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STRANGER VISION – Wasteland

~ 2022 (Pride & Joy) – Stil: Prog Metal ~


Ich könnte mich in den A….lerwertesten beißen. Nicht nur habe ich die Tage den Gig von EVERGREY mit wohl ziemlich starkem Begleitprogramm im 7er verpasst. Auch ´Wasteland´, das zweite Album der Modeneser Prog Metaller STRANGER VISION ist einige Tage unbeachtet im Stapel der ungehörten Promos und Neukäufe herumgedümpelt. Naja, das Cover sieht von weitem schon recht unscheinbar aus. Da greift man nicht automatisch hin. Irgendwie ist sie mir vorhin aber in die Finger gefallen. Und hat mich überzeugt.

Wie ein literarisches Werk ist das Album in fünf Kapitel aufgeteilt. Auf ein literarisches Werk beziehen sich Basser Daniele Morini, Drummer Alessio Monacelli, Gitarrist Riccardo Toni und Sänger Ivan Adami. Vor genau 100 Jahren erschien „Das Wüste Land“. T.S. Eliot schuf dieses riesige Poem, das als eines der bedeutendsten Werke der Moderne gilt. Nicht umsonst wurde ihm später der Nobelpreis für Literatur verliehen. Zusammengesetzt aus Motiven aus älterer Poesie und Religion erzählt Eliot von einer inneren Reise, der Leere des Menschen und von Europa zwischen de Weltkriegen. Dagegen ist ´The Rime Of The Ancient Mariner´ fast noch leichte Kost.

Entsprechend ernsthaft ist die Musik. Sehr melodischer Prog Metal ist zu hören. Dabei eifert man schon mal nicht den großen Namen nach. DREAM THEATER wird weder härtetechnisch, die Songlänge betreffend oder beim Frickelfaktor (hier die einzige Ausnahme das Instrumental ´Neverending Waves´) nachgeeifert. Auch Vergleiche zu FATES WARNING oder THRESHOLD erübrigen sich. Dagegen sollte es ein Leichtes sein, sich auf einer Bühne neben EVERGREY zu bewähren. Deren Kopf Tom S. Englund hat sogar in ´The Deep´ Vocals beigesteuert. Auch die Größen der italienischen Szene der 90er wie ELDRITCH oder LABYRINTH steckt man locker in die Tasche. Überraschend, obwohl kaum etwas, außer eine gewisse Orchestralität, an BLIND GUARDIAN erinnert, konnte man Hansi Kürsch als Gastsänger im Titelsong engagieren.

Also bekomme ich hier alles, was mein Herz begehrt. Das beginnt bei einer bockstarken Gitarrenarbeit mit geilen Riffs und starken Soli. Melodisch wird alles richtig gemacht. Die Lieder sind spannend aufgebaut, auf Abwechslung wurde viel Wert gelegt. Man findet melancholische Passagen und harte, fast thrashige Teile. ´Anthem For Doomed Youth´ bietet ein SAVATAGE’sches Singalong und Bach’sche Tonfolgen auf. Johann Sebastian Bach scheint gerade bei italienischen Bands immer wieder hoch im Kurs zu stehen. Mit ´Under Your Spell´ gibt es die waschechte Powerballade.

Wenn zum Ende alle ihren Frieden finden, sind zumindest in meinem Falle, überzeugende 57 Minuten vergangen. Keine davon kommt zu lang vor oder gar überflüssig. Und da, zumindest für mich, die Lektüre bedeutungsschwangerer Gedichte eher ein Graus ist, ist die musikalische Verpackung tatsächlich ein Hauptgewinn.

(8,5 Punkte)

 

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(VÖ: 04.11.2022)