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GAZPACHO – Demon

2014 (Kscope) – Stil: Rock


Da sitze ich im alten Baumhaus, der Schaukelstuhl wiegt leicht hin und her, die Grillen zirpen in der untergehenden Sonnenröte und mein frischer Gemüsecocktail umspült herrlich geschmackvoll meinen Gaumen. Ein monströser Käfer versucht sich an der Besteigung eines für ihn gefährlich langen Zweiges, der ihn bei unbedachter Handlung in die Höhe schnellen lassen könnte. Der Wind lässt die jungen Blätter zwischen den Stämmen rascheln, doch mein Plattenspieler ist verstummt. Träge richte ich mich auf und entscheide mich für dieses neue Werk, dessen Brauntöne es fast vor dem Hintergrund des ähnlich farbigen Baumhauses tarnen könnte, von GAZPACHO. Dämon ist sein Name, ein kleiner Schauer jagt mir den verschwitzten Rücken hinunter. Das Holz knarrt bedrohlich. Gemächlich setze ich mich darnieder und lausche den Tönen, die die Nadel gleich freisetzen sollte. Mein Nachbar, gerade zugegen, versucht sich an einer Mischung aus Stechapfel und etwas Fliegenpilz, was die Nacht noch viel mehr erträglicher gestalten könnte.

GAZPACHO beginnen wie gewünscht und erwartet, zart und doch gefühlsbetont und schwingen doch schnell die New-Artrock-Keule. Für den Unwissenden reicht auch heutzutage noch die Beschreibung aus späten MARILLION zu H-Zeiten sowie TALK TALK mit den dramatischen Gefühlswallungen des New-Artrock oder auch gerne mal des Post-Rock. Sänger Jan Henrik Ohme ist bei entsprechendem Songmaterial in der Lage, wie vielleicht auch ein Peter Nicholls als einer der Wenigen, mit jedem Wort und jeder Textzeile die Gefühle spürbar auf den Hörer übertragen zu können. Emotional äußerst überbordend.

`Demon` ist ein Konzeptalbum und GAZPACHO laufen erneut zur Höchstform auf, wie zuletzt auf `Tick Tock`, dem letzten Konzept aus dem Jahre 2009. Langsam registriere ich einen etwas schalen Geschmack, mein Mund wird vollkommen trocken und schnürt die Kehle ab. Diese elende Fliegenpilz-Mischung. Doch ich sollte den Erzählstrang des Albums nicht verpassen und horche hin. Im Albumkonzept geht es um ein Manuskript, das in einer leeren Wohnung in Prag gefunden wird. Es enthält die Aufzeichnungen eines Mannes, der vorgab, seit Tausenden von Jahren gelebt und den Lauf der Geschichte durch eine böse Kraft schlechterdings verändert zu haben. Und diese böse Kraft, die dies alles beeinflusst habe, sei ein Dämon gewesen. Dieser Dämon sei dem Manne sehr nahe gewesen und hatte den Willen, dass Etwas schlechtes geschieht. Dabei flechten GAZPACHO einen Melodiestrang ein, der die ganze Erzählung zusammen hält. Kurze Balkan bzw. Klezmer-Einschübe gehören ebenso dazu wie eine Erzählstimme, die wie aus einem Grammophon schallend, mitsingt.

Während mein Nachbar in der Finsternis dahin döst, nehme ich das Cover in die Hand, das trotz der vorbildlichen Aufmachung des `Tick Tock´-Albums durch die Plattenfirma diesmal von Kscope-Records weder ein Gatefold-Cover geschenkt bekommen hat noch unverständlicherweise die Texte enthält. Vinyl-Liebhaber sollten sich also in Acht nehmen. Die Digipack-CD-Version enthält hingegen skandalöserweise alle Texte und zudem einen vorzüglichen Bonus-Song. Leichte blutdrucksteigernde Schaltfunktionen entstehen beim Anblick meines erworbenen Vinyl-Covers in meinem Kopf. Mittlerweile fließt der Speichel wieder, er wird mehr und mehr. Solche Mischungen sollten wohl auch niemals pur geraucht werden. Erbost wecke ich meinen Nachbar, damit er eifrig einen Mitternachtsdrink zubereite kann und verkünde der schläfrigen Gestalt, das er in der letzten Stunde das beste Werk seit `Tick Tock` verpasst hat. Orgiastisch. Orgastisch. Ein erneutes Meisterwerk. In aller schnelle kritzele ich ihm die wahren Songtitel von `Demon` auf einen flattrigen Zettel:

1. I’ve Been Walking Part 1: No Holy Land
2. I’ve Been Walking Part 2: Down A Rabbit Hole
3. Eleven Hours & I Can´t Sleep
4. I’ve Been Walking Part 3: A Sycamore Tree / Not This Tide
5. I’ve Been Walking Part 4: No El Dorado / Deck The Halls
6. Death Room Part 1: Obsolete Bittersweet
7. Death Room Part 2: Disguised And Counterfeit
8. Death Room Part 3: The Ideals Were Wrong
9. You´ll Never Get To Me (Bonus)

(9 Punkte)