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MESSA – Close

~ 2022 (Svart Records) – Stil: Doom ~


 

Eine der meisterwarteten Neuerscheinungen des Jahres ist gleichzeitig wieder einmal ein Paradeanlass dafür, ernsthaft zu fragen, ob der Trend zu immer weiter aufgefächerten Kategorisierungsschubladen unter dem großen „All things heavy“-Banner überhaupt noch Sinn macht, oder es in Zeiten ständiger gegenseitiger Befruchtung und Inspiration über sämtliche Genre-, Kulturraum- und Zeitgrenzen hinweg nicht auch andere, bessere Wege gäbe, Musik zu verorten, zu beschreiben, ohne Künstlern wie Fans damit ständig Schranken zu setzen?

Für MESSA selbst haben sich solche Fragen allerdings noch nie gestellt, sind sie doch der Beweis dafür, dass nur freie, offene und neugierige Geister wahrhaft Innovatives, die Hörgewohnheiten freudig Herausforderndes aus dem großen Fundus erschaffen können, der sich auf der Reise vom Blues bis hin zum heutigen Metal angesammelt hat – oder sogar schon viel früher da war. Sie sind eines der herausragenden Beispiele dafür, dass sich Musik nicht linear, sondern zyklisch entwickelt, Strömungen ineinander fließen lässt, manchmal stillsteht und dann wieder tosend losbraust, gleichzeitig ihrer Zeit voraus ist als auch aus uralten Quellen schöpft. Und schon sind wir beim Thema Wasser, dem kreativen Hauptthema von MESSA.

´Close´ ist ihr dritter Langspieler nach dem gefeierten 2018er ´Feast For Water´ mit dem die Band endgültig auf der internationalen Bildfläche erschien, es folgten intensive Touren und etliche Liveauftritte, darunter auch ein herausragender Gig beim Roadburn 2019, zu dem sie auch in diesem Jahr wieder eingeladen sind. In Tilburg wurde das Quartett damals live mit dem Saxophon begleitet, das auch auf ´Close´ wieder eine wichtige Rolle spielt, diesmal zusammen mit der Duduk, denn MESSA haben sich diesmal insbesondere von den Kulturen des südlichen und östlichen Mittelmeerraumes inspirieren lassen. Das Cover des neuen Albums sowie das Video zu ´Pilgrim´ zeigen folgerichtig den rituellen „Nakh“ aus der Gegend entlang der algerisch-tunesischen Grenze – Frauen beim traditionellen Tanz mit ihren offenen Haaren – wer hätte gedacht, dass dort weibliches Headbangen zum Werberitual für Hochzeiten dazugehört, und noch viel mehr für Identität, Spiritualität, Lebendigkeit und Lebenslust steht? Unsere Welt ist voller Verbindungen und Verflechtungen, wie sie sich eben auch in MESSAs Schaffen widerspiegeln.

 

 

Schon immer war eine wichtige Inspirationsquelle der ganz unterschiedliche musikalische und kreative Hintergrund der Bandmitglieder, die teils auch als visuelle Künstler arbeiten, und durch ihre diversen anderen Bands und externe Kooperationen (wie z.B. den ´Planet Of Doom´-Soundtrack, Saras Gastspiel bei OTTONE PESANTE), sowie neue Projekte (Leadgitarrist Alberto Piccolo als Dark Blueser LITTLE ALBERT, Saras neue Band BOTTOMLESS…) in den letzten Jahren noch zusätzlichen künstlerischen Input bekamen, der den Bandorganismus hörbar gestärkt hat, ihn nochmals deutlich fokussierter und gleichzeitig freier gemacht hat. Das norditalienische Quartett reduziert seine eingesetzten Mittel selbstbewusst bis hin zum absoluten Minimalismus der Pause, einer einzelnen gezupften Saite, eines klingelnden Glöckchens, und trumpft anderswo mit sattem Vielklang und bodenlos-verzerrten Schwerlast-Riffs auf, oft in ein und demselben Stück; perfektioniert finden sich diese das gesamte Album begleitende Stimmungswechsel im mit ´Pilgrim´ zentralen, sowie im gleichzeitig improvisiert wie vollendet daherkommenden ´0=2´.´Close´ ist ein Spiegel des Lebens, ein Auf und Ab, voller unterschiedlichster Dynamiken, Entwicklungen, Harmonien und Dissonanzen, und gleichzeitig das bisher rundeste MESSA-Album, denn sein Hauptfokus liegt wieder einmal auf der Alchemie der Verwandlung von Emotionen in Musik. Denn das ist, neben ihrer absoluten Souveränität als Songwriter und Instrumentalisten, ihre wahre Meisterschaft: sie verwandeln universelle Gefühle, für die wir oft noch nicht einmal Worte haben, die ganz tief in unseren Träumen, im kollektiven Unbewussten verborgen sind, in Klänge und Lieder, die gleichzeitig schmerzvoll und heilsam sind – für alle, die sich darauf einlassen.

