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PALLBEARER – Heartless

2017 (Nuclear Blast) Stil: Doom / Metal / Progressive Rock


 

„Der Pfad der Gier führt unweigerlich zu Elend. Auch wenn ein höheres Bewusstsein uns erlaubt hat, uns einen neuen Weg durch den Dreck nach oben zu bahnen, fanden wir doch schnell neue Möglichkeiten, uns gegenseitig auszunutzen. Und letztendlich zahlen wir nur für unsere Selbstsucht. Schließt Euch unserem Klagelied an, das all die Dinge beschreibt, die hätten sein können.“

Na, aber sicher doch! Wenn das Klagelied aus dem hohen Hause PALLBEARER ertönt, haben die Spatzen der Metal-Welt zu schweigen. Mit ‚Heartless‘ präsentiert uns das Quartett aus Little Rock/Arkansas nach der letztjährigen ‚Fear And Fury‘-EP mit interessanten Interpretationen von ‚Over & Over‘ (BLACK SABBATH) und ‚Love You To Death‘ (TYPE O NEGATIVE) nun also sein drittes abendfüllendes Werk. Eine 61-minütige Reise durch die Landschaften der menschlichen Seele, niemals klischeehaft, stets berührend – ob in den schattigen Tälern der Melancholie, den schroffen Felsen der Aggression oder an den sonnengetränkten Ufern der Hoffnung. Komplexe, in ihrer Detailfülle fordernde Musik, auf die man sich einlassen muss, um belohnt zu werden. Idealerweise unterm Kopfhörer hinter herabgelassenen Augenlidern.

Klar, diese Gebrauchsanweisung, galt auch schon für den herausragenden Vorgänger ‚Foundations Of Burden‘, mit dem sich PALLBEARER 2014 geschickt vom weitgehend puristischen Doom-Metal des Debüts lösen konnten. Die Häutung bei ‚Heartless‘ besteht nun neben der textlichen Hinwendung zum (politischen) Weltgeschehen vor allem in der Eindringlichkeit der Arrangements. Manches zündet bereits beim Erstkontakt, klugerweise ist der größte „Hit“ des Albums, ‚I Saw The End‘, an erster Stelle platziert. Wie Chefsänger/Gitarrist Devin Holt und seine Mitstreiter hier nach dreieinhalb Minuten Anklage die geschlossene Wolkendecke durchbrechen, ist ein Zeugnis von echter Reife und kompositorischem Weitblick. Alles wirkt noch zwingender und dynamischer als auf den Vorgängern, sowohl im Tempo, als auch im Wechsel zwischen hartem Riffing und zarten Passagen, die nicht selten an die Prog-Giganten der Siebziger erinnern. Eine Entwicklung, wie sie in dieser Qualität zuletzt bei BARONESS zu bestaunen war, einer Band, die ihren Weg ähnlich konsequent verfolgt wie PALLBEARER.

Stilistische Parallelen zu den Chartstürmern aus Savannah finden sich vor allem in ‚Cruel Road‘ mit seinem mehrstimmig herausgedonnerten Pre-Chorus („My sunken hopes / Are buried deep / A revelation / Just beyond my reach“). Den finalen Teil von ‚Dancing In Madness‘ ziert eine windungsreiche Reminiszenz an PSYCHOTIC WALTZ zu ‚Into The Everflow‘-Zeiten. Den bisherigen Höhepunkt ihres Schaffens haben sich PALLBEARER indes für den Schluss aufgehoben. ‚A Plea For Understanding‘ heißt das zwölf Minuten und vierzig Sekunden lange Ereignis, das die Schwerelosigkeit von PINK FLOYD mit dem hymnischen Feuer von …TRAIL OF DEAD zu einem der großartigsten Songs der letzten Jahre bündelt. Wenn Holt im Refrain mit dem langgezogenen „I just want to give to you…“ die Tonleiter herabsteigt, möchte man den Kerl am liebsten ganz fest umarmen und der Band danken für so viel melodiegewordenen Balsam. Schon jetzt eine der Offenbarungen des Jahres.

(in Fels gehauene 9 Punkte)

Ludwig Krammer

 

Das dritte Album von PALLBEARER innerhalb von fünf Jahren, in knapp zehn Jahren des Bestehens, betitelt das Quartett mit ´Heartless´. Es ist ihr sogenanntes Make-It-Or-Break-It-Album und keinesfalls herzlos. Dennoch geizen die Herren wie gewohnt etwas mit den ganz großen, mit wirklich überschwappenden Emotionsausbrüchen.

Wenn die Nacheiferer das gewählte Vorbild übertreffen, ist es – wie im Falle von SPIRIT ADRIFT – zwar ein gutes Zeichen für den vielfältigen Nachwuchs, gleichwohl nicht angenehm für PALLBEARER. Zumindest war es keine verschrobene Entscheidung, das letzte Album von PALLBEARER mit wenigen Einlassungen letztlich zu vernachlässigen, nachdem das Debüt auch nach unzähligen Durchläufen noch kein Herzrasen verursacht hatte. Eigentlich herrscht auf allen hochgelobten Alben von PALLBEARER dasselbe Dilemma, keinesfalls DALI’S DILEMMA. Doch auf PALLBEARER ist Verlass.

Komplikationen im Beifallssturm verursacht umgehend das seltene Arbeiten mit Dynamiken, mit den wirklich großen Melodien und letztlich der spärliche Gebrauch von Refrains. Und selbst diese hätten bei anderen Bands meist höchstens zu einer Bridge gereicht. Natürlich treiben nur ganz große Könner den Hörer bereits in den Strophen zu Tränen, wie es andere nur im Höhepunkt schaffen. Leider fließen auf ´Heartless´ keine Tränen. Daher begeistern PALLBEARER zu Beginn (´I Saw The End ´) des Werkes am allerwenigsten bis in die tiefsten Poren, mit einer Mischung aus WARNING und NON-FICTION sowie zuweilen einem kleinen Buddy Lackey. Selbst ein kurzes Medieval-Einsprengsel kann ebenso die anschließende, von Sänger Brett Campbell eher in Richtung ALICE IN CHAINS getriebene Vorstellung (´Thorns´) nicht restlos retten. Im achtminütigen ´Lie Of Survival´ zeigt hingegen das Gitarrenintro Gefühl, obgleich hernach die Wolken wie aus dem WARNING-Lager ungeniert aufsteigen. Hier schaffen sie es tatsächlich, nach einem ersten angetäuschten euphorisch erklommenen Etappenziel, eine weitere Schippe Emotionen obendrauf zu packen.

Zärtlich sphärische Keys, weicher als eine 40 WATT SUN, sowie angedachte Gilmour-Saitenwanderungen eröffnen hernach eine vielmehr psychedelische, zähfließende Komposition (´Dancing In Madness´), die überraschend einen fiktiven Buddy Lackey-Abschnitt bereithält („Even alone, the wretched voice still calls, on a not too distant day, the sky is soon to fall, the wounded one may try to search for sleep, even in deepest night, the softest voice will sing“). Eine angemessene Geschwindigkeitserhöhung, feine eingestreute MASTODON-Nuancen sowie ein interessanter Abgang (´Cruel Road´) leiten über in einen rockigen Gang (´Heartless´), bevor ein echt epischer Ausklang herannaht. Dieser lange, über 12-minütige Epic-Song (´A Plea For Understanding´) schreitet nämlich gemächlich, aber effektvoll auf Patrick Walkers-Spuren voran und beendet als Höhepunkt ´Heartless´.

(7,5 Punkte)

Michael Haifl