MeilensteineVergessene Juwelen

EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN – Haus der Lüge

~ 1989 (Some Bizzare Records) ~


Pyrotechnik wirkt immer! Aber auch gerne äußerst improvisierte Live-Shows bescherten den EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN in der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre große Erfolge im Ausland. Infolgedessen fuhr das vierte und fünfte Werk – ´Fünf auf der nach oben offenen Richterskala´ (1987) sowie ´Haus der Lüge´ (1989) – sogar in den USA und Japan eine ertragreiche Ernte ein. Zeitgleich beteiligte sich die Band in jenen Jahren immer mehr an Theater- und Hörspielprojekten.

´Haus der Lüge´ unterscheidet sich deutlich von seinen Vorgängern. Es kann alles. Es kann Industrial, Noise und Artrock sein. Es ist pure Kunst.

 

 

Gegen den Kontrast zwischen der unheimlichen Rezitation der Worte und einem klirrendem Geräuschpegel im ´Prolog´ kommt heutzutage kein so beliebter Poetry-Slam an. Den Bekräftigungen „Wir könnten aber“ – im Sinne eines Manifestes – werden durch die urplötzlich einsetzende Kakophonie das Wort abgeschnitten.

´Feurio!´ lebt von seinem fetten Beat und seinen schlagenden Elementen. Der Ausspruch „Marinus, Marinus, hörst du mich? Marinus, Marinus, du warst es nicht“ bezieht sich auf Marinus van der Lubbe, der 1933 im brennenden Reichstagsgebäude in Berlin festgenommen und als Hauptangeklagter unschuldiger Weise zum Tode verurteilt wurde.

 

 

Dagegen ist ´Ein Stuhl in der Hölle´ das klagende Industrial-Märchen aus der Dekade, das wohl auf Blixa Bargelds Kindheitserinnerungen zurückgeht, die dieser zwischen ´Mariechen saß weinend im Garten´ und ´Ein Hund kam in die Küche´  einst aus einem Buch aufgeschnappt hatte. Der Titelsong ist ein Tanz durch die Scherben und die Stockwerke, die Geschosse der Weltkirche. Geschosse? Geht es um das Wohnen oder ums Schießen? Unbedingt jedoch um blinde und taube Massen. Eine Kirchenkritik. Falsche Lehre, falsche Traditionen, Machterhalt – sagen EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN. Und Gott gibt sich die Kugel. Ein sinfonischer Noise führt in das schadhafte Dachgeschoss, in dem sich Gott erschießt. Das ist in seiner Lyrik härter als jeder Black Metal.

 

 

Eine epische Trilogie, bestehend aus ´Fiat Lux´, ´Maifestpiele´ und ´Hirnlego´, schließt sich an. Scheißhausfliegen summen. Anschwellende Instrumentierung, Ambient-Szenerie, Uhren ticken, Kanonenfeuer, Menschen schreien, die Zeit schreitet tickend voran bis das ´Hirnlego´ endgültig verrücktspielt. ´Der Kuss´ beendet in angespannter Atmosphäre und mit abermals selbst hergestelltem Instrumentarium dieses Meisterwerk.

Intelligente, bisweilen sibyllinische Poesie trifft auf wohldosierten Krach, Lärm und Rock. ´Haus der Lüge´ ist schlichtweg der deutsche Industrial Klassiker.