Nicht weniger als magisch ist dabei der Einfluss von Saras überragender Stimme, die erstaunlicherweise nochmals an Volumen und Expressivität gewonnen hat. Diese Band funktioniert überhaupt deswegen so wunderbar, weil sie jedem Mitglied alle Möglichkeiten lässt, sich einzubringen und auszudrücken, Bandkopf Marco hat diesmal neben Bass, akustischer Gitarre und Synthesizer auch einen Dulcimer eingesetzt und Gitarrist Alberto fügt mit der arabischen Oud einen warmen orientalischen Sound zu seinem generell schon sehr 70er-lastigen Saiten- und Tasteninstrumentarium hinzu (´Hollow´, das mystisch-träumende ´Pilgrim´). Zusätzlich erweitern die bereits erwähnten Blasinstrumente die Schattierungen der Gefühlspalette, das über-sinnliche ´Orphalese´ zeugt davon, und sättigen die teils live in einer Höhle aufgenommen Songs mit organischer Tiefe. Und Rocco beweist einmal mehr, dass die einfühlsamsten und präzisesten Schlagzeuger und Percussionisten aus dem Black Metal kommen, und wie die anderen Protagonisten keinerlei Probleme damit haben, sich ein Repertoire zwischen Blues, Jazz, Psychedelic und World Music auf der einen, sowie Post-Punk, Dark Ambient, Black-, Drone und Doom Metal auf der aktuelleren Seite zu eigen zu machen.

´Close´ ist ein vollendetes Kunstwerk und wird als solches, wie ein in einen stillen Bergsee geworfener Stein, weite Kreise über das Jahr 2022 hinausziehen. Das Album ist die Neudefinition von Zeitlosigkeit. Weder die Isolation der vergangenen zwei Jahre, eigene oder fremde Erwartungshaltungen noch ihr neues Label konnten in irgendeiner Weise Druck in seinem Entstehungsprozess auf MESSA ausüben, entstehen Spannung und Intensität bei dieser Band doch daraus, dass sie sich in jedem Song wieder und wieder neu suchen und erfinden. Wer bislang noch keinen Fuß in ihr Universum gesetzt hat: eine deutlichere Einladung als diese zehn Songs kann es dafür nicht geben.

 

(9,6 Punkte)

U.Violet

 

 

 

Öffnet die Fenster und gewährt Musik aus fernen Ländern Einlass. Lasst Euer Haar herunter, schüttelt es. Denn jetzt spielen die Melodien zum Tanze auf, genauer gesagt zum Haartanz, einem Berbertanz namens Nakh aus dem algerisch-tunesischen Grenzbereich, der gerne bei Hochzeiten oder während der Fruchtbarkeitstage aufgeführt wird. Das Schwenken und Schwanken des Kopfes sowie das Umherschlagen der Haare der Tänzer und Tänzerinnen sollen den Bewusstseinszustand verändern, ganz im geistigen Einklang mit den Kopfschüttlern des Heavy Metal-Tanzes.

Somit hüpfen und drehen sich in diesen Tagen Headbanger als auch Nakh-Tänzer in voller Trance zur Musik von MESSA, die den Haartanz für sich entdeckt und ihn sogleich für ihre neueste Songkollektion erschlossen haben. Denn die italienische Formation aus Padua schlägt nach ´Belfry´ und ´Feast For Water´ mit ´Close´ das dritte Kapitel in ihrer seit acht Jahren andauernden Karriere auf, das sich bei Geduld und Zuneigung zu einer kolossalen Klangreise entwickeln sollte.

Die 2014 von Sängerin Sara Bianchin und dem Gitarristen/Bassisten Marco Zanin, der sich diesmal auch als Dulcimer-Spieler beweist, gegründete Band, die mit Schlagzeuger Rocco Toaldo und Gitarrist Alberto Piccolo, der sich ebenso an Oud und Mandoline betätigt, ihre vollzählige Bestimmung annahm, entwickelt dabei Stimmungen der Zurückhaltung und des Überschwangs. Rhythmische, in Zeitlupe aufgenommene Bewegungen intensivieren dabei die Betrachtung dieser Veranstaltung. Dennoch ist es insbesondere der vielseitigen Stimme von Sara Bianchin zu verdanken, dass sie diese melancholischen Stimmungsschwankungen so glänzend nahebringen kann. Schließlich weiten sich die zu betanzenden Musiklandschaften sogar in mediterrane als auch nahöstliche Bereiche aus und präsentieren den Hörern oder Tänzern eine moderne und zeitlos schwere Soundästhetik aus Vintage und Okkult Rock, aus Progressive, Post, Psychedelic und Ethno Rock sowie einer Prise Jazz.

