Redebedarf

CHANDELIER

~ Interview mit Schlagzeuger Herry Rubarth ~


Endlich haben CHANDELIER nach wahnsinnig vielen Jahren ein neues Album fertiggestellt, das Herz und Hirn der Anhängerschaft absolut erfreuen wird. ´We Can Fly´ heißt die gute Scheibe und sie läuft seit Monaten hoch und runter. Demzufolge musste ein Interview her, um die zur Zeit noch letzten offenen Fragen zu klären. Schlagzeuger Herry Rubarth stand uns Rede und Antwort.

Hallo Herry, es tut gut, mit Euch wieder einen kleinen Plausch führen zu können, vor allem da der Anlass ein neues Studioalbum ist. Wie fühlt es sich denn so an, nach 26 Jahren ein neues Werk mit neuen Songs zu veröffentlichen?

Gut fühlt es sich an – 26 Jahre sind ja auch ruck zuck um. Aber wir sind ganz froh, es noch vor dem Ablauf des dritten Pausenjahrzehnts geschafft zu haben mit dem Album! 😊

In diesem Zeitraum haben andere ihre Kinder durch die Schulzeit und noch 26 Semester durchgefüttert. Andere wiederum haben ihr Einfamilienhaus abbezahlt oder andere sind auf ihrer Weltreise seither verschollen geblieben. Was habt Ihr denn so spannendes in all den Jahren bis zu eurem Live-Comeback vor vier Jahren erlebt?

Ja, ungefähr so ist es gelaufen, Martin ist in den Osten ausgewandert (Dresden), Christoph nach einigen Zwischenstationen im Süden (Schweiz) gelandet. Verschollen ist zum Glück niemand und so konnte die alte Truppe recht unkompliziert wiederbelebt werden.

Hobbymäßig war Musik bei mir auch immer noch drin, neben der Trommelei bei ELLEVEN – wo ich auch unseren neuen Keyboarder Armin kennengelernt hatte – habe ich auch mit Michael Dorp und Wilfried Weitz (beide FLYING CIRCUS) und Stephan Scholz (ex-CHANDELIER) Musik gemacht. Allerdings zeitlich etwas eingegrenzt, da Familie, Kinder und Arbeit schon ein paar Stunden am Tag beanspruchen 😉 . 

Die Live-Reunion auf der Loreley sollte ja eigentlich eine einmalige Geschichte bleiben, doch jetzt ist viel mehr daraus geworden. Wie kam es zum vollumfänglichen Comeback?

Der Begriff „Eigendynamik“ trifft es ganz gut. Da es eine Festplatte mit den Aufnahmen vom Loreley-Gig gab und die Aufnahmen sehr gut waren, kam die Idee auf, den Auftritt als Live-CD /DVD festzuhalten. Und wie das dann halt so ist: man hat sich schnell wieder aufeinander „eingespielt“, und weil einige musikalische Ideen da waren, ging es dann nahtlos mit Probenterminen und Konzertplanungen weiter. Und es macht halt auch allen viel Spaß, warum also aufhören, wenn es gerade so gut läuft?

Und dann habt Ihr einfach mal so die Planung zu einem neuen Studioalbum aufgenommen und eine jahrelange Produktion durchgezogen?

Na, ganz so einfach nicht – aber irgendwann hat man die Ideen gesammelt, einige Stücke schon fertig und dann stellt man sich an einem bestimmten Punkt die Frage: wollen wir das jetzt aufnehmen und für die Nachwelt festhalten? Und die Antwort war: Wollen wir! Ein paar Songs haben wir zudem im November 2021 erstmals live gespielt. Da war dann auch klar, dass ein Album folgen wird.

 

 

Wie lange tüftelt denn eine Gruppe wie CHANDELIER an neuen Songs?

Aufgrund der sehr verstreuten Lebensorte sind wir probenmäßig etwas eingeschränkt – für eine Probe in der Komplettbesetzung kommen wir alle 5-6 Wochen für ein Wochenende zusammen – und dann dauert es schon mal mit der Weiterentwicklung von Stücken.

