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DARK FORTRESS – Spectres From The Old World

~ 2020 (Century Media) – Stil: Avant-Black Metal


In manchen Regionen entsteht zu gewissen Zeiten eine vitale, kreative Musikszene, die sich gegenseitig befruchtet, dann regelrecht explosiv erblüht und folgerichtig vielerlei Früchte trägt. Die Gegend um Landshut ist, was den progressiven Extremmetal betrifft, seit den 1990ern auf jeden Fall ein Beispiel hierfür. Interessant ist dabei, dass die von dort stammenden Protagonisten an Metal mit geradezu wissenschaftlicher Akribie herangehen, musikalische Strukturen quasi sezieren und danach wieder neu zusammensetzen, wissenschaftliche mit philosophischen Gedankengebäuden vereinen, und vor allem aktiv jegliche Genrebegrenzungen aktiv überschreiten, um etwas völlig Neues, Anderes zu erschaffen. Und DARK FORTRESS gehören ganz vorne mit zu diesen Bands, die auch besetzungstechnisch immer wieder untereinander überlappen, wie ihre Techdeath/-thrash-Schwesterband NONEUCLID, oder die progressiven Deathler OBSCURA beziehungsweise ALKALOID. Ein brodelnder Untergrund, in dem jeder jeden kennt, angetrieben von extrem kreativen und freigeistigen Musikern also, in dem sich die Blackmetaller von der dunklen Festung seit 26 Jahren bewegen. Und den sie mit der vorliegenden achten Scheibe hoffentlich endgültig hinter sich lassen werden.

Sechs Jahre haben die Fans auf ´Spectres From The Old World´ warten müssen, und wer Moreans Stimme nicht auf Anhieb wiedererkennt, dem wird spätestens, wenn V. Santuras sphärisch-kalte Gitarrenmelodie einsetzt, klar, dass das hier nur dieses einzigartige, bayrische Quintett sein kann. Diese Gitarre nimmt einen fast erzählerischen Raum ein, und ist bei DARK FORTRESS so eigen und speziell gestimmt, dass man ihre Arpeggios stets aus allen Produktionen heraushören würde. Santura gehört als Musiker wie Produzent – auch diesen Albums –  zu den aktuell umtriebigsten Geistern in der Szene, und hat der Platte seinen Stempel aufgedrückt wie selten zuvor – zusammen mit viel-mehr-als-Sänger Morean. Wer wie ich beim unantastbaren Vorgängeralbum ´Venereal Dawn´ das Schlussepos ´On Fever‘s Wings´ aus Moreans Feder (und mit Safa Heraghis Stimme – genau diese drei haben auch beim Jahrhundertereignis CELTIC FROST/TRIPTYKON ´Requiem´ mit Tom Warrior zusammengearbeitet…) in Dauerschleife gehört hat, weiß, wovon ich spreche: Santuras Gitarre spricht zu uns, wie es Träume tun, wie es sonst nur das Unbewusste kann. Sie erschafft einen Raum, angefüllt mit Emotionen und Erinnerungen, expansiv und dynamisch wie der Kosmos selbst, und genau so voller Lichtblitze wie tiefster Schwärze.

 

 

