damals nicht lief, wie es laufen sollte. Die Band schreibt Suiten statt Songs, bastelt Übergänge, Kapitel, neunminütige Epen. Billie Joe wandert durch Manhattan, um ´Boulevard Of Broken Dreams´ zu schreiben. Tré Cool bringt 75 (!) verschiedene Snares ins Studio. Und sie nehmen alles in Album-Reihenfolge auf, so wie es angeblich auch die Beatles gemacht haben.
Die Aufnahmen werden zur Hollywood-Soap. Fünf Monate im Hotel, tagsüber aufnehmen, nachts feiern, am nächsten Tag mit Kater wieder singen. Billie Joe beschreibt das später als “Bergbesteigung”. Kostenpunkt: 650.000 Dollar. Ergebnis: ein Monument.
Als ´American Idiot´ 2004 rauskommt, explodiert alles. GREEN DAY sind zurück – lauter, bissiger, politischer als je zuvor. Platz 1 in den USA, 23 Millionen verkaufte Einheiten, ein Grammy, ein Broadway-Musical und fünf Singles, die bis heute niemand vergisst. Vor allem ´Boulevard Of Broken Dreams´, mit einem “Record of the Year”-Grammy.
Aktuell erscheinen die Studioalben ´Dookie´ und ´American Idiot´ von GREEN DAY als One-Step-Vinylpressungen, jeweils streng limitiert auf 3.000 Exemplare.
Für die One-Step-Ausgabe von ´American Idiot´ wurden die originalen analogen Masterbänder – auf die das ursprünglich digital aufgenommene Album damals gemischt wurde – in hochaufgelöste 192/24 WAV-Dateien übertragen und als Audioquelle genutzt. Die Lacke schnitt Levi Seitz, ein renommierter Mastering-Ingenieur in den “Blackbelt Studios” und ein echter GREEN DAY-Fan, der jeden Ton des Albums kennt. Die One-Step-Pressung selbst entstand bei Dorin Sauerbier von „Record Technology, Inc.“ (RTI), einem der erfahrensten Plattenschneider der Branche, der schon viele One-Step-Projekte umgesetzt hat.
Wie bei ´Dookie´ kam auch hier die hochreine Neotech VR900-D2 180g Vinylmischung zum Einsatz, bekannt als SuperVinyl – sie gilt als die aktuell beste Vinyl-Rezeptur weltweit.
Das Album erscheint als Doppel-LP in einem aufwendig gestalteten Slipcase mit Folienprägung und individueller Nummerierung. Das Gatefold steckt in einer klassischen „Old Style“-Tip-On-Hülle mit Original-Artwork, produziert von der renommierten „Stoughton Printing Company“.
Das Ergebnis ist eine unglaublich klare, dynamische und ausgewogene Klangwiedergabe. Schlagzeug, Gitarren und Gesang kommen außerordentlich präsent rüber, die Klangbühne weitet sich förmlich aus den Boxen. Die Pressung selbst ist absolut lautlos – kein Rauschen, kein Knistern. Die One-Step-Edition von ´American Idiot´ schlägt alle bisherigen Pressungen und ist zweifellos ein neues Referenzwerk für audiophile Rock-Fans.
Du hasst Amerika, aber liebst Netflix, Energy-Drinks und hitzige Diskussionen auf Reddit? Willkommen bei ´American Idiot´. Schon der Titeltrack macht klar: Du bist genervt von allem, aber trotzdem viel zu faul für eine Revolution. “Don’t wanna be an American Idiot. One nation controlled by the media” – sagst du, während du mit USA-Socken vorm “Super Bowl” sitzt. Das ist mehr als nur Punkrock, das ist eine Kampfansage gegen Konsum, Fernsehen und die hohlen Versprechen der Medien.
