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(DOLCH) – NACHT

~ 2022 (Ván Records / Soulfood) – Stil: Schlafzimmermusik ~


Als “Dark Ambient” will mir iTunes ´Nacht´, den Mittelteil der vor zwei Jahren mit ´Feuer´ begonnenen konzeptuellen Trilogie „Feuer, Nacht & Tod“ also verkaufen, interessant! Dass die nächtliche Atmosphäre Herzensheimat für die mittlerweile zum festen Quintett angewachsene mysteriöse Entität mit dem Dolchsymbol ist, liegt auf der Hand, und hat bereits die Vorab-Single ´Tonight´ letzten Oktober bewiesen, nun bin ich gespannt, ob sich damit tatsächlich ein Stilwechsel verbindet? Die Antwort ist erwartungsgemäß: nicht wirklich.

Mit ´Feuer´ hatten sie sich mehr ins Licht und durch die formal konventionelleren Songs vordergründig weit nach vorne an die Bühnenkante der Öffentlichkeit gewagt, die Gitarrenbetonung mit viel schweren Riffs und poppigen Rhythmen brachte ihnen neue Fans ein, ohne die alten zu vergraulen, denn natürlich liegt bei aller scheinbaren Luftigkeit stets die bleierne Müdigkeit psychischer Ausnahmezustände über (DOLCH)s Musik, bleiben sie im Kern immer das undurchschaubare, gegen den Strich aller Erwartung gebürstete Duo M und T.

Nun also ein neues Kapitel, eines, das als perfekte schwarze Spielwiese für ihre sinistren Neigungen ausgebreitet ist. Wer kennt sie nicht, die blauen Stunden zu Beginn und Ende der Nacht, die die Wahrnehmung verschwimmen lassen, die Konturen brechen, dem Leben seine Härten nehmen? Genau zwischen diesen Polen bewegt sich das neue Album. ´Lights Out´- schweben, sich treiben lassen, Versprechen nicht einlösen, weiterträumen: „Take control, seeker of the night, pull everything to darkness, draw everything black” – ´NACHT´ ist eine sinnliche Verheißung, das ist von Anfang an klar.

 

 

Was sofort auffällt: dies ist ein anderer Sound, das ist weit weniger Berlin als viel mehr California Dreaming, wo die Platte zu weiten Teilen tatsächlich auch entstand. Weiterhin gibt es deutlich mehr männlichen Gesang, sogar einen Song durchgehend allein tragend (´I am OK (Hydroxytryptamin Baby PartII´), und generell ist alles deutlich transparenter, klarer abgemischt, doch ohne die akustische schwarze Zuckerwatte, in die (DOLCH) auch den Hörer mit einspinnt, komplett abzuwaschen.

Damit bekommen auch die Lyrics, zum ersten Mal komplett auf Englisch gesungen, noch mehr Gewicht als bisher, und ihre Vieldeutigkeit, ihr Zynismus und der hintersinnige Witz eine größere, internationale Bühne. Ob sich hinter dem Americana-´Ghost´ King Dude als Sprecher verbirgt? Extrem vielschichtig, undurchschaubar ist ´Nacht´ geworden, noch mehr als sonst. Es lohnt, sich darauf einzulassen, sich ´Into The Night´ treiben zu lassen, wenn es sein muss auch mit „shaking catholic bones”…vor Angst oder Verzückung, wie auch immer.

Musikalisch bewegen sich (DOLCH) wieder deutlich weg von den metallischen Einflüssen, nehmen die Gitarren zurück und bauen auf starke und undurchsichtige, verhallte Atmosphären, bis hin zum Post Punk und Dream Pop, was durch Ms flüsterndes Singen wie in ´Tonight´ nochmals verstärkt wird. Repetition spielt immer noch eine große Rolle, wird aber anders eingesetzt, Langsamkeit bis hin zum Schlafwandeln (´Into The Night´) herrscht vor.

Zentral stehen die beiden wohl wichtigsten Songs, denn (DOLCH) gehen mit zwei weiteren ´Hydroxytryptamin Baby´-Liedern, einer kleinen Trilogie in der Trilogie, thematisch und musikalisch zurück zu ´III – Songs Of Happiness, Words Of Praise´ und wiederholen mit der sehr realen, herzschlaggetriebenen Beschreibung einer akuten Depression, in der eine männliche Stimme auf die Frage, wie es ihm gehe, zwischen endlos-mantrahaften Wiederholungen der einlullenden Beteuerung „I‘m okay“ Dinge singt wie “I just can’t go out today to face the crowd in the subway” oder “I was lying on the floor instead of going to the grocery store, but hey, I’m okay” – jeder Betroffene und Angehörige kennt es nur zu gut.

Doch die Nacht gibt Schutz und Sicherheit, jetzt sind Dinge wieder eher möglich, und tatsächlich greift die Band, um den Kreis zu schließen, die bedrohlich-dronige Melodie des ursprünglichen ´Hydroxytryptamin Baby´ wieder auf, um sie, mit demselben beschleunigtem Herzschlag unterlegt, in ´House Of Glass (Hydroxytryptamin Baby PartIII)´ in einen darkwavigen, sinnlichen Discokracher zu verwandeln, der nicht nur wegen Ms Stimme BLONDIE beziehungsweise Debbie Harry galore ist: “no way out of this”.

Der Rest der Reise durch die Nacht bleibt undurchsichtig, flüchtig und immer mehr substanzgefärbt, wir hören Stimm- und Geräuschfetzen, wabernde Ambientklänge übernehmen das Steuer zusammen mit hormongesteuerter Leidenschaft, bis schließlich doch der Morgen graut, in Wortsinne, denn wie sollen wir mangels Taxi nach Hause kommen? Ihr sagt, diese Probleme müssen wir erst mal wieder haben? Zur „Once upon a Night in the West”-Tour mit THE DARK RED SEED im April kann das schneller als gedacht Realität werden. Nehmt genug Bargeld mit, ich habe euch gewarnt!

(8,5 Serotoninhemmer)

 

https://dolch.bandcamp.com/