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RAGE – Afterlifelines

~ 2024 (Steamhammer / SPV) – Stil: Rage Power Metal ~


Am kommenden Freitag isses soweit: 40 Jahre RAGE. Beinahe Dreiviertel meines bisherigen Lebens hat mich diese Band gefesselt, begeistert, unterhalten und so gut wie nie enttäuscht.

Der Kelch des AVENGERs ging noch unbemerkt an mir vorbei, doch im Nachhinein folgte ich den Gebeten des Stahls. Nach der Herrschaft der Angst wurde mir unmissverständlich klar, dass meine Exekution garantiert erfolgen würde. Es gab kein Zurück mehr, ich sollte zum perfekten Mann reifen und die Geheimnisse in einer schrägen Welt erkunden. Ein Schatten spiegelte sich vor meinem inneren Auge – ich war gefangen nach zehn Jahren Wut!

Wo war es geblieben, das fehlende Glied? Wahrscheinlich tief verborgen in meinem schwarzen Geiste, der urplötzlich die Sprache der Toten zu artikulieren vermochte. Am Ende aller Tage stand die Zahl Dreizehn nicht nur für eine Anzahl von bunten Kunstwerken, sondern für die Geister, die kommen sollten und mich zum Übertritt zur anderen Seite willkommen hießen.

Einigkeit verhieß die Verfolgung dieses speziellen Klanges, um nicht ständig über die Toten sprechen zu müssen. Es sei in Stein gemeißelt, dass die Saiten des Netzes 21 Zeitalter halten würden, bis der Teufel erneut zuschlägt. Es vergingen die ewig gleichen schwarzen Jahreszeiten bis die Schwingen der Wut ausgebreitet wurden und mich am Wiederauferstehungstag den Lebensadern entlang zum Leben nach dem Tode führen sollten.

Und hier bin ich nun. Mit Rage. Und Peavy. Im klassischen Dreiergespann mit Lucky (Schlagzeug – seit 2015) und Jean (Gitarre – seit 2020). Besten Dank für den langen Weg bis hierhin von mir unter anderem an Marcos, André, Victor, Mike, Spiros, Sven, Jochen (R.I.P.), Rudy, Jörg, Thomas und besonders Chris und Manni für meine schönsten RAGE-Jahre.

Doch das Gute ist: die Geschichte von RAGE ist noch lange nicht auserzählt – besonders wenn man sich dieses Jubiläumsalbum anhört! Wo andere Bands eine Kompilation mit paar Gimmicks rausbringen, schenken die dreisten Drei euch ganze zwei (!) neue Alben – die ihr natürlich schon noch selbst kaufen müsst – aber zu einem angemessenen Preis statt der üblichen Kohlemeierei. Natürlich gibt’s auch eine PornoBox für alle, die nie genug bekommen können.

Doch was erwartet euch nun? Gottseidank genau das was Frau, Mann und Zwischendrin von ihren Lieblingen erwarten. Es gibt Bands, von denen erwartet man ständig irgendwelche Innovationen, doch wir sprechen von German Power Metal der ersten Stunde und da will man genau das haben, was das Genre so groß gemacht hat. Während jedoch viele mit oder ohne echten oder guten Drumsound weit weg von ihren Sternstunden belanglos am Ziel vorbeikomponieren, haben RAGE über diese 40 Jahre ständig an ihrem unverkennbaren Sound gefeilt und auch jede Menge Neues hinzugefügt, ohne ihre Identität zu verlieren.

 

 

Daher bekommt ihr ein Drei-Fäuste-in-die-Fresse-Album und ein Fäuste-sinfonisch-auf-die-Zwölf Album. Ich glaube, die Beschreibungen sprechen für sich. Also einmal RAGE zu dritt in Reinkultur und einmal mit dem, was auf ´Lingua Mortis´ zur Perfektion gebracht wurde. Aber keine Angst, liebe Klassikhasser – die sinfonischen Elemente halten sich schön im Hintergrund, so dass der kompositorische Unterschied der beiden Alben nicht wirklich sehr groß ist.

Was im Endeffekt zählt, sind einfach satte rund eineinhalb Stunden RAGE, die nicht langweilig werden. ´In The Beginning´ waren da das Piano und eine ruhige Gitarre. Zu ihnen gesellten sich stimmungsvolle Streicher – bis die Gitarre fix nudelt und ´End Of Illusions´ als typischster aller Highspeed-RAGE-Knüppelslasher alter Schule förmlich aus den Lautsprechern explodiert und sich schon direkt mit einem fantastischen Refrain als neuer Hit outet. Genau das will ich hören. Ohne Verschnaufpause geht’s auch im Uptempo mit ´Under A Black Crown´ weiter und man spürt: das Hitpotenzial wird enorm, da ist ein kleiner, moderner Metalcore-Breakdown nur die Prise neues Salz, das aber dennoch die Speise nicht verdirbt, sondern lediglich die Heavyness unterstreicht.

