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STEVEN WILSON – Hand. Cannot. Erase.

~ 2015 (K-Scope) – Stil: Prog Rock~


Steven Wilson, ehemaliger Mastermind von PORCUPINE TREE, ist zwei Jahre nach ´The Raven That Refused To Sing And Other Stories´ erneut mit seinem vierten Solo-Album wieder in allen Feuilletons vertreten. ´Hand. Cannot. Erase.´ führt folglich den zweijährigen Veröffentlichungsrhythmus seiner bisherigen Solo-Alben ungeniert fort. Dabei scheint diesmal der Sound des Albums geradezu das Vermächtnis seines bisherigen Oeuvres zu sein. Natürlich klingen viele Melodien nach PORCUPINE TREE, aber auch nach dem Art-Rock von NO-MAN, dem Indie-Alternative-Pop von BLACKFIELD, dem Ambient-Sound von BASS COMMUNION oder gar dem folkigen Psych-Rock von STORM CORROSION. Dennoch ist Wilson weiterhin dazu verdammt, genauso wie Sting oder Damon Albarn, immer wieder nach einer Wiedervereinigung seiner alten Gruppe, die ihn bekannt gemacht hat, gefragt zu werden, obwohl natürlich ausschließlich er auch dort die Songs sowie den Sound bestimmt hat.

Mit ´Hand. Cannot. Erase.´ hat Wilson sogar ein Konzept-Album im Sinne der alten Klassiker `Tommy´, `Quadrophenia´, ´The Wall´ oder auch moderner Art wie ´OK Computer´ kreiert, die sich alle um die Isolation des Individuums vom Rest der Welt drehten, inklusive der Angst vor dem modernen Zeitalter oder der Technologie. Ähnlichkeiten in Art und Weise, von Songs und Sound, lassen sich obendrein zum legendären Album ´Brave´ von MARILLION ziehen. Den Wunsch hingegen, einen Film-Soundtrack zu erschaffen, konnte sich Wilson bisher noch nicht verwirklichen.

Das Konzept selbst dreht sich dabei um eine 38jährige Frau, die mehr als zwei Jahre lang tot in ihrem Appartement lag, ohne dass irgendjemand sie vermisst hätte. Eine Dokumentation (`Dreams Of Life´, 2011) über dieses Schicksal der Londonerin Joyce Carol Vincent hat Wilson zu seinem Konzeptwerk inspiriert. Über eine Frau, die sich von der gesamten Gesellschaft abschottet, obwohl sie inmitten von ihr lebt. Im Gegensatz zur wahren Story, hat er für seine Geschichte ein etwas hoffnungsvolleres Ende erschaffen. Dieses Konzept lässt sich natürlich wunderbar, so wie es Wilson liebt, zur Crossover-Plattform bzw. -Promotion von Musik, Artwork, Photographie und Geschichte nutzen.

Nach dem kleinen elektronischen Ambient-Einstieg (´First Regret´) beginnt das Werk mit dem langen ´3 Years Older ´ äußerst brillant. Progressive Rock, der die RUSH der 70s anfangs fast originalgetreu nachspielt, aber ebenso zwischendurch YES-Anklänge offenbart, trifft auf die gewohnte PORCUPINE TREE-Melancholie. Oder auch, als würde sich Steve Howe von SPOCK´S BEARD begleiten lassen. Das alte Wilson´sche Rezept, melancholische Alternativsounds werden mit progressiven Feinheiten sowie einer ordentlich eingebauten Laut- & Leise-Dynamik vermischt, um in den Songs die Spannung aufrecht zu erhalten, funktioniert noch immer. Den Alternativsound treibt er anschließend im Titelsong auf die Spitze, denn eine nicht so typische, poppige Sensibilität geht in einen Refrain auf, der die letzten verbliebenen MANIC STREET PREACHERS-Liebhaber auf die Knie fallen lässt. `Perfect Life´ gewährt einen Rückblick in das Leben der Protagonistin und basiert dabei musikalisch auf Wilsons Vorlieben für Elektronik. Die gesprochene Passagen von Katharine Jenkins werden von BOARDS OF CANADA-Klängen begleitet, bis ziemlich spät Wilson selber gesanglich eingreift und „We have got the perfect life“ voller Wohlklang repetitiv vorträgt. NO-MAN könnten dies nicht besser.

Bei `Routine´ darf die israelische Sängerin Ninet Tayeb, die sich von einem ´Pop Idol´-Sternchen zu einer Alternativen-PJ Harvey-Sängerin entwickelt hat, einen Gastbeitrag leisten, obwohl die größeren Emotionen von Wilsons vordergründig unscheinbarer Stimme geweckt werden. Die nachfolgenden Songs ´Home Invasion´ und ´Regret #9´ sind untrennbar miteinander verwoben. Während ersterer sogar etwas metallenes Riffing mit heftigen Orgelklängen offenbart sowie gleich noch ein LED ZEPPELIN-Riff beisteuert, können sich im zweiten Song die begnadeten Mitmusiker von Wilson an den Keys (Adam Holzman) und an der Gitarre (Guthrie Govan) leicht schwindelig spielen. Das kurze ´Transience´ ist ein kleiner und dabei doch wundervoll elektronischer Folk-Song, der den Weg für ´Ancestral´ ebnet. Erneut bereichern RUSH-Anklänge den Sound und das erwartungsvolle Gehör, um den Longtrack schließlich mit einem längeren Solo in FLOYD´sche Sphären zu tragen. Um die Geschichte nicht allzu tragisch enden zu lassen, erklingen zum Ende ´Happy Returns´, mit einem Gastbeitrag von XTC-Gitarrist Dave Gregory, sowie das Ambient-Lied `Ascendant Here On`.

Nach dem instrumental eher ausufernden ´The Raven That Refused To Sing And Other Stories´ kehrt Steven Wilson, trotz vorgelegtem Konzeptalbum, zu einer songdienlicheren Spielweise zurück. ´Hand. Cannot. Erase.´ entwickelt zwar keine neuen musikalischen Richtungen, lässt Wilson aber weiterhin auf seinem Zenit musizieren.

(9 Punkte)