Mehr denn je hat man den Eindruck, dass die Gitarren und Keyboards die eigentliche Geschichte gleichzeitig erzählen als auch illustrieren, und Moreans Lyrics sie eher kommentieren – und damit das Schicksal des Beobachters fortspinnen, der am Ende von ´Venereal Dawn´ (und damit auch der Menschheit) als pures Licht, als körperlose Entität wiedergeboren wurde, und seitdem das kosmische Geschehen von dieser Warte beobachtet. ´The Spider In The Web´ berichtet hiervon, und der dritte Song von ´Spectres From The Old World´ geht zuerst so straight nach vorne los, dass er ein perfekter Einstieg für all diejenigen ist, die Platte oder sogar Band erst einmal antesten wollen. Ein Einstieg mit fetten Riffs, Breitwand-Keyboards und vor allem Seraphs unglaublich tightem, kraftvoll-galoppierendem und dabei glasklar herausgearbeitetem Drumming wird überstrahlt von Moreans expressiven Vocals, um nach einem Drittel des Songs auf einmal fast zum Stillstand zu kommen, und eine Bühne zu bieten für diese einsam-melancholischen, klagenden Gitarren und den einlullend-flüsternden Gesang, bis es mit einem Ausbruch an Arpeggios dort weitergeht, wo vor dieser kurzen Atempause begonnen wurde, nur um zum Ende nochmals allein die Gitarren sprechen zu lassen, bevor alles in einem stampfenden Auszug aus der Arena endet. Wem das zu schlicht war, dem sei gesagt, dass dies trotz aller Größe lediglich DARK FORTRESS für Anfänger war – und wer nun angefixt ist, für den ist hier noch viel mehr im Sack.

Seien es Black Metal-Brecher mit Hochtempoblasting und Keif- bis Growlgesang (´Coalescence´, ´Pazuzu´ bietet zudem noch Kehlkopfvocals und Thrashriffing), dramaturgisch starker Spannungsauf- und -abbau (der Titelsong mit seinen explosiven Hochgeschwindigkeitsausbrüchen), große, ausladende Melodik (´In Deepest Time´) oder ein fast schon kraftmetallischer Stampfer wie ´Pali Aike´ – ´Spectres From The Old World´ bietet eine Menge Abwechslung, und hat die festzementierte Einordnung in Black Metal endgültig hinter sich gelassen, dabei paradoxerweise trotzdem eine so schwarze Seele wie die großen skandinavischen Genre-Blaupausen der 90er. Für mich ist ´Isa´ schließlich, zusammen mit ´Pulling At Threads´, das feingesponnene, kaleidoskopisch flirrende große Epos dieser Platte, die so viel direkter, packender und auch positiver daherkommt als ihr Vorgänger. ´Isa´ schließt musikalisch und auch von der Grundstimmung her passgenau dort an, wo die Band vor sechs Jahren mit einem Magnum Opus aufhörte. Und es bleibt persönliche Geschmackssache, was man vorzieht – diese hier ist auf jeden Fall eine genauso komplette und dabei deutlich eingängigere Platte als ihr noch düsterer und melancholischer Vorgänger. Ich möchte sie gerade auch jedem, der auf den kühl-kosmischen progressiven Deathmetal von OBSCURA oder auch symphonische Vertreter wie SEPTICFLESH steht, sehr ans Herz legen, denn eleganteren Extremmetal werden 2020 nur wenige spielen.

DARK FORTRESS gelingt mit ´Spectres From The Old World´ die Quadratur des Kreises: technisch hoch anspruchsvollen, traditionell-kalten wie bösartigen Black Metal, der gleichzeitig von Blastbeats, treibenden Midtempo-Rhythmen und großen, einprägsamen Melodien lebt, so mit einem mitreißenden Songwriting zu verquicken, dass Ohrwürmer mit einer immer weiter expandierenden Atmosphäre entstehen, die den Hörer einlullend in ein tiefschwarzes Loch ziehen. Unterstützt von der einmal wieder höchst ausgefeilten und klaren Produktion in Santuras „Woodshed Studio“ zeigen die Bayern einmal wieder ihre Meisterschaft, ganz unterschiedliche Dynamiken und Stimmungen aufzubauen, und Songs zu schreiben, in denen man sich endlos verlieren kann. Sie bieten sowohl dem anspruchsvollen Progressivhörer das exquisite Futter, nach dem er giert, und gleichzeitig eine abwechslungsreiche und unterhaltende Platte, ohne jemals auch nur annähernd ins Seichte abzudriften – und diese Kombination ist wirklich kompositorische Königsklasse.

(9 Punkte)

 

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