Einen vergleichbaren Ausdruckstanz könnte nur der 70s-Hardrock von JESS AND THE ANCIENT ONES und der Heavy Doom von AVATARIUM im unwirklich erscheinenden Einklang mit der experimentellen Ader von UNIVERSE217, den ethnischen Trancezuständen von VILLAGERS OF IOANNINA CITY und einer überraschend großen Menge an tatsächlichen Bestäubungen von THE GATHERINGs ´Mandylion´ vollziehen, obwohl diese schroffen als auch salbungsvollen Kompositionen von ´Close´ gewiss allein MESSA zelebrieren können.

 

 

Schwebend, zeitlupenmäßig lassen sich alle Ambientbegeisterten auf das Bett des siebenminütigen ´Suspended´ fallen, doch die Macht des Instrumentariums lässt nicht lange auf sich warten, allesamt hochzureißen. MESSA warten in aller Zerbrechlichkeit auf das Eintreffen der monolithischen Schwere des nordischen Doom („Too close to them. Suspended.“), wandern zwischenzeitlich downtempo-tupfend durch die Szenerie und lassen einige Jazz-Spielereien zu. Mit schnellen und dissonanten Riffs des Noise Rock rennt dagegen ´Dark Horse´ immer wieder der Langsamkeit davon, bewahrt sich allerdings in dieser seinen Ursprung im Vintage Rock der Siebzigerjahre („I only see with my eyes closed. You are just buying a dark horse.“), und lässt sich obendrein zur Auflockerung auf einen manisch überdrehten Kreistanz ein und zu einem niemals unnützen Ping an der Triangel als Liedabschluss hinreißen.

Der dritte Siebenminüter in Folge hält zum Einstieg eine Duduk, ein von Giorgio Trombino gespieltes, armenisches Holzblasinstrument vor. Dementsprechend scheint sogleich das gesamte Instrumentarium samt dem Gesang sehnsuchtsvoll zu klagen und nahöstlichen Melodien Einlass zu gewähren. Die Retro-Melodieführung wuchtet sodann ihre Stärken und ihre mögliche Heavyness in ´Rubedo´ unüberhörbar in den Vordergrund („Find the alchemy. To heal the hurt, the hurt. Forget the dirt.“), so dass auch ein wilder Abschnitt aus dieser ausbrechen kann. Der ´Pilgrim´ wandert indessen neun Minuten lang nochmals in den Nahen Osten, ehe sich die Stoner-Riffs wummernd und brummend ausbreiten („Pilgrim. You make me forget. What I’m here for.“) und sich der Gesang lautmalerisch zu schweren Schlägen erhebt.

Nach einem anfänglichen Kling und einer Beweihräucherung im Wind hätten sich die ersten zwei Minuten des zehnminütigen ´0-2´ auch in Richtung ´Paint It Black´ entwickeln können, doch der Vintage Sound übernimmt mit Progressive Rock-Sequenzen wieder die Führung; monströs schwillt die Stimmung an und das Saxofon of Death treibt die Ausfallschritte bis in das überbordende Delirium. Da können die schwebenden Tonfolgen von ´If You Want Her To Be Taken´ und ihre johlende Heavyness nur noch zum Aufatmen beitragen, doch zum Ausklang hasten sie wiederholt schwer zum Endton dieser Komposition.

Und urplötzlich bricht die Hölle auf Erden aus. Blastbeats brennen in dem 44-sekündigen Feuerwerk von ´Leffotrak´ alles nieder. Die Tänzer, die noch in ihrer Findungsphase sind, welche Haarseite zuerst geschwenkt werden soll, erleben einen unerwarteten und blitzartigen War Metal-Ausbruch. Die letzten acht Minuten gehören schließlich ´Serving Him´, einem eindeutig okkulten Vintage Rocker („He really wants you. Knowing who dares to. Breed Pestilence. Serving Him. Serving Him.“), um den algerisch und tunesisch verwurzelten Tanz auch im Banne des US-amerikanisch sowie britisch geprägten Okkultrock wirbeln zu lassen.

Der Duft der weiten Welt weht durch die geöffneten Fenster. Die Haare brausen mit dem Wind zwischen den offenen Scheiben hinein. Haare unter freiem Himmel und Haare in der Kammer regen sich zuckend zu MESSAs Haartanz.

 

(9 Punkte)

Michael Haifl

 

 


Pics: Federico Floriani