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YOB – Our Raw Heart

2018 (Relapse Records) – Stil: Doom


Wie oft hört ihr neue Veröffentlichungen durch? Mehrmals – mit wachsender Begeisterung? Richtig: Immer seltener… Liegt wohl daran, dass auch im Metal-Bereich durch Streamings via Spotify & Co. den selektiven Hörgewohnheiten entsprechend gearbeitet wird – effizient und ökonomisch ausgerichtet. Das heißt: Die Sahne zu Anfang, dann kommt vielfach nur noch Füllung. Manche aber scheißen auf diese Formel. YOB zum Beispiel.

Von diesem US-Doom-Trio, seit 1996 aktiv, gibt es ohnehin keine mittelmäßigen Alben (schlechte sowieso nicht). Aber was sie auf ´Our Raw Heart´ bieten, ist Lied für Lied außergewöhnlich – auch gemessen an ihrem Oeuvre. Vorweg: vielleicht die Platte des Jahres. Sofern man harte Musik mit viel Gefühl und spielerischem Geschick bei minimalen Mitteln zu schätzen weiß. Epik, Tiefgang, einzigartige Gitarrenarbeit: Daran fehlte es auch den Vorgängerwerken nicht, insbesondere das 2014er-Werk ´Clearing The Path Oo Ascend´ war schon nah dran an einem Meisterwerk.

Man kann die Grandezza von ´Our Raw Heart´ wohl zu einem Gutteil mit den jüngsten gesundheitlichen Höllenritten von Mastermind Mike Scheidt erklären. Dieser durchlitt mit Divertikulitis eine lebensbedrohliche Erkrankung des Dickdarms, die ihn monatelang ans Bett fesselte und seinen im Lauf der Jahre durch Drogen und Medikamente schon beanspruchten Körper stark schwächte. Ungewiss war, ob er jemals wieder zu seiner Berufung – als Musiker mit Herz und Seele – zurückkehren konnte. Konnte er. Dank der Unterstützung auch aus der Szene. So erhielt er von einem Gitarrenbauer ein eigens geschaffenes Instrument, das ein gewisses Gewicht nicht überschritt. Nur damit durfte er mit ärztlicher Duldung musizieren. Und weil Scheidt nicht wusste, ob dies seine letzten Möglichkeiten mit einer Sechssaitigen waren, komponierte er wie im Wahn. Jedes Riff hätte das letzte sein können, jeder Lick bald ganz unmöglich, weil der Körper einfach nicht mehr mitmacht. Alles wendete sich dann zum Besseren – mit dem Ergebnis, dass ´Our Raw Heart´ künftig im Doom Metal als Referenzwerk dienen wird. Und seinen Platz verdient hat im Olymp – unter anderem neben BLACK SABBATH – ´Master Of Reality´ (1971), CANDELMASS – ´Epicus Doomicus Metallicus´ (1986) und SOLITUDE AETURNS – ´Beyond The Crimson Horizon´ (1992).

Zwei Glanzlichter zum Überzeugenlassen, wenn ihr keine vollen 73 Minuten habt, vorerst nur Reinschnuppern könnt: ´The Screen´ lässt mit Stakkato-Riffing die alte OBSESSED-Schule aufleben – mit einem intensiven Chorus bzw. einer Coda, der auch NEUROSIS gut zu Gesichte stünde. Exzellente Gitarrenarbeit on top. Oder diese Doom-Ballade, die euch das Herz zerreißen wird: Fast 17 Minuten lang zeigt ´Beauty In Falling Leaves´, was Ausnahmemusiker zu Stande bringen, die Emotionen und Extreme authentisch verarbeiten und so kreativ wie versiert ausbalancieren können, dass die Harmonien nahezu jeden Zuhörer ergreifen, jedes Mal aufs Neue. Da dürften höchstens nur noch WARNING mithalten. Das ist große Kunst – und verdeutlicht: Was dich nicht umbringt, macht dich nicht nur härter, sondern auch noch sensibler für das, was du am besten kannst. YOB zeigen auf ´Our Raw Heart´, dass sie ihre Talente jetzt voll ausschöpfen. Und wir sind dankbar.

(9 Punkte)