Es gibt Stücke wie ´SpaceController´ oder ´Help Me´, die schon recht ausgereift als Idee vorhanden waren, so dass sich jeder von uns gut vorbereiten konnte und dann ging es schneller. Aber es gibt auch Stücke, die reifen müssen – dann kann es Monate dauern, bis das Grundgerüst steht und erst recht, bis das Arrangement passt. Und bei allen technischen Möglichkeiten mit gemeinsamer Cloud, dezentraler Bearbeitung und Datenaustausch: Für die Stücke und die Entwicklung entscheidend ist das gemeinsame Spielen im Proberaum.

Also verlief der Songwriting-Prozess länger als früher?

Eigentlich nicht: Udo und Martin hatten jede Menge musikalische Ideen im Köcher. Von daher mussten wir nicht so viel im Proberaum „jammen“. Aber das Arrangement der Stücke und deren finaler Aufbau hat schon viel Zeit gebraucht. Auch weil Corona uns ein wenig den Probenplan versemmelt hat. Früher haben wir halt zwei-, dreimal die Woche geprobt, da ging das alles natürlich schneller. Aber auch früher haben wir Ideen schon mal liegen gelassen oder verworfen – so dass ich das jetzt gar nicht so groß unterschiedlich sehe. Aber klar, wenn man weniger zusammen probt, geht halt viel mehr Zeit ins Land.

Habt Ihr ein internes Ranking für Eure einzelnen Studio-Scheiben, vom längsten bis zum kürzesten Prozess?

Ganz ehrlich, nein. Gedauert hat es bei uns schon immer etwas länger.

Vielleicht eher ein Ranking vom Aufnahme-Prozedere? Für welches Album habt ihr bislang die längste und für welches die kürzeste Aufnahmezeit gebraucht?

Kein Ranking, aber ein wesentlicher Unterschied: Früher haben wir uns für 3-4 Wochen für die Aufnahmen und den Mix in einem Studio eingenistet – und dann war der Silberling im Kasten und fertig. Das haben wir mit der neuen Scheibe so nicht mehr gemacht, da wir ja über Monate in Ruhe aufnehmen konnten…

 

 

Wo habt Ihr überhaupt ´We Can Fly´ aufgenommen?

Im Wesentlichen im Proberaum, der gleichzeitig unser Studio ist. Armin hat dort einiges an Aufnahmetechnik zur Verfügung, was auch bei früheren Produktionen von ELLEVEN schon genutzt wurde. Dort sind dann Schlagzeug, Keys und Gesang aufgenommen worden. Udo und Christoph haben ihre Parts jeweils daheim eingespielt.

Den Mix haben dann Armin und Udo ebenfalls in unserem Studio zusammengezaubert. Das Mastering lag komplett bei Armin. Letztlich war die Sache so viel entspannter, weil der Zeitdruck, den man in einem gebuchten Studio hat, nicht da war. Aber dadurch hat es dann auch einige Monate gedauert.

Und wieso seid Ihr auf die Robbe gekommen, immerhin nicht auf den Hund?!

Martin war’s – die Robbe ist ihm irgendwann mal zugeflogen. Und da dachte er, die passt super auf das Cover des neuen CHANDELIER-Albums. Und ähnlich wie die Hummel kann sie ja eigentlich nicht fliegen – tut sie aber trotzdem. Der Beweis ist auf dem Cover-Foto festgehalten – Zweifel gibt es da keine!

Da die Hummel durch eine Robbe ersetzt wurde, fällt es auch nicht mehr so sehr ins Gewicht, wenn Sänger Martin Eden seine gelbe Hose aus dem Hummelsortiment unterdessen entsorgt hat. Wird sich diese Änderung des heimlichen Bandmaskottchens auch auf die künftige Live-Bekleidung auswirken? Also tarnfarben wäre etwas zu schlicht.

