Redebedarf

LESLIE MANDOKI

Leslie Mandoki im Interview

~ Dschingis Khan und seine Soulmates ~


Mit ´Utopia For Realists: Hungarian Pictures´ hat sich Leslie Mandoki samt seiner Soulmates ziemlich weit oben in meiner Playlist festgefressen. Und neugierig geworden bin ich auch. Wer ist eigentlich Leslie Mandoki? Allein wenn man seine Diskographie betrachtet, muss er ein sehr vielschichtiger Mann sein. Die biographischen Eckdaten zeigen auch auf, hier hat jemand viel zu erzählen. Also versuche ich Kontakt aufzunehmen. Zehn Fragen darf ich per Mail schicken. Hier also der Versuch, gute Fragen zu stellen.

Du bist in Ungarn groß geworden, in den 60er und 70er Jahren. Wie waren Deine Kindheit und Jugend?

Ich hatte eine wunderbare Kindheit, die selbstverständlich zwischen den Leitplanken der Diktatur verlief. Klingelte jemand bei uns, mussten wir Radio „Freies Europa“ schnell wegdrehen, das war immer ein bisschen ein spielerischer Teil, oder auch, in der Schule nicht auf die Frage zu antworten, wer das BEATLES-Konzert auf BBC gehört hätte. Später, als ich wegen der Zensur als Musiker Probleme bekam, war das natürlich schmerzvoller. Ich hatte aber ein liebevolles Elternhaus und einen großartigen Bruder. Tragischerweise starb mein Vater an Krebs als ich 16 Jahre alt war. Er hinterließ den Wunsch, dass seine Enkelkinder nie zensierte Zeitungen lesen sollten. Auf meinen Einwand, dass wir hinter dem Eisernen Vorhang lebten, sagte er: „Mein Sohn, du musst gehen, deinen Weg zu suchen. Träume nicht dein Leben, sondern lebe deine Träume!“ Das war prägend und ich spürte in meiner Teenagerzeit immer mehr die Enge der Diktatur. Da wurde mir klar, dass ich fliehen musste. Ich bin sehr, sehr dankbar, dass ich von Anfang an die besten Lehrer hatte und unglaublich viel Kultiviertes und Kulturelles habe mitnehmen dürfen, vor allem als Musiker.

Als Student hast Du Dich in einer oppositionellen Gruppe engagiert. Waren das eher kleine Aktionen, heimlich, still und leise, oder eher groß und öffentlich?

Das kann man nicht so einfach beschreiben, denn manchmal kamen einige tausend Leute zu unseren illegalen Konzerten. Da könnte man es als groß bezeichnen. Für ungarische Verhältnisse typische Erlebnisse waren z. B., dass mich der Einsatzleiter des Geheimdienstes von der Bühne holte und mir sagte: „Hey Junge, meine Kinder sind auch hier im Publikum. Hör auf mit diesen unzensierten Texten!“ Und die Tatsache, dass wir nie im Fernsehen oder im Radio waren oder bei der einzigen staatlichen Plattenfirma ein Album hätten machen dürfen, zeigte jedermann sofort, wo man uns politisch verorten musste. Darunter gab es halt viele kleine und auch größere Aktionen.

Was war denn so der Soundtrack Deiner Studentenzeit? Habt Ihr eher Musik aus dem Westen gehört oder auch Bands aus dem Ostblock?

Der Soundtrack meiner Studentenzeit waren große Prog Rock Alben wie ´Aqualung´ von JETHRO TULL und natürlich auch einige amerikanische Jazzrock-Alben von WEATHER REPORT oder RETURN TO FOREVER. Vor allem FRANK ZAPPA und die großen englischen Prog Rock-Bands wie GENESIS mit ´Selling England By The Pound´, YES, KING CRIMSON und nochmals und vor allem JETHRO TULL. Die weltbeste, den amerikanischen Bands ebenbürtige Ostblock-Band war SYRIUS. Sie hatten nur ein einziges Album, ´Devils Masquerade´, bevor sie von den Kommunisten zerstört wurden. Dieses jedoch war epochal.

Du bist dann in den Westen. Wie war das, bist Du „einfach mal so“ durch den Karawankentunnel marschiert?

Es war nicht so ein „einfaches Durchmarschieren“ durch den Tunnel. Es war lebensgefährlich, abenteuerlich und prägend für das ganze Leben. Das Risiko, erschossen oder überfahren werden zu können, war sehr groß. Auf der anderen Seite kommst du in eine völlig neue Welt, andere Sprache, andere Gesellschaftsformen. Alles neu, alles fremd, aber eben frei. Das ist kein neues Kapitel, sondern gleich ein neues Buch im Leben. Vor meiner Flucht war ich in der DDR und habe die Berliner Mauer von Osten aus angeschaut. Die Gegebenheiten des Schießbefehls, Bespitzelung, Zensur, Folter – das war nichts für einen künstlerimmanenten Freidenker wie mich und es musste jedes Risiko eingegangen werden. Somit war der Fluchtweg durch den Karawankentunnel eine Aktion der Seelenrettung.

Für uns in der DDR war Ungarn dagegen schon fast wie ein Schaufenster in den Westen, ein Appetithäppchen der Freiheit? Ist das für Dich nachvollziehbar, wo Du Deine Heimat doch verlassen musstest?