Dann kommt ´Jesus Of Suburbia´ – ein neunminütiger Breakdown deiner Existenz in fünf Akten: ´Jesus Of Suburbia´, du bist der Hauptcharakter deines eigenen Teenager-Dramas, großgezogen von Cola, Zigaretten und abgestandenen Träumen. “I’m the son of rage and love” – und doch fühlst du dich wie ein Fremder in deiner eigenen Stadt. Die ´City Of The Damned´ – dein Heimatort ist so tot wie deine Motivation. “City of the Damned and I’m going down” – ein verlassener Vorort voller verschlossener Türen, wo Träume sterben. ´I Don’t Care´ – alles ist dir egal: “I don’t care if you don’t” – du sagst, du lebst, aber eigentlich bist du nur ein Schatten deiner selbst. ´Dearly Beloved´ – du redest mit dir selbst, weil sonst keiner mehr da ist. “Dearly beloved are you listening?” – die Stimme in deinem Kopf wird dein bester Freund. ´Tales Of Another Broken Home´ – du ziehst weg, aber findest trotzdem nicht zu dir selbst. Nur ein paar neue Probleme. Ein kaputtes Zuhause, egal wo du bist.
´Holiday´ ist dein persönlicher Sommerhit der inneren Wut. Satirisch, laut, catchy – perfekt, um in der Bahn die Regierung zu hassen, während du gleichzeitig das 9-Euro-Ticket feierst. “This is the dawning of the rest of our lives. This is the holiday of the lies.” Und ja, Ironie ist auch eine Form von Protest. Die Hymne für alle, die sich von der Welt verarscht fühlen und trotzdem mitmischen.
Dann ´Boulevard Of Broken Dreams´: Wenn du mal wieder durch die verregneten Straßen deiner zersplitterten Seele läufst, allein mit dir selbst und dem leeren Blick einer Generation, die nicht weiß, ob sie traurig oder einfach nur müde ist. “I walk a lonely road. The only one that I have ever known.” Die Einsamkeit als Soundtrack zum Leben.
Mit ´Are We The Waiting´ stellst du dann die ganz großen Fragen. Warten wir noch, oder sind wir längst verloren? Die Antwort lautet: Ja. “We’re waiting, we’re waiting. For the sky to fall.” Der Song ist wie ein Mantra für alle, die sich verloren fühlen, aber irgendwie hoffen.
Endlich platzt ´St. Jimmy´ rein. Dein innerer Punk, der auf dem Klo raucht, dein Zimmer verwüstet und auf deiner Bettkante sitzt, während du versuchst zu schlafen. “I’m St. Jimmy, I’m St. Jimmy” – Er ist dein Chaos, deine Entschuldigung und dein cooler Zweit-Account. ´St. Jimmy´ ist der Rebell, der dich zerstört und gleichzeitig am Leben hält.
Plötzlich kommt der Schmerz: ´Give Me Novacaine´. Du willst nichts mehr fühlen. Nicht die Trennung, nicht die Nachrichten, nicht mal deine Rückenschmerzen. “Give me novacaine. ‘Cause I’m about to die.” – Nur ein bisschen Taubheit mit Melodie, bitte. Der Wunsch nach Betäubung in einer überreizten Welt.
In ´She’s A Rebel´ taucht sie auf: Whatsername. Die Unbekannte mit den zerrissenen Strumpfhosen und dem Revoluzzer-Blick. “She’s a rebel, she’s a saint. She’s the salt of the earth and she’s dangerous.” – Du bist fasziniert, und weißt schon, dass das schiefgeht. Sie ist das Gegenteil von ´St. Jimmy´, deine Hoffnung und dein Fluch.
´Extraordinary Girl´ zeigt ihre Kompliziertheit. Du findest das irgendwie sexy, weil du ein Problem hast. “She’s an extraordinary girl. But she’s a little bit untrue.” In deinem Kopf ist sie die Protagonistin eines Indie-Films, aber in echt ignoriert sie deine Nachrichten. Die unerreichbare Muse.
In ´Letterbomb´ bekommst du die Abrechnung. Sie schreit dir alles ins Gesicht, was du falsch gemacht hast – musikalisch verpackt wie ein Liebesbrief mit Sprengstoff drin. “Here’s a letterbomb for you, your plaything, dear. Just when you think it’s safe, I’ll be coming for your neck.” Spoiler: Du bist nicht der “Jesus of Suburbia”. Du bist einfach nur du. Und das ist zu wenig.
Jetzt heißt es ´Wake Me Up When September Ends´. Emotionaler Tiefpunkt erreicht. Vielleicht hast du jemanden verloren. Vielleicht nur dich selbst. “Wake me up when September ends.” – Auf jeden Fall regnet es. In deinem Herzen. Und draußen auch. Der melancholische Moment, der für viele mehr als nur ein Song ist – ein kollektives Trauermonument.
