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Nikolai Okunew – Red Metal – Die Heavy-Metal-Subkultur der DDR

~ 2021 (Christoph Links Verlag) ~


Über den Heavy Metal und seine Fans in der DDR wurde ja schon einiges geschrieben. Gerade 2019, zum 30. Jubiläum des Mauerfalls, konnte man in der Presse und im Netz einiges dazu lesen. Auch wir SaitenKulter, damals noch als Streetclipper unterwegs, haben uns dem Thema nicht verschlossen. Sogar der Verfasser des hier vorgestellten Buches wurde von uns für ein Interview mit Fragen gelöchert. Da hat Nikolai schon an seiner Dissertation zum Thema gearbeitet. Ein Jahr nach der Verteidigung ist diese Arbeit für uns alle in Buchform erschienen.

Im Zwiegespräch hat er uns ja schon einiges davon verraten, was hier zwischen zwei Buchdeckeln verpackt wurde. Schwarz auf Weiß. Alles, wie es sich für eine wissenschaftliche Arbeit gehört, durch Quellen belegt. Das sind Akten des MfS, wie die Stasi offiziell genannt wurde. Aber auch Zeitzeugen kommen zu Wort. Genannt seinen hier einfach mal Basti Baur, vor der Wende Mitglied von MCB, nach der Wende ein Teil von KNORKATOR, oder Hendrik Rosenberg, der rührige Labelboss von „German Democratic Recordings“.  Dazu kommen eine Reihe Fans und auch die schreibende Zunft ist vertreten. Dadurch bleibt der Blick nicht einseitig, sondern jedes Thema wird allseits beleuchtet.

Auch beim Rezensenten weckt das Buch Erinnerungen. Auch wenn ich altersbedingt, oder eher aufgrund der späten Geburt, erst etwa 1987 mit der Heavyszene in Kontakt kam, habe ich vieles so oder so ähnlich erlebt. Nehmen wir das extatische Geschehen bei Konzerten. Ich war zwar nur zwei oder drei Mal in Putzkau dabei. Ich habe dort wohl METALL gesehen, mit Sicherheit aber BIEST, So wie es beschrieben wird, habe ich die Konzerte erlebt. Gefühlt habe ich das sicher schon immer, jetzt hat mal jemand formuliert, was die Aufgaben von Riff und Solo in einem Song sind. Und vor allem, warum wir so gern Luftgitarre spielen. Zumindest was das Erleben von Konzerten betrifft, kann ich behaupten, ich habe mir das Miterleben mit dem Geschehen auf der Bühne bis heute bewahren können.

Nikolai Okunew

Es kommt vieles zur Sprache in ´Red Metal´. Die Unterschiede zwischen der Außenwirkung der Heavys und ihrem Selbstbild. Eigentlich waren sie höchst unpolitisch. Sie wollten nur ihre Ruhe. Sie wollten nur ihre Freizeit frei gestalten. Genau dadurch wurden sie zu einem Politikum, gerieten unter die Überwachung der Staatssicherheit, lösten Maßnahmen aus. Die Abgrenzung zu anderen Szenen und Subkulturen kann ich auch zu großen Teilen bestätigen. Allerdings war die Clique, in der wir abhingen, in der kirchlichen Jugendarbeit angedockt. So hingen mit uns auch Tramper und Blueser (die sich selber auch Kunden nannten) ab. So kombinierten wir dann schon mal den Nietengürtel mit Jesuslatschen. Mit Politik hatten wir aber auch nichts am Hut.

Auch die Metalrunde beim samstäglichen Jugendtanz kommt aufs Tapet. Auch wir hatten immer Kassetten dabei. Am liebsten etwa ´Master Of Puppets´. Der Song war zum einen ziemlich lang und das Break war ausgezeichnet zum Rumposen geeignet. Wir kannten unsere Plattenaufleger. Da war einer, der war ein echter Aufreger. Der ging gar nicht auf Wünsche unsererseits ein. Was solls? Haben wir eben aus Trotz zu MODERN TALKING den Mosh Pit eröffnet.

Nikolai geht kritisch mit der Szene um. Er beleuchtet übermäßigen Alkoholkonsum und Gewaltexzesse. Auch die Nähe mancher Heavys zu rechtem Gedankengut kommt zur Sprache. Auch da erinnere ich mich, wie manche vom „Vitschies Klatschen“ prahlten, wenn sie mal wieder vietnamesische Vertragsarbeiter gejagt haben.

DISASTER AREA beim Fototermin

Die Distanz zur Opposition in der DDR war Tatsache. Im Buch finden sich auf Seite 233 Zitate wie „Bürgerrechtler waren wir nicht! Hör mir auf, Du!“ und „Die wollten nicht, dass die DDR verschwindet. Die wollten mehr Freiheit, und zwar die Freiheit, dit zu machen, was man ihnen verboten hat. Zu IRON MAIDEN fahren, zu leben wie ein freier Mensch und nicht gegängelt zu werden…“ Wer 1989 an den Montagsdemos teilnahm, tat das nicht als Heavy. Andere suchten ihr Heil in der Flucht. Und dann fiel die Mauer. Damit brach die Szene auseinander. Die einen zogen fort, der Arbeit hinterher. (Zitat meines Vaters: „Wenn keiner einen Trabi kauft, muss man auch keine mehr bauen„) Die Tauschkreise wurden nicht mehr gebraucht, schließlich haben die kommerziellen Anbieter den Markt für sich erobert. Auch die meisten Bands zerbrachen. Erst lange später kam wieder das Interesse auf an Bands wie MOSHQUITO und MACBETH, die sich wiedergefunden haben, letztgenannte sogar noch erfolgreicher als je.

Natürlich habe ich hier den Inhalt der 250 Seiten stark verkürzt. Diese lassen sich, obwohl ´Red Metal´ eine wissenschaftliche Arbeit ist, leicht und locker lesen. Wer die Zeit miterlebt hat, wird viele Erinnerungen wiederfinden. Die Leute, die im ehemaligen Westen groß geworden sind, dürften aber auch Bekanntes finden. Schließlich gab es bestimmt einige Parallelen, was zum Beispiel das Bild des Heavys in der Öffentlichkeit betrifft.


Das Buch ´Red Metal – Die Heavy-Metal-Subkultur Der DDR´ erschien im CHr. Links Verlag und kostet 25 Euro.

ISBN: 978-3-96289-138-1