PlattenkritikenPressfrisch

GENESIS – Selling England By The Pound

~ 1973/2023 (Analogue Productions/Atlantic 75 Series) – Stil: Prog Rock ~


Im August 1973 finden in den Londoner „Island Studios“ die Aufnahmen für ein Genre definierendes Werk statt. ´Selling England By The Pound´ komponieren GENESIS im direkten Anschluss an die Tournee zur Vorgängerscheibe ´Foxtrot´ während einiger Sitzungen in einem alten Herrenhaus und in einem Proberaum in London, um schließlich nach sechs Wochen mit ausreichend Songmaterial ins Londoner Studio zu gehen. Denn ihre Plattenfirma räumt ihnen nur drei Monate ein, um ein weiteres Werk zu produzieren. Eine erneute Zusammenarbeit mit Produzent John Burns fördert obendrein den bislang besten Sound zutage.

Der einfallsreiche Plattentitel ist dabei eine Anspielung auf den Niedergang der englischen Kultur und die zunehmende Amerikanisierung. Mit dem Satz “Can you tell me where my country lies?” beginnt daher ein loses Konzeptwerk über den vermeintlichen Untergang Großbritanniens und eines der bemerkenswertesten Werke des Prog Rock-Genres. ´Selling England By The Pound´ ist der Klassiker unter den Klassikern.

Steve Hackett bringt vermehrt seine romantische Ader ein, Tony Banks mit seinen jüngsten Keyboards und Synthesizern wunderbar chorale Klänge und Phil Collins seine Vorliebe für Jazz-Rock ins Spiel. Die Texte und der Gesang von Peter Gabriel tragen den Hörer dabei in eine andere Welt, zwischen Realität und Fiktion.

“It lies with me!”, antwortet die Königin des Vielleicht und der Hörer befindet sich inmitten der achtminütigen Eröffnung ´Dancing With The Moonlit Knight´, einer aus mehreren Klavierstücken zusammengefügten Götterkomposition mit einem folkigen Klange. Peter Gabriel singt mit reichlich Wortspielereien wie aus dem Munde verschiedener Persönlichkeiten und Tony Banks nutzt sein neues Mellotron ausgiebig. Das Lied wechselt zwischen ruhigen und äußerst druckvollen, aggressiven Abschnitten, variierenden Geschwindigkeiten und Tonarten, ehe es mit einer 12-saitigen Gitarrenvariante abgeschlossen wird.

„It’s one o’clock and time for lunch. Bum-de-dum, de-dum,“ spricht Peter Gabriel, spielt mit einer von Tony Banks aus Nigeria mitgebrachten Trommel und betont so in dem rasch mitsingbaren ´I Know What I Like (In Your Wardrobe)´ den Jam-Charakter zum melodischen Gitarrenriff von Steve Hackett und zu einer der großen Bass-Linien von Mike Rutherford. Etwas Narretei ist natürlich ebenfalls im Spiel, wenn in der ersten Hit-Single von GENESIS die Gleichgültigkeit der gutsituierten Mittelschicht angeprangert wird.

Dagegen durchlebt das beinahe zehnminütige Meisterstück ´Firth Of Fifth´ die ständigen Veränderungen der Gesellschaft in wechselnden sinfonischen Stimmungen. Wie den unvorhersehbaren Lauf eines Flusses wollte Tony Banks die Komposition mit langer Klavier-Einleitung und reichlich Keyboards ausleben, doch insbesondere das einfühlsame Flötensolo gehört zu den Höhepunkten und das brillante Gitarrensolo zu den Großtaten von Steve Hackett.

 

 

Bei der kleinen und sanften, von Phil Collins und Mike Rutherford komponierten Ballade ´More Fool Me´ betört besonders der mehrstimmige, äußerst harmonische Gesang. Zudem hat Phil Collins seinen zweiten Auftritt als Lead-Sänger in der bis dato erlebten Geschichte von GENESIS.

Mit Pfeifen und Trommeln marschiert das Quintett direkt in ´The Battle Of Epping Forest´, einen zwölfminütigen Bandenkampf in einem Wald von Essex, der von der Gesellschaft wie bei einem Picknick beobachtet wird. „Just like any picnic. Picnic, Picnic, Picnic.“ Exzentrisch erscheint die theatralische Erzählung samt Cockney-Slang, tatsächlich ist dieser absurde Territorialkampf zwischen den Banden der Realität entnommen. „Here come the cavalry!“

Doch zur weiteren Untermalung folgt Steve Hacketts famoses Instrumentalstück ´After The Ordeal´, das seinen ersten Einsatz einer Nylongitarre beinhaltet. Noch einmal betört die elfminütige und magische ´The Cinema Show´ alle Sinne, mit Harmoniegesang von Gabriel und Collins zur 12-saitigen Gitarre, einem kurzen Flöten- und Oboen-Solo sowie wortlosem Harmoniegesang. In der lyrisch vom Gedicht „Das wüste Land“ eines Thomas Stearns Eliot inspirierten Komposition erhält dennoch Tony Banks reichlich Raum für seine Keyboard-Ausflüge, insbesondere mit einem überlangen Solo auf seinem neuem „ARP Pro Soloist“-Synthesizer.

Das Wunderwerk schließt den Kreis und klingt letztlich mit einer Reprise von ´Dancing With The Moonlit Knight´ namens ´Aisle Of Plenty´ unter Verwendung marktschreierischer Wortklaubereien aus.

Dieses Ausnahmewerk erscheint derzeit zum 75-jährigen Jubiläum von „Atlantic Records“ wieder auf Vinyl. Dem haben sich „Analogue Productions“ angeschlossen und veröffentlichen die Scheibe ihrerseits auf einem 180g schweren Doppel-Vinyl mit 45 rpm, natürlich gepresst bei „Quality Record Pressings“, vom analogen Original-Masterband von Bernie Grundman gemastert, in einem wunderbar dicken Tip-on Gatefold Double-Pocket Jacket.

Die bekannte Zusammenarbeit von „Acoustic Sounds“, „Analogue Productions“ und „Quality Record Pressings“ führt zu diesem unglaublichen Sound, der diese Pressung als die bislang allerbeste klingen lässt und den Zuhörer unverfälscht und authentisch scheinbar direkt neben dem Künstler auf dessen Wald-Bühne zwischen Landschaftsgärtner („When the sun beats down, and I lie on the bench.“) und Rasenmäher („Me? I’m just a lawnmower.“) platziert.

(Klassiker)

 

 

 

Peter Gabriel – Gesang, Flöte, Oboe, Percussion
Tony Banks – Hammond Organ, Mellotron, Hohner Pianet, ARP Pro Soloist, Piano, 12-String-Gitarre
Steve Hackett – Electric/Nylon Gitarre
Mike Rutherford – 12-String Gitarre, Bass, Electric Sitar, Cello
Phil Collins – Drums, Percussion

 

https://www.facebook.com/genesis