Mmh, das müsstest du unsere Fashion-Ikone Martin schon selbst fragen – aber sein Bühnenoutfit ist immer top secret. Der Rest der Band ist da auch immer sehr gespannt, was so auf der Bühne getragen wird. 😀

Wie machen sich denn die jungen Robben auf der Bühne? Nein. Wie machen sich denn die neuen Songs auf der Bühne? Ihre Feuertaufe müssen sie ja bereits hinter sich haben.

Sehr gut machen sie sich. In der Tat haben wir im Rahmen unser Doppeldeckertour mit FLYING CIRCUS sämtliche neuen Stücke im November in Rüsselsheim und Essen bereits gespielt und live kommen sie nochmal druckvoller.

Also es lohnt sich, bei den kommenden Konzerten in Hamburg (10.2.), Jülich (23.3.), Reichenbach (5.4.) oder Stuttgart (20.4.) mal vorbei zu schauen…

Wie seht Ihr denn selbst die neuen Songs im Vergleich zu den ersten drei Scheiben?

Was sich schon deutlich geändert hat, ist der Gesamtsound. Die neuen Sachen sind gitarrenlastiger und die Keyboards klingen jetzt nicht mehr nach späten 80ern, sondern eher nach frühen 70ern, als mehr Mellotron, Schweineorgel, Fender Rhodes etc.

Auch haben wir Drumcomputer, Sequenzer und so Sachen weggelassen. Was geblieben ist, sind die Melodien von Martin und Udo. Die sind – hoffentlich – weiterhin das Kennzeichen unserer Musik. Was meinst du denn?

Ich denke, die Songs besitzen eine größere Gelassenheit und gehen den Melodienreigen sachte an.

Ja, das kann gut sein. Wir lassen Ideen diesmal mehr fließen, statt alle zwei Minuten den nächsten Rhythmus- und Tempowechsel vorzunehmen. Die Songs beruhen auf weniger Ideen, die sich dafür aber besser entfalten können.

Kann es sein, dass Ihr verstärkt aus dem gewöhnlichen Neo Prog ausbrechen wolltet, um eigenständig Eure eigenen Kreise im Prog Rock zu drehen?

Ja, in der Neoprog-Schublade wollen wir jetzt nicht unbedingt versauern. Auch wenn es unser erstes Album seit den 90ern ist, haben wir ja nicht aufgehört, auch andere Musik zu hören und selbst zu machen. Gleichzeitig haben wir uns auch nicht an irgendwelche Trends im Prog gehängt, daher ist die Musik auf ´We Can Fly´ einfach CHANDELIER, ohne Etikett, Genre oder Präfix.

 

 

Und für dieses Unterfangen habt Ihr auch wieder Gastsänger Toni Moff Mollo reaktiviert. Seine vielen Einsätze auf dem Album sind schon überraschend. Wird er bald zum festen Bandmitglied  aufsteigen?

Also, im Moment würde ich mal sagen: Stammgast. Der Kontakt zu ihm war ja wegen dem Loreley-Gig wieder da und die Idee, seine Stimme in den Gesang mit einzubauen, hat Martin auch sehr gereizt und daher Tonis Einbindung auch eher forciert.

Auf jeden Fall habt Ihr bewiesen, dass Ihr das Komponieren nicht verlernt habt. Ihr könnt noch fliegen! Wie hoch wollen oder werden CHANDELIER jetzt fliegen? Und wie weit?

Es darf jetzt gerne noch ein bisschen weitergeflogen werden.

Zunächst kommen die ausstehenden Konzerte der Doppeldeckertour mit FLYING CIRCUS, dann Ende Oktober ein Festival in Frankreich („Prog En Beauce“ am 26.10.) im Flugplan. Und danach schauen wir mal, wo die (Flug-) Reise noch so hingehen könnte. Wir haben keinen Druck, sind da ähnlich entspannt, wie die Robbe, und hoffen, dass uns die Flügel bzw. Flossen nicht lahm werden…

 

https://www.facebook.com/ChandelierProg/

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( Tickets für die anstehenden Konzerte hier )

 

Band-Pic: Thomas Burghartz
Live-Bilder: Chandelier/Bildwerk Brüggemann