Livehaftig

MAYBERIAN SANSKÜLOTTS

~ 15.05.2022, Kulturbrücken, Mannheim ~


So kann es gehen. Am Sonntag vor einer Woche sitze ich noch am Review zum Album ´God Tiger Need Chemical Work´, ich will zur Band MAYBERIAN SANSKÜLOTTS nur ein zwei Sachen nachsehen und stelle fest, die kommen nach Mannheim. Da kann ich fast nicht anders, da muss ich hin.

Der Veranstaltungsort „Kulturbrücken“ befindet sich mitten im Szene- und Künstlerviertel Jungbusch. Im Umkreis findet man eine Moschee, diverse internationale Restaurants, die Popakademie. Betrieben vom Kulturbrücken e.V. ist die ehemalige Druckerei ein Ort der Begegnung in der Nachbarschaft. Der Verein macht, vor allem hier vor Ort, kulturelle und soziale Arbeit. Momentan etwa sind die Mitglieder stark in der Hilfe für die Ukraine engagiert. Mit Konzerten im Hause sollen auch ein paar Euro für die Arbeit des Vereins erarbeitet werden.

Heute dürfte der Ertrag nicht so groß sein. zehn bis fünfzehn zahlende Gäste, davon ein nicht geringer Teil Metal-Fans, finden sich vor der Bühne ein. Einerseits ist das doch schade, will Mannheim doch Musikhauptstadt sein. Andererseits, es ist Sonntag und in den letzten Wochen war förmlich ein Überangebot an Konzerten, zugegeben nach zwei Jahren ziemlicher Funkstille.

Der ziemlich kleine Raum ist damit luftig locker gefüllt. Mehr als 40-50 Nasen passen hier am Ende sonst auch nicht hinein, würde ich zumindest schätzen. Eine kleine Theke im Vorraum, ein offener Empfangsraum, die Wände im Saal(chen) zum Teil mit Vorhängen versehen, zum Teil mit Spiegeln. Im Raum verteilt Stehtische und Barhocker, es könnte auch eine ehemalige Table-Dance-Bar sein. Für den Jungbusch wäre das nicht ganz abwegig. Der Abend verspricht zumindest ein sehr intimer Abend zu werden.

Die kleine Bühne tut ein Übriges dazu. Ein paar Vintage-Lampen sorgen für Licht, Vorhänge und Spiegel, Bassist Szigeti Árpád spielt mit dem Rücken zum Publikum, das alles sorgt für das Feeling einer Probenraum-Session. Der aus den USA stammende Drummer Justin Spike nutzt bei ein paar wenigen Songs ein elektronisches Pad, diese Sounds passen da auch wie der Arsch auf den sprichwörtlichen Eimer. Im Regelfall aber bespielt er sein akustisches Set. Damit bekommen die MAYBERIANischen Popsongs einen leichten Rock-Dreh. Die zwei Gitarristen Balogh Gallusz und Doroszmai Gergö sorgen für teils sphärische, teils kraftvolle Klänge. An den Tasten Várnai Szilvia, sie wirkt sehr aufmerksam. Teils lächelnd, meist eher konzentriert blickend, so scheint sie die musikalischen Fäden in der Hand zu haben.

Grandios ist auch Sängerin Csordás Zita. Sie ist sicher keine Show-Frau. Zumindest sieht es heute so aus. Eher wirkt sie still und in sich gekehrt. Aber, mit ihrer Stimme, den Gefühlen, die sie transportiert, hat sie ihre Zuhörer in der Hand. Selten habe ich bisher am Mikro jemand erlebt, der so introvertiert agiert und dabei trotzdem oder genau darum Wirkung erzielt. So sind alle Augen und Ohren auf sie gerichtet. Ihre innere Einkehr ist so groß, sie lässt die Ansagen einige Male vom Drummer übernehmen.

Musikalisch wirken MAYBERIAN SANSKÜLOTTS noch stärker als auf Tonträger. Ihr Spiel ist weniger der Virtuosität verpflichtet. Dafür geht eins ins andere. Wie Puzzleteile passen die einzelnen Töne ineinander. Die ruhigen Momente wirken noch ruhiger. Die Dynamik ist noch stärker. Stellenweise wird die Intensität von U2 erreicht zu Zeiten von ´Sunday Bloody Sunday´. Zwischen die Songs des aktuellen Albums, das erst am Freitag erschien, schieben sie noch einiges älteres Material. So gibt es gar drei Lieder auf ungarisch, was wunderbar mit der Musik harmoniert. Warum aber kündigen sie die schöne Nummer ´What Is Love´ als seltsames Lied an?

Die Metaller in der ersten Reihe tanzen, während weiter hinten eher andächtig und mit geschlossenen Augen gelauscht wird. Die Band fesselt so stark, niemand verlässt den Raum während des Gigs. Oder traut sich einfach keiner? Nicht einmal um ein Getränk zu holen. 

Wenn ich oben die Ansagen erwähne, eigentlich arten diese gern wegen des kleinen Rahmens zu Dialogen mit den Menschen vor der Bühne aus. Justin berichtet von einem Stadtrundgang. Er kennt keine Stadt, die anstelle Straßennamen nur Buchstaben und Nummern nutzt. „It’s like Manhattan“, meint er. Die Antwort darauf, dieser Teil hier ist dann die Bronx. Dann kommt der Aufruf, näher zu kommen. „We want to smell you and you have to smell us…“. Jetzt ist klar, warum wir Metaller ganz vorne stehen. Wir sind es gewohnt, den Duft der Band zu atmen.

Nach dem Auftritt wird fleißig Merch gekauft. Ein Renner sind die von der Band selbst entworfenen und im Siebdruck bedruckten Shirts, Patches und sogar Hosen. Die MAYBERIAN SANSKÜLOTTS sind so oldschool, neben den CDs liegen Kassetten. Mit einem Getränk treffen sich irgendwann alle Anwesenden auf dem Gehweg vor der Tür. Durch die Straße weht das Aroma des Jungbusch. Der Duft der Schokinag, wir atmen Schokolade. Ist das schon der nächste Song der Ungarn? 

„The Smell Of Mannheim“ 

https://mayberian.bandcamp.com/album/god-tiger-need-chemical-works
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