Dann kommt ´Homecoming´ – der Rückblick auf alles – in fünf Akten: ´The Death Of St. Jimmy´ – dein wütendes Alter Ego stirbt. “I’m not the one you thought I was.” – Du schaust ihm zu und spürst Erleichterung und Verlust zugleich. ´East 12th St.´ – du wohnst jetzt irgendwo im Nirgendwo und versuchst, produktiv zu sein. “What happened to the life we planned?” – Der Alltag hat dich wieder. Aber ´Nobody Likes You´ – du schreibst Songtexte in dein Notizbuch, aber keiner liest sie. “Nobody likes you, everybody hates you. Guess I’ll go eat worms.” Bittere Wahrheit, die jeder kreative Mensch kennt. Und dein ´Rock And Roll Girlfriend´ – dein Ex-Leben aus Sicht von jemandem, der dich vielleicht nie ganz ernst genommen hat. “She’s my rock and roll girlfriend. My rock and roll girlfriend, ooh yeah.” Eine bitterböse Satire auf Popkultur und Liebe. Schließlich: ´We’re Coming Home Again´ – du willst zurück. Aber nicht dorthin, wo du herkommst, sondern irgendwohin, wo du dich endlich findest. “We’re coming home again. Where we began.”
Zum Schluss kommt ´Whatsername´. Die Erinnerung verblasst, aber das Gefühl bleibt. “Well maybe I was wrong to ever doubt her. But everybody’s wrong sometimes.” Du erinnerst dich nicht mehr an ihren Namen. Nur daran, wie du dich gefühlt hast, als du sie verloren hast. Und an das Leuchten, kurz bevor es dunkel wurde.
Und plötzlich sind GREEN DAY keine Ex-Punks mehr, sondern eher gesellschaftskritische Superhelden in schwarz-roten Outfits. Immer noch laut, immer noch wütend, aber mit Haltung, Konzept und einem Opernlibretto in der Tasche.
Mitten in der Bush-Ära steckt ´American Idiot´ seine Kritik nicht in platte Parolen, sondern erzählt als vielschichtiger Coming-of-Age-Roman die Geschichte von “Jesus of Suburbia”. Der Antiheld kämpft sich von der langweiligen Provinz in die chaotische Großstadt – eine klare Metapher für den Verlust von Unschuld und die Suche nach sich selbst in einer zerbrochenen Welt.
Auch musikalisch wagen GREEN DAY etwas Neues. Denn auf ´American Idiot´ trifft klassischer Punk auf New Wave, Broadway und sogar lateinamerikanische Beats. Herauskommt eine Rock-Oper mit wuchtigen Gitarren, orchestralen Momenten und komplexen Songs, aber immer noch mit jeder Menge Punk-Attitüde.
So schafft ´American Idiot´ den Spagat zwischen Mainstream und Punk. Es ist catchy genug, um viele zu begeistern, roh und rebellisch genug für die Szene. Es wird ein kulturelles Phänomen, gefeiert als eines der besten Alben des Jahrzehnts und fest verankert in den 500 besten Alben aller Zeiten. Mehr als ein GREEN DAY-Album, sondern ein Statement einer Generation, die zwischen politischen Umbrüchen und persönlichem Wandel feststeckt.
Vielleicht war der Verlust der ´Cigarettes And Valentines´-Tapes am Ende sogar ein Glücksfall. Manchmal muss man alles verlieren, um das Richtige zu finden. Mit über 23 Millionen verkauften Exemplaren und Grammy-Auszeichnungen für das beste Rockalbum sowie ´Boulevard Of Broken Dreams´ als beste Aufnahme ist ´American Idiot´ der kommerzielle Höhepunkt von GREEN DAY.
Wo ´Dookie´ den Sound der frühen Neunziger prägt, setzt ´American Idiot´ den Maßstab für den Post-Punkrock der 2000er. Mit seinen erzählerischen Tiefen und politischen Botschaften führt es den Punk und GREEN DAYs Karriere aufs Neue in eine neue Ära. Ein Meilenstein, der lange nachhallt.
(Klassiker)
Billie Joe Armstrong – Leadgesang, Gitarre
Mike Dirnt – Bass, Gesang
Tré Cool – Schlagzeug, Gitarre, Gesang