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ABBA – Voyage

~ 2021 (Universal Music) – Stil: ABBA ~


Bereits aufgrund ihrer Anfangsbuchstaben ist der Slogan „von ABBA bis Zappa“ eine von weisen Musikhörern oft gebräuchliche Umschreibung ihrer eigenen musikalischen DNA. Natürlich leben unter uns auch Exoten, die sich rein musisch weder mit der einen Formation noch mit dem anderen Genie anfreunden können. Dies ist freilich kein Problem, schließlich existieren oder existierten dazwischen Millionen andere Musikschönheiten zum Genießen.

Meinerseits war in den frühen Neunzigerjahren die Aussage „von Tori Amos bis DEMOLITION HAMMER“ eine gern gebräuchliche, um das weite Spektrum der eigenen Hörgewohnheiten zu verdeutlichen. Doch bevor jetzt vermeintlich die Musikhistorie von Alpha bis Omega durchgesprochen wird, widmen wir uns nunmehr einfach dem ersten Aufreger der beliebten Parole.

Denn am 2. September 2021 kündigte die schwedische Bilderbuchlegende ABBA ein neues Studioalbum an. Auf diesen Moment hatten Millionen begeisterte Anhänger seit Jahrzehnten gewartet, aber insgeheim nicht mehr damit gerechnet. ABBA waren vor vielen Dekaden das letzte Mal im Studio, um ´The Day Before You Came´ einzuspielen. Es war das allerletzte Mal. Es war das endgültige Aus, das beide Ehen innerhalb der Gruppe bereits vollzogen hatten. Nichtsdestotrotz ist es nun Realität geworden. Das neunte Werk erscheint 40 Jahre nach dem 1981er Studioalbum ´The Visitors´. Allerdings soll ´Voyage´, um die Freude gleich etwas zu trüben, auch endgültig das finale bleiben. Immerhin zählen die vier Namensgeber bereits zwischen 71 und 76 Lenze.

Doch 40 Jahre lang blieben ABBA standhaft, lehnten sogar Angebote von 1 Milliarde US-Dollar für eine Tournee ab und werden auch jetzt nicht auf Welttournee gehen. Allein eine eigens erbaute Arena im Olympiapark London wird Konzerte von ABBA erleben, bei denen Agnetha, Anni-Frid, Björn und Benny jedoch nur als digitale Avatare in ihrem Aussehen von 1979, als „ABBAtare“ anwesend sein werden.

Mit ´Voyage´ fügen sich dennoch nochmals zehn Kompositionen der ABBA-Diskografie hinzu. Eingespielt und eingesungen von Björn und Benny, von Agnetha und Anni-Frid, handelt es sich um das spektakulärste und wahrhaftigste Comeback aller Zeiten. Jeder seit jeher exerzierte Vintage- und Retro-Trend erfährt erst in diesen Tagen seine Vollendung. ABBA, das Original, ist wieder da. Und sie lassen die Siebzigerjahre aufleben, als wären sie und das Jahrzehnt nie fort gewesen.

Allein Hörer, deren musikalische DNA nur auf ABBAs Hitkompilationen basiert, etwa auf der 1976er Doppel-LP ´The Very Best Of ABBA´, die ausgebreitet am Boden des Kinderzimmers liegend auch mal aus Versehen mit einem ungeschickten Fußschritt zerbrach, oder auf der 1992er Greatest Hits-CD ´Gold´, die bei keiner Feier fehlen sollte und dementsprechende Gebrauchsspuren aufweist, könnten mit der stringenten Vielfalt eines Studioalbums, die niemals nur aus Hits- und Disco-Fegern bestanden, ihre Schwierigkeiten haben und gleichwohl auch kein ´King Kong Song´ und kein ´Eagle´ erwarten. Denn alles wohlbekannte ist wieder da, das Klavierspiel, Flöten und Synthesizer, nicht mehr ganz so kitschige Lyrik und natürlich der Gesang von Agnetha und Anni-Frid. Der einst beinahe alles überstrahlende Nimbus von zwei Ehepaaren, die in bunten Kostümen Musik machen, konnte letztlich nie eine gewisse Komplexität und Raffinesse ihrer Musik überspielen.

´Voyage´ beginnt mit der Single ´I Still Have Faith In You ´. Der längste und epischste Song drückt die Loyalität und die bis heute anhaltende Verbundenheit der vier Bandmitglieder aus. Trotz des spannungsgeladenen, erst spät einsetzenden Refrains, preist der Song seine Schönheit und Langlebigkeit bereits mit der ersten Strophenzeile „I still have faith in you“, die letztlich im Schlussrefrain aufgeht. Und da ist sie auch wieder, die Melancholie, die durch die Süße vieler ABBA-Kompositionen weht. Die majestätische Hymne ´Ode To Freedom´ beschließt dagegen in aller Größe und Erhabenheit mit klassischen Streichern im Sinne der großen Meister wie Franz Schubert oder Tschaikowski dieses erstklassige, stetig wachsende ABBA-Werk: „If I ever write my Ode to Freedom. It will be in prose that chimes with me. It would be a simple Ode to Freedom. Not pretentious, but with dignity.“

Dazwischen ertönt mit ´When You Danced With Me´ ein nordischer und fröhlicher Folk-Song, der in die Heimat der schottischen Kelten verlegt wurde, mit ´Little Things´ ein Weihnachtssong inklusive Harmonie, Spieluhr und Kinderchor zum Abschluss, sowie eine mächtige Achtzigerjahre Ballade namens ´I Can Be That Woman´, die etwa auch für Bonnie Tyler ein Gewinn gewesen wäre und kurzerhand alle Gefühle der Siebzigerjahre aufweckt.

Der bislang unveröffentlichte, aber in seinen Fragmenten schon seit 1978 bestehende Song ´Just A Notion´ schwebt, angetrieben durch Klavier und Rhythmik, einfach kontinuierlich durch das ABBA-Universum. Der Gesang wurde sogar von den alten Aufnahmen übernommen. Mit Glöckchen marschiert ´Bumblebee´ ebenso ganz klassisch sowie erhaben hindurch und träumt vom Umweltschutz.

Selbst die Magie ihrer Disco-Tage fangen ABBA wieder ein. Nach der ersten Strophe lebt sich ´Don’t Shut Me Down´ auf den Tanzflächen der Siebzigerjahre aus. Hoch her geht es auf den Dancing-Flächen mit dem Song ´No Doubt About It´, der die doppelte Frauen-Power am Mikrofon endlich rausbläst. Und der große Earcatcher ´Keep An Eye On Dan´ tobt sich ebenfalls mit Synthesizern und Gitarre in diesen „Gimme! Gimme! Gimme!“-Tagen aus und ruft am Ende kurz ein instrumentales ´SOS´ aus.

(9 Punkte)

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