Ich habe es immer verstanden, dass meine Freunde aus der DDR die damals lustigste Baracke des Ostens, wo der Gulaschkommunismus herrschte, dank des 56er Volksaufstands als einen lockeren Sozialismus angesehen haben. Ja, das war so. Diese typisch ungarische Sehnsucht nach Freiheit, die 1956 der Weltöffentlichkeit gezeigt hat, wie sehr das ungarische Herz für die Freiheit schlägt! So war es auch 1989, als die Ungarn die Ersten waren, die den Eisernen Vorhang aufmachten und den ersten Stein aus der Berliner Mauer schlugen. Aber diese relative Freiheit in den 70er und 80er Jahre war durchaus eine genussreiche. Sie hatte viele positive, menschliche Aspekte und so konnte ich es sehr gut verstehen, dass Ost- und Westdeutsche gerade am Balaton oder in Budapest einen wunderbaren Platz gefunden haben, sich zu treffen. Ich finde den Ausdruck „Appetithäppchen der Freiheit“ sehr zutreffend. Mit dieser geringen Dosierung sollte eigentlich die Sehnsucht nach Freiheit gestillt werden.

Wie stolz bist Du auf DSCHINGIS KHAN? Eigentlich gehörst Du ja doch eher in Rock und Jazz, da dürfte so etwas wirken, als sei es schlecht für den Ruf.

Nun, ich stehe seit 50 Jahren auf der Bühne und schreibe so lange auch schon Songs. Und ich nehme sie auch in professionellen Grossstudios auf. Und seit 1980 produziere ich auch Musik. Die Zeit mit Dschingis Khan sind zwei Jahre von diesen 50. Während dieser zwei Jahre trat ich auch auf Jazzfestivals auf und spielte in amerikanischen Jazzclubs. Wer mich kennt, weiß, welche Art Musik die meine ist und welch wertvolles Privileg es ist, dass sich mir so viele Künstler durch die Jahre anvertrauten.

Viele bekannte Musiker haben mit Dir arbeiten können. Mit wem würdest Du gern mal was machen?

Ich gehöre zu den glücklichen Menschen, die das ehrenvolle Privileg genießen dürfen, genau mit den Musikern spielen zu können, mit denen ich es wollte. Also eigentlich könnte es nicht besser laufen.

 

 

Die bayrische Band ECLIPSE SOL-AIR hat in ihrem Opus Magnum ´Die Rumänen´ eine Melodie benutzt, die in ´Transylvanian Dances´ etwa bei Minute 15 auch zu finden ist. Das ist wohl ein altes Volkslied?

´Transylvanian Dances´ besteht aus Volksliedern der verschiedensten Gruppen aus der Karpatentiefebene. Unter den Magyaren sind viele deutschstämmige, jüdische Ungarn, rumänischstämmige oder serbischstämmige, katholische Ungarn – und die Synagoge gehört überall zum Ortsbild. Dort stehen Gotteshäuser aller Religionen gleichberechtigt nebeneinander. Diese multikulturelle Gesellschaft, die in völliger Eintracht und Harmonie miteinander lebte und die Roma-Kapellen, die von Fest zu Fest tingelten und all diese wunderbaren Volkslieder spielten und an Bartók weitergaben! Daraus entstand ´Hungarian Pictures´, das ich nach unserer gemeinsamen Idee von Greg Lake von EMERSON LAKE & PALMER und Jon Lord von DEEP PURPLE aufarbeitete mit grandiosen Musikern wie Al di Meola, Cory Henry, Richard Bona, Randy Brecker, Bill Evans und Till Brönner.

Darf Kunst politisch sein?

In gewisser Hinsicht muss sie es sogar sein. Aus Verantwortung. Unsere Stimme ist nur so laut, wie es uns das Publikum mit seiner Zuneigung gestattet. Es ist ein großes Privileg, dass sich unser Publikum für unsere Seelen, für unseren Herzschlag, für unsere Lieder interessiert und uns so in ihr Leben einlässt. Deshalb sind wir es mit unserem Engagement schuldig, für eine generationsgerechte Welt einzutreten, eine Vision zu formulieren, eine Utopie für Realisten. Das ist unsere Aufgabe. Wir haben gerade gesehen, wie ambitionslos der vergangene Wahlkampf war, über wie viele Oberflächlichkeiten gesprochen wurde und wie ideen- und inhaltslos alles war. Da ist es nicht verwunderlich, dass sich die Jugend zwei Parteien zugewandt hat, die nicht durch Demoskopie gestützte, kurzfristige, kleinteilige Scheinlösungen für Probleme angeboten haben, sondern eher eine Utopie für Realisten, eine Welt, die wieder in das Gelingen verliebt ist und Dysfunktionalität verabscheut, wo Achtsamkeit das Leitmotiv ist anstelle von egomanischer Gier. In diesem Kontext muss Kunst sogar politisch sein.

Was macht Dir Hoffnung für die Zukunft und wie wichtig ist Dir dabei Musik?

Hoffnung für die Zukunft kann in meinen Augen nur sein, wenn es uns gelingt, dass Old Rebels und Young Rebels diese riesigen Herausforderungen, vor der unsere Welt steht, gemeinsam annehmen. Die größte Herausforderung ist die Spaltung in der Gesellschaft. Wir müssen diese Spaltungen überwinden und eine menschlichere und achtsamere Welt entstehen lassen. Richtige und gute Musik ist immer der Soundtrack der Zeit, in der etwas entsteht. Deshalb mache ich immer nur nach vorn gerichtete Musik, den Soundtrack von morgen.

Lieber Leslie, ich danke Dir für die Zeit, die Du der Beantwortung meiner Fragen gewidmet hast. Selten habe ich so viel spannendes lesen dürfen. So bin ich froh, Fragen und Antworten teilen zu dürfen. Dir wünsche ich für die Zukunft alles erdenklich Gute. Und immer die eine Note, die Deine Musik zu ganz besonderer Musik macht.

https://www.facebook.com/mandoki.soulmates