Die Marschrichtung ist klar, ich werde euch nun auch nicht mit einer Abhandlung jedes Songs langweilen, denn spätestens jetzt steht fest, dass das Jubiläum würdig gefeiert werden darf. Wir schütteln die Köpfe zu Riffmonstern wie ´Afterlife´, ´Mortal´ und ´Shadow World´ oder weiteren Speedmetalkrachern á la ´Dead Man’s Eyes´, ´Waterwar´ und ´Justice Will Be Mine´ – welche im Refrain meist den Rhythmus zugunsten eines starken Refrains ändern. Und mal ehrlich: genau dafür stehen RAGE hauptsächlich: echte Metal-Gassenhauer. Und davon kriegt ihr jede Menge.

 

 

Natürlich hat das aktuelle Dreiergespann mit ´Toxic Waves´ oder ´Life Among The Ruins´ auch Überraschungen inklusive Drama und ruhigen Parts im Gepäck. Die Band spielt im Gesamten ultratight auf und besonders die abwechslungsreiche Gitarrenarbeit als auch das hochkarätige Songwriting haben es mir diesmal besonders angetan – abgesehen davon, dass Peavy immer noch wie ein kraftvoller Braunbär röhrt.

Tja, das war’s dann auch schon äußerst kurzweilig mit zehn starken Nummern plus Intro der einen Hälfte. Nach den ersten Durchgängen wage ich eine vorsichtige Prognose, dass ´Afterlife´ oben in meinen persönlichen RAGE-Top 10 zu finden sein wird, auch wenn der Langzeitfaktor noch nicht beurteilt werden kann. Was bringt nun ´Lifelines´ – Jubiläumsalbum Nummer zwei? Da wo es auf ´Afterlife´ nach bester RAGE-Schule direkt zur Sache ging, bietet ´Lifelines´ noch mehr Finesse, Abwechslung und Atmosphäre. Also das Beste aus zwei Welten, je nach Tagesform.

Wie bereits erwähnt, hält sich der Orchesteranteil in Grenzen und untermalt die Songs lediglich anstatt sie klebrig zuzukleistern wie bei mancher Feuer-Rhapsodie. Selbstverständlich dürfen gerade jetzt Piano, Streicher und Trommeln eröffnen, bevor auch das ´Cold Desire´ in epischer Speedmetalmanier über mich hereinbricht. Und wieder ein Treffer! Hymnisch und ausgefeilt zeigen sich ´Root Of Our Evil´ und ´Curse The Night´ mit abwechslungsreichen Parts, weitere tonnenschwere Metalhits sind ´It’s All Too Much´, ´The Flood´ und ´One World´.

 

 

Dass Peavy auch Balladen kann, weiß der geneigte Geist und ´Dying To Live´ strotzt nur so vor Kraft. Das Titelstück mit über zehn Minuten setzt die Tradition der gewaltigen Longtracks fort, die schon 1989 mit ´Without A Trace´ lange vor irgendwelchem Orchestereinsatz begann und ´Interlude´ versteht sich als ein kleiner Rückblick auf klassische Themen der Vergangenheit und ruft bei mir Erinnerungen an goldene Zeiten bis zu ´Don’t You Fear The Winter´ hervor… in denen ich seit über einer Stunde beim Genuss dieser Werke schwelge. Passend dazu der sentimentale Abschluss ´In The End´.

Mich als alten RAGEr packt die Veröffentlichung zum Jubiläum nicht nur, weil wir jede Menge Stoff auf zwei Scheiben haben, sondern weil das Ganze als Gesamtwerk als auch zu zwei Mahlzeiten funktioniert und vor allem keine offensichtlichen Lückenfüller enthält.

Lasst uns mal ehrlich und objektiv sein: Man muss kein Kernphysiker sein, um ein neues Album des Metalgods aus Herne und seinen Mannen zu kapieren und wer’s bisher nicht mochte, braucht auch diesmal keinen neuen Versuch zu starten. Doch wer die Band mag, wird festgestellt haben, dass Peavys Combo über all‘ die ganzen Jahre in sämtlichen Bandkonstellationen stets geliefert hat und einen Backkatalog ohne jegliche Heuler in der Hinterhand hält.

Besonders in Zeiten, in denen so viele alte Helden abkacken, bleibt das Hemd unter der Ruhrpotkutte blitzsauber und die Mucke dermaßen ehrlich und lebendig, wie es momentan gerade mal JUDAS PRIEST und BRUCE DICKINSON im größeren Universum gezeigt haben.

40 Jahre RAGE und kein bisschen leise. Weiter so!

 

 

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