PlattenkritikenPressfrisch

MATCHESS – Sonescent

~ 2022 (Drag City) – Stil: Drone/Ambient/Avantgarde Pop ~


Whitney Johnson veröffentlicht bereits seit einigen Jahren als MATCHESS Alben, die wunderschöne tiefe innere Räume in Song und Sound erforschen. Sie begann 2015 mit dem Downtempo-Ambient auf ´Somnaphoria´, wobei Vocoder-Vocals, tickende Beats und aurales Glitzern zu ihren Markenzeichen gehörten. ´Sacracorpa´ von 2016 brachte dann zudem erstmals eine neoklassische Farbgebung durch Chorgesang und Celli mit ins Spiel, die sich mit einer ausgeprägten Schönheit inmitten eines leichten Electronica-Rahmens entfalteten.

Seither konzentriert sich die Künstlerin auf deutlich Drone-orientierte Musik, darunter die Veröffentlichungen ´Fundamental 256 Hz´ und ´Huizkol´, beides Meditationen über die Dualität des Lebens. Ihr erstes Album auf „Drag City“ wurde von einem mehrtägigen Meditationskurs in der Nähe von Joshua Tree, Kalifornien, inspiriert. Diese spirituelle Erfahrung erforderte diszipliniertes Schweigen, und während Johnson mit ihrem Körper zunehmend in Einklang kam, hörte sie Lieder, die sie nicht aufschreiben oder aufnehmen konnte, weil dies gegen die Regeln verstoßen hätte. Nach ihrer Rückkehr versuchte sie, sich an die Songs zu erinnern, und beschloss ´Sonescent´ zu komponieren. Erst nach ihrer Heimkehr aus der Hochwüste gelang es ihr also zu skizzieren, was sie in dieser Phase des inneren Rückzugs erfahren hatte.

Johnson ließ sich dabei vor allem vom barocken orchestralen Pop auf JOHN CALEs ´Paris 1919´ und den Drifts von Phill Niblock und Eliane Radigue inspirieren. ´Sonescent´ besteht lediglich aus zwei überlangen Stücken, und sie fühlen sich eher wie schwebende Erinnerungen an, denn als reale Musik.

 

 

Der Opener ´Almost Gone´ beginnt nahezu geräuschlos, mit sehr schwachen Tönen, und in einem eisigen Tempo steigen zusätzliche Geräusche auf, aber alles fühlt sich mikroskopisch an, und es ist unabdingbar, die Lautstärke laut zu drehen, um überhaupt etwas wahrzunehmen. Allmählich taucht eine Geigensequenz mit größerer Klarheit auf, obwohl sie unmittelbar in weitere Drone-Wellen übergeht. Das Stück wirkt als würde es Johnsons innerstes Arbeitszimmer offenbaren, so als hätte sie aus einem entfernten Raum ihr Selbst belauscht und durch den prismatischen Dunst der Erinnerung wieder eingefangen – ein distanziertes Bluten und Verschmelzen mit ihrem eigenen inneren Gedankenstrom.

´Through The Wall´ braucht hingegen weniger Zeit, um sich aus dem Äther zu materialisieren, und ist insgesamt melodischer und dynamischer. Nach ein paar Minuten anschwellender Synthesizer entsteht eine reiche, folkige Geigenmelodie, und das Stück wechselt später zwar in eine Phase beunruhigender Drones über, aber am Ende erreicht es sogar ein Gefühl der Behaglichkeit, mit einer Passage an erdigem Bluegrass-Kammermusik-Folk.

´Sonescent´ ist das mit Abstand avantgardistischste Werk, das Johnson bisher komponiert hat, und es wird mindestens ein oder zwei vollständige Hörversuche dauern, bis man sich an die Struktur und das Arrangement des Albums gewöhnt hat – eine fesselnde Erfahrung, die mit der eigenen Wahrnehmung von Erinnerung in Bezug auf Musik spielt.

(7,5 Punkte)