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TWELFTH NIGHT – Smiling At Grief…. Revisited

~ 2022 (Independent/Just For Kicks Music) – Stil: Proto-Progressive-Rock ~


1982. Die britische Band TWELFTH NIGHT kann eine Reihe von frischen Songs aufnehmen, die sie mit ihrem neuen und zugleich allerersten Sänger Geoff Mann unter dem Titel ´Smiling At Grief´ als Kassette bei den Live-Auftritten unter das Volk bringen will.

Die von Gitarrist Andy Revell, Schlagzeuger Brian Devoil und Keyboarder/Bassist Clive Mitten ins Leben gerufene Formation hat zwar zuvor, aber nur temporär Sänger Geoff Mann und hernach Sängerin Electra MacLeod in ihren Reihen, doch sie hatten eigentlich beschlossen, als Instrumentalband voranzukommen. Doch im Jahr 1981 gehen TWELFTH NIGHT abermals auf Sängersuche und können Geoff Mann aufs Neue rekrutieren.

Mit ´Smiling At Grief´ in der Hand und einem Sänger, der jede Live-Show zu einem Ereignis macht, steigert sich ihr Bekanntheitsgrad kontinuierlich, so dass sie ihr erstes offizielles Album ´Fact And Fiction´ aufnehmen und im Juni 1982 mit einem „David Essex Showcase“ auf BBC1 im Fernsehen auftreten können.

Dass Geoff Mann die Band nach ´Fact And Fiction´ verlässt, THE BOND und A GEOFF MANN BAND formiert, im Juli 1990 zum Priester geweiht wird und nach den Diagnosen Morbus Crohn sowie Darmkrebs am 5. Februar 1993 aus diesem Leben scheidet, ist eine andere Geschichte. Dass TWELFTH NIGHT trotz ihrer recht kurzen Karriere als Vorreiter der wieder aufkommenden Progressive und Neo Prog-Rock-Bewegung gelten und bis heute von ihren berühmteren Kollegen wie MARILLION und PENDRAGON, IQ und PALLAS verehrt werden, ist Tatsache und keine Fiktion.

In der recht unbeträchlichen Diskografie von TWELFTH NIGHT, die als ihre große Zeit die erste Bandphase zwischen 1978 und 1987 proklamieren können, wird ´Smiling At Grief´ erst 1997 auf CD veröffentlicht. Die „Definitive Edition“ erscheint 2009 zur Freude der Die-Hard-Anhänger mit 14 Bonustracks.

Für 2022 hat sich die Prog-Legende etwas anderes ausgedacht, es erscheint ´Smiling At Grief…. Revisited´, d.h. einige mehr oder minder berühmte Kollegen, u.a. Steven Wilson, Tim Bowness, Pete Jones, Karl Groom und Andy Tillison, haben die Original-Mastertapes remixed und teilweise sogar eigenes Instrumentarium in der Produktion ersetzt. Die Vinyl-Ausgabe von ´Smiling At Grief…. Revisited´ enthält die neun Songs des ursprünglichen, des Original-Kassettenalbums. Der Silberling hingegen darüber hinaus sieben weitere Remixe.

 

 

TWELFTH NIGHT sind 1982 ihre Zeit voraus und spielen längst nicht den später weltbekannten und Keyboard-lastigen Neo Prog, vielmehr einen Proto-Prog in diesem Sinne mit einem New Wave-Einfluss jener Tage. Post Punk und New Wave sind noch äußerst populär. Es beginnt eine spannende Periode der Musikgeschichte. Derweil GENESIS nur noch zu Dritt aufspielen und ein Pop-Hit nach dem anderen produzieren, YES den Pop-Rock stilistisch perfektionieren und KING CRIMSON sich einem metallenen Post Punk zuwenden, müssen TWELFTH NIGHT den Progressive Rock mit neuen Mitteln retten. TWELFTH NIGHT übernehmen notgedrungen die DIY-Haltung des Punk, denn sie sind eine echte Amateurcombo und tiefster Underground. Von Seiten der Plattenfirmen wird erst nach dem Erfolg von MARILLIONs ´A Script For Jester’s Tear´ etwas Geld in die Szene investiert.

