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BLEEDING – Universe 25

~ 2022 (Independent) – Stil: Rock/Metal/Avantgarde ~


Viele Wohltäter der Menschheit, die eine Bevölkerungsreduktion befürworten, kennen die Experimente von John B. Calhoun. Sein berühmtestes Experiment ist das der Serie „Universe 25“. Auf engem Raum wurden Mäuse mit allem Notwendigen versorgt, so dass ein „Bevölkerungsboom“ einsetzen konnte. Als die Spitze der Bevölkerungsdichte erreicht war, kam es nicht nur zu psychologischen Störungen, sondern auch zum Sterben. Pessimisten erkannten in diesen Experimenten natürlich gleichsam die Grenzen der „Belastbarkeit“ für das Bevölkerungswachstum der Erde.

Dennoch war dies nur die vereinfachte und populäre Ansicht von John B. Calhouns Arbeit, die von der positiven Botschaft in den Schatten gedrängt wurde. Denn bei der Übertragung der Ergebnisse von „Universe 25“ auf die Menschheit wird zumindest außer Acht gelassen, dass diese friedlich zusammen leben kann. „Kann“ ist daher das Schlüsselwort, das die Menschheit in den kommenden Jahrhunderten auf die Probe stellen wird.

Man kann natürlich bereits im Hier und Jetzt spekulieren, Bücher schreiben, Vorträge halten oder auch ein Konzeptalbum komponieren. Die Norddeutschen Prog Metaller von BLEEDING haben sich bei ihrem dritten Studioalbum für letzteres entschieden. Die Band um Sänger/Gitarrist Haye Graf überträgt das Überbevölkerungsexperiment auf eine perfekte Gesellschaft und vertont den scheinbar unabdingbaren Weg in das Verderben. Einem progressiven Konzeptalbum angemessen nutzen die Gitarristen Jörg von der Fecht und Marc Nickel an ihren Instrumenten eine gewisse Bandbreite an Möglichkeiten, aber keinesfalls gewöhnliche Songstrukturen. BLEEDING haben das große Ganze im Sinn.

´Universe 25´ ist ein dreiviertelstündiges, kein gewöhnliches Werk in vierzehn Etappen, wobei zu diesen auch eine Eröffnung sowie weiterführende Zwischenstücke zählen.

Das sinfonische und fanfarenhafte ´Opening´ lässt sogleich auf ein mächtiges Epos hoffen. ´Universe 1´ beginnt allerdings zur Einstimmung und dem Gitarrenjaulen erst mit der Erwähnung der Weltbevölkerungszahlen anno 1750, 1850, 1950 und 2050 sowie einem Zitat des US-amerikanischen Komikers Bill Hicks („Life is only a dream and we are the imagination of ourselves.“).

Hierauf demonstriert ´Once It Began´ die neue Marschrichtung von BLEEDING, die nicht mehr zwingend die Härte in den Vordergrund stellt, sondern die Atmosphäre ausleuchtet. Das Quintett steht dadurch noch eigenständiger auf weiter Flur und platziert sich eher in eine Reihe mit VAUXDVIHL. Parallelen zu PSYCHOTIC WALTZ sind kaum noch zu vernehmen, wenige zu DEPRESSIVE AGE in ´Little Creatures´ und ´The Cure´.

Der theatralische Gesang von Haye Graf zeigt sich im Laufe des Konzeptes äußerst abwechslungsreich und betont sogar von Zeit zu Zeit die neue, die schräge und avantgardistische Note. Die exzentrische, ins hysterische abgleitende Seite führt er in ´The Cure´ („Everybody wants to hear the diagnosis, nobody wants to hear the cure.“), die betont dramatische im kurzen Akustikgitarrensong ´Only The Architects´ vor.

Als musikalischer Höhepunkt, wenn das Spektakel langsam auf die Spitze getrieben wird, muss das Werk in seiner Gänze angesehen werden, obwohl bereits ein kleines Zwischenstück wie ´Phase A: Social Adjustment´ mit Gitarrenläufen und Synthesizern die Spannung in die Höhe treibt, die von ´Little Creatures´ angenommen und mit Waltz’schen Gitarreneruptionen vollendet wird.

Einfach wunderbar hektisch kitzelt dagegen ´Out Of Pathology Comes Progress´ die Sinnesfreuden („At night I’m screaming in my dreams, where is my hope to find relief?“). ´Death²´ kennt zudem kein Halten mehr, wenn das Rhythmusbollwerk thrashend marschiert und die Gitarren gnadenlos ausbrechen („Mortality is second death.“), dann darf sich ´Another Killing´ nochmals Gitarrentechnisch im Blutbad auf der Straße suhlen und mit ´Come To The Universe´ das neue Utopia begrüßt werden.

BLEEDING öffnen mit ´Universe 25´ zweifellos ein ganzes, musikalisches Universum.

(9 Punkte)

 

Haye Graf – Gesang, Gitarren
Jörg von der Fecht – Gitarren, Synths
Marc Nickel – Gitarren
Heiko Spaarmann – Bass
Andreas Tegeler – Drums

https://bleeding.bandcamp.com/album/universe-25
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