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VITSKÄR SÜDEN – Vessels

~ 2024 (Ripple Music) – Stil: Wave/Psych/Space ~


Diese Band aus Kalifornien ist mit ihrem dritten Album, dem zweiten bei „Ripple“, wieder eine fantastische Ausnahme zur genretechnischen Regel dieser Plattenfirma. Wo sich ansonsten von den alten 70er Helden beeinflusste Hardrock-, diverse recht originelle Stonerrock- und Sludgemetal-Bands, sowie viele Kapellen aus dem Bereich Doom und Classic Metal bis hin zu 80er beeinflussen Crustcore-, Speedmetal-Crossover-Abenteurertruppen tummeln, sind solche nicht direkt in Unterschubladen zu steckende und aus der Reihe tanzende Acts stets eine Herausforderung.

Natürlich, denn entweder passt es oder es passt eben nicht. Ich muss nicht lange überlegen, denn was hier an Elementen aus entspannten Gothic Rock, 80er Jahre beeinflusstem New Wave Rock, die Betonung liegt immer auf Rock, dazu spacigen und psychedelischen Aspekten und sogar hier und dort elektronischen Spielereien geboten wird, packt mich auf ganzer Linie. Dann ist sind Songs voller Schönheit und erfüllt mit Melodien, welche den Hörer mit ihrer Tiefe und ihrer magischen Ausstrahlung vollends aus der Realität wegbeamen.

Rhythmisch oft quer gedacht und verspielt, aber stets so entspannt dargeboten, dass man sich auch als weniger dem Underground verschriebener Musikhörer dem Beat hingeben mag, bauen die Amis Songs mit geheimnisvoller Aura um diesen Beat herum. Ich liebe die häufigen langgezogenen Gesangslinien, mit denen die Stimme sehr charismatisch beeindruckende Bilder in die Seele malt.

Mal ist dies eine Szenerie, wo man fesch gekleidet an einer Cocktailbar sitzt und auf den Golf von Mexiko in der Abenddämmerung hinausblickt, in der Ferne mystische weiße Schiffe erkennend, die mit aufgeblähten Segeln über den Rand der Welt zu fahren scheinen.

Wenn man Lovecraft Geschichten einen Soundtrack mit weniger abseitiger Musik verpassen sollte, dann käme man vielleicht auf solche Stücke. Und der spacige Hit ´R’lyeh´ bezieht sich dann auch direkt auf den CTHULHU-Mythos. Pulsierende elektronische Beats und Bassfiguren treffen auf schwebende Gitarrenläufe mit düsterem, aber eingängigem Ausdruck und episch verträumtem Flair, die sich aus dem Schweberprog der 70er und dem Postpunk und verspielterem Gothic Rock der 80er bedienen, aber einen vollkommen eigensinnigen Dunkelpop erschaffen.

Ebenso gothisch und hypnotisch mit elektronisch klingenden Drums kommt das morbide ´Through Tunnels They Move´ sofort danach. Dabei hat es eine elektrisierend intensive Ausstrahlung, wie ein Tanz mit der Schlangenbeschwörerin bei „From Dusk Till Dawn“. Die Gitarren umtanzen wollüstig, auch mal mit etwas grimmigerer Wollust den Rhythmus von Bass und Drummaschine, darüber beschwört der Sänger andächtig unnennbare Wesenheiten.

Der abgeflogenere und und psychedelischere Gothic Sound der 80er dürfte auf jeden Fall bei dieser Band sehr hoch im Kurs stehen und wurde natürlich so erfrischt, aufgepeppt und mit weiteren Ideen gespickt, dass ich zwar eselsbrücken zu den alten Helden bilden ließen, man von diesen jedoch nur ganz vage auf konkrete Einflüsse schließen könnte.

So ist diese Platte in den meisten Augenblicken ein fiebriger Albtraum an schwebend eingängiger Rockmusik. Denn die morbiden, makabren und gar abseitig biestigen Elemente sitzen hier in der Tiefe.

Manchmal bin ich schon geneigt, hiermit tiefer grollender Stimme ein lautes „Dawnrazor“ zu schmettern, aber das hier geht weiter fort. Und wie oft fliegt diese Musik weit hinaus und wie oft singen dir die Lead-Gitarren wie tief unter der Meeresoberfläche lebende gewaltige Urwesen vom schlafenden alten Gott in der versunkenen Stadt vor. Zuweilen zähflüssig und langgezogen, wie man es ansonsten eher von den schwereren Gruppen auf „Ripple“ kennt.

Ich fühle mich hier nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber das hier ist eine Platte, die zu den besten und eindringlichsten gehört, welche ich in den letzten Jahren habe erleben dürfen. Nach dem fast progressiven Sludgegrunge der Norweger HÅNDGEMENG ist dieser postpunkige Desertspacegoth aus Kalifornien wieder solch ein großartiger Ausbruch aus Konventionen.

So ist der bezaubernde Mariachi Postpunk-Walzer ´Everyone, All Alone´ mit seinen mystischen und fast schon typischen Gitarrenmelodien voller mexikanischer Wüstenhitze, welche jedoch in den Bewegungen der einzelnen Noten auf fast schon gruselige Weise verlangsamt scheinen, eine dieser machtvollen heimsuchenden Nachtmahl-Nummern. Ganz verruchter Seelenfick, pardon.

Wie 2023 bei den Norwegern sind auch diese Amis hier alleine mit einer Höchstnote adäquat bedacht. Und auf jeden Fall wird dieses Album mein Zuhause nicht selten in eine abartige und abseitige Spelunke an einer staubigen nordamerikanischen Wüstenstraße verwandeln, wo Kreaturen von unaussprechliche Düsternis auf dich warten.

(10 Punkte)

 

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https://vitskarsuden.bandcamp.com/album/vessel


(VÖ: 17.05.2024)