Die Produktion von ´Smiling At Grief´ ist 1982 eine echte Low-Budget-Demo-Produktion, die Songs klingen in ihrem Demo-Sound roh und ungeschliffen, dennoch zählen am Ende des Tages die Lieder selbst. Großartige Songs bleiben schließlich großartige Songs. Die jeweiligen Remixe des Jahres 2022 verschaffen diesen Kompositionen sogar einen neuen und völlig großartigen Glanz sowie obendrein eine gewisse Zeitlosigkeit. ´Smiling At Grief´ strahlt jetzt noch stärker als der kleine Klassiker vor dem großen Klassiker ´Fact And Fiction´.

Die Brillanz des Werkes nimmt mit Steven Wilsons (PORCUPINE TREE) fantastischem Remix des Synthesizer pulsierenden ´East Of Eden´ seinen Lauf. Wir haben 1982 und die Welt spielt verrückt. Jetzt geht es erst einmal in ´This City´ mit geisterhaften Keyboards, sozusagen Space-Proto-Neo-Prog, und einem fantastischen Sänger, den Peter Jones (TIGER MOTH TALES, CAMEL) mit seinem Remix in Szene setzt.

Den flotten und geradezu in die Welt hinausgerufenen Ohrwurm ´The Honeymoon Is Over´ unterfüttert Karl Groom (THRESHOLD) in seinem Remix zusätzlich mit seiner Gitarre und Keyboards. Einen weiterer Remix dieses Songs von Andy Tillison (THE TANGENT) veredelt dieser auf dem Silberling gleichsam mit seinen Keyboards. Die zehnminütige ´Creepshow´ offenbart eine nervenzerreißend Spannung sowie eine gewisse Nähe zum Zeitgeist und zu MARILLION, selbst im Remix von Simon Godfrey (TINYFISH), der eine bisher ungehörte, alternative Gesangsspur sowie eigene Taurus Pedals und Mellotron nutzt. Auch Paul Hodson (TEN, HARD RAIN) wirft bei seinem, weiteren Remix von ´Creepshow´ eigene Keyboards ein.

Der Marsch-Rhythmus von ´Puppets´ im Remix von Rob Reed (MAGENTA, CYAN), mit neuer Gitarre von Lee Abraham (GALAHAD, ECHO RAIN), Keyboards und Bass von Rob Reed sowie Backing-Vocals von Stuart Nicholson (GALAHAD), überrennt ebenso alles und jeden wie der weitere Remix des Original-Songs von Steven Wilson auf dem Silberling. Steven Wilsons Remix von ´Three Dancers´ verschließt sich zugleich nicht dem Geist von 1982 und bringt die mächtige Gitarre und den unaufhörlich atmenden Bass weitaus mehr nach vorne als der Bonus-Remix dieses Liedes von Gareth Cole (FRACTAL MIRROR) auf dem Silberling.

Unnachahmlich tönt ´Makes No Sense´ im Remix von Tim Bowness (NO-MAN) und Brian Hulse nach eben jenen NO-MAN, schließlich übernimmt Tim Bowness mit zusätzlichem Original-Gesang durch Geoff Mann das Mikrofon. Der weitere Remix des Songs von Mark Spencer (BLOOD ORANGES, SON VOLT) entwickelt auf dem Silberling eine andere Aura und spielt gleichfalls mit neuem Instrumentarium und Gesang auf.

Die beeindruckende Reise in das Jahr 1982 endet auf dem Vinyl mit dem Remix des instrumentalen, elfminütigen ´Für Helene Part II´ durch Keyboarder Dean Baker (GALAHAD, TWELFTH NIGHT seit 2010). Das ´Smiling At Grief…. Revisited´-Werk endet 2022 auf dem Silberling mit Steven Wilsons „Extended-Version“ des gerne endlos aufspielenden Endzeit-Liedes ´East Of Eden´: „The clouds are fabric balls. The earth machinery. To gather power from the stars. Each of us has a gateway. Through which infinity calls.“

 

https://twelfthnightuk.bandcamp.com/album/smiling-at-grief-revisited