Livehaftig

TY SEGALL

3. Juli 2024, Festsaal Kreuzberg, Berlin

~ An Alternative In Perfection ~



Tja, so kann es eben auch kommen. Ich saß bereits im Zug in Richtung Hauptstadt, als ich die Nachricht erhielt, dass gleich beide PEARL JAM-Konzerte kurzfristig abgesagt werden mussten. Was also tun? Die Stornokosten für das Hotel waren viel zu hoch, ich musste mich also nach einem Alternativprogramm umschauen, und das hatte es dann durchaus auch in sich! JUDAS PRIEST/SAXON war schließlich der Ersatz für die PJ-Night 1, mein erstes Live-Erlebnis mit den Birminghamer „Metal Gods“ seit über 40 Jahren, und die alten Herren konnten durchaus überzeugen, mit einem nahezu perfekten Sound und einer Best-Of-Songauswahl, die fast ausnahmslos Klassiker aus über 50 Jahren JUDAS PRIEST parat hatte.

TY SEGALL hingegen als Notnagel zu bezeichnen, wäre weit gefehlt. Ich verfolge die Entwicklung des kalifornischen Multitalents nun schon seit Beginn seiner Karriere, hatte ihn bis dato jedoch erst einmal live erlebt, nämlich mit seinem Stoner Rock/Doom-Projekt FUZZ vor einigen Jahren in Los Angeles. Es war also längst an der Zeit, auch bei einer regulären Show des Garage/Psychedelic Rock-Genies dabei sein zu dürfen, und der stylische Festsaal Kreuzberg im 70er-Jahre-Flair war auch der ideale Austragungsort dafür.

Als Support fungierte das Heavy-Psychedelic Duo EARTH TONGUE aus Neuseeland, und ihr Auftritt wirkte ungemein straff und war höchst explosiv, wobei Gussie Larkins intensives Fuzz Metal-Riffing gepaart mit Ezra Simons zerschmetternden Drums die Songs kongenial davontrugen. Die Band orientiert sich thematisch vor allem an Horror- und Science Fiction-Filmen der 70s, und ihr Sound platziert sie so circa an der Schnittstelle von BLACK SABBATH und DEVO.

Ty Segall und seine Band enterten schließlich die Bühne pünktlich um 21.00 Uhr und boten rund zwei Stunden lang eine sowohl mitreißende wie perfekt gespielte Show, bei der schwerpunktmäßig Songs ihres ausgezeichneten aktuellen Albums ´Three Bells´ präsentiert wurden. Abgehackte, komplizierte Riffs unterstützen dabei weit komplexere Songstrukturen, die überwiegend mehr nach 70s-Proggressive Rock klingen als nach dem Psych/Garage-Sound, für den Segall ansonsten bekannt ist.

Vor allem die neueren Stücke konzentrieren sich auf instrumentale Geduld und phasenweise Improvisation, wobei die Band den Melodien unheimlich viel Raum lässt, was eine weit größere Katharsis ermöglicht.

Segall vervollständigt die Songs dabei stets mit komplizierten Fills und stratosphärischen Soli, und vor allem sein Gesang hat sich seit dem Beginn seiner Karriere fortwährend verbessert – er singt mittlerweile fast genauso gut, wie jedes clevere Riff, das er erfunden hat.

Darüber hinaus wirkt insbesondere der neue Schlagzeuger Evan Burrows (von den kalifornischen Garage Rockern WAND) mit seiner ungeheuren Präzision wie ein belebendes Element und Emmett Kellys (u.a. FREEDOM BAND) schnittige Gitarrenparts sorgen auch weiterhin routiniert für gleich mehrere faszinierende Momente.

Das sagenhafte ´The Bell´ ist dann auch der ideale Opener, und das sich anschließende ´Void´ lässt Segalls Psychedelic-Fundament sogar noch viel farbenprächtiger aufblühen. Die funkigen Jams und das präzise Finger-Tipping von ´I Hear´ versetzen den Veranstaltungsort in der Folge sogar noch weit heftiger in Stimmung, und als ein weiteres Set-Highlight wird eine straffe Version von ´Whisper´ aus dem ´Harmonizer´-Album von 2021 präsentiert.

Aber auch andere musikalische Momente waren einfach nur umwerfend schön, wie etwa die zart gezupften Gitarrenmelodien von ´Looking At You´ aus dem 2022er Album ´Hello, Hi´ oder ´Wait´, wo die üppigen dreistimmigen Gesangsharmonien von Segall, Kelly und Mikal Cronin schließlich den harmonisierten zweistimmigen Gitarrensoli weichen. Keyboarder Ben Boye bewegt sich dabei zwischen Synthesizer und E-Piano und fügt dem Mix seine besondere Würze hinzu.

Es war aber vor allem der nahezu fortwährende Stilkontrast vom komplizierten Psychedelic über dichten Rock bis hin zum Garagen-Noiseder diesen lauten Abend so ungemein intensiv machte und zu keiner Sekunde auch nur annähernd Langeweile aufkommen ließ. Einen besseren Notnagel hätte es jedenfalls nicht geben können.

 

 

 

Setlist:

The Bell
Void
I Hear
Hi Dee Dee
Emotional Mugger/Leopard Priestess
Whisper
My Head Explodes
Goodbye Bread
Imaginary Person
Girlfriend
My Best Friend
My Room
Wait
Looking At You
Denée
My Lady’s On Fire
Melted

 

 

 

 

 

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