PlattenkritikenPressfrisch

ADVENTURE – Tales Of Belle Pt. 1 – Across The Ocean

~ 2022 (Apollon Records) – Stil: Prog Rock ~


Als sie die Tracklist für das Album zusammengestellt und die Songs betitelt haben, müssen sich Odd-Roar Bakken (Keys), Terje Flessen (Guitars), Terje Craig (Bass/Vocals), Alf-Helge Lund (Drums), Elen Cath Hopen (Vocals/Keys/Flute) und Kjell Myran (Vocals) mehr als köstlich amüsiert haben. Natürlich sind die Norweger ADVENTURE für mich wieder so ein Fall von die Diskographie rückwärts erforschen (lohnt sich alleine schon wegen dem überragenden Vorgänger ´New Horizon´ – Red.). Mir ist ihre Vorgeschichte so nicht wirklich bekannt. Aber vielleicht ist ihr neues Album so eine Art ´Back In Black´, und so nennt sich der Opener ´Hell’s Belle´.

Auch wenn man musikalisch mehr als Welten auseinander ist, könnte man einen weiteren Vergleich ziehen. Beide Alben verbindet, dass die Musik recht lebensbejahend ist, textlich aber auch die eher finsteren Seiten des Menschen beleuchtet werden. Die hier besungene Belle ist eben nicht die Prinzessin aus „Die Schöne Und Das Biest“. Eher kann man sie als Kollegin von Bellatrix Lestrange erachten.

1881 wanderte Brynhild Paulsdatter Storset von Norwegen in die USA aus. Dort siedelte sie sich in Chicago an. Ihren Vornamen änderte sie als Belle, als Hell’s Belle wurde sie bekannt und berüchtigt. Sie heiratete 1884 den Süßwarenladenbesitzer Mads Sorenson. Ihre zwei Babies starben recht zügig, also war in der Nachbarschaft schnell die Rede von Gift. 1900 schließlich starb ihr Mann, der zwei Lebensversicherungen besaß. Mit dem Betrag von 5.000 Dollar kaufte sie eine Schweinefarm in La Porte in Indiana. Eine zweite Ehe folgte, kein Jahr später war auch Peter Gunness verschieden. Nach dem Brand ihres Farmhauses fand man die Überreste von elf Menschen. Was aus Belle wurde ist bis heute unklar. Ihre Geschichte aber hat bis dato einige Schriftsteller, Filmemacher und auch Musiker inspiriert. Und im Museum der La Porte County Historical Society gibt es eine Dauerausstellung über Belle.

 

 

Das jüngste Beispiel ist das hier besprochene Album. Für Prog Rock recht harsch startet das Album mit erwähntem Opener. Wer mir als erstes auffällt ist Sänger Kjell Myran. Er erinnert mich in seinem Volumen, in seiner Art zu singen, an einen meiner großen Helden. So ist ganz schnell eine Verwandtschaft zu BEGGAR’S OPERA konstatiert. Mit dem drängenden Rhythmus dürfte aber auch jeder qualitätsbewußte Metalfan seine Freude haben. Aber auch sonst ist der Sound der Abenteurer recht 70erlastig, ohne wirklich die großen Helden der Zeit zu kopieren. Sie schaffen den Spagat zwischen Moderne und Tradition, klingen auch nie verkopft, lassen in den Klängen große Gefühle zu. Noch ein wenig härter klingt ´Too Far´, das einem kurzen, dafür stimmungsvollen Zwischenspiel folgt. Plötzliche Rhythmuswechsel und Sprachfetzen auf norwegisch sorgen für zusätzliche Spannung.

Während andere auf den norwegischen Black Metal schwören, finde ich immer wieder überraschend, wie viele vielfältige Prog Rock Bands aus Norwegen kommen. Jede davon schafft es, mehr als eigenständig zu klingen. Im eigentlich ruhigen ´Come Join Me´ taucht eine kurze Passage auf, die mit ihren Percussions aus dem Schaffen der ARABS IN ASPIC, die allerdings auch der direkten Nachbarschaft in Trondheim entstammen. ´Dreams´ betört mit einem verträumten Gitarrenlead. Hier darf nun auch Elen gesanglich glänzen. Und wieder finden sich Passagen voller Dramatik. Sind das die langen Nächte im Winter, die für so viel Drama bei ADVENTURE sorgen?

Das kurze ´Haunted Wedding´ sorgt für tänzerische Momente, ehe schrille Klänge für eine gespenstische Stimmung sorgen. Neben den vielfältigen Keyboards gefällt in ´Courting – First Marriage´ besonders der singende Bass. Wenn dann noch die Chöre hinzukommen, mit diesem leicht barocken Grundton, dann darf auch einmal SPOCK’S BEARD als Vergleich herangezogen werden. Wie im Prog Rock üblich, manche Melodien tauchen auf einem Album immer wieder in immer neuen Variationen auf. Gutes Beispiel das folkloristisch klingende ´Rumours Say´. Mit ´Voices´ klingt Teil Eins auch, leider, schon wieder aus. Die Latte hängt hoch, doch die Geschichte will weitererzählt werden. Der Vorteil ist jetzt, dauert es mit Pt. 2 zu lang, kann man sich ja in die Diskographie einhören. Klingt nach einem Plan.

Erzählt wird Belles Geschichte wie ein Film. Ausgehend von der Entdeckung der Leichen wird in Rückblenden zurückgeschaut. Gründe und Erklärungen sind zu finden in ihrer Biographie. Die Kindheit in Armut, die Auswanderung über den Atlantik, die Einsamkeit in der Fremde, das alles mag die Taten erklären. Entschuldigt wird nichts, selbst wenn Zeilen wie „Voices – They are everywhere. All the time, any time. Someone – hides beneath that wall. From me“ für eine Erkrankung der Seele sprechen.

Noch einmal zum Sound der Band ADVENTURE. Zwischen düster, dramatisch, lebensfroh und tänzerisch, bieten sie genau den Sound, der auch zu einer meiner Lieblingsserien passen würde. Tatsächlich würde es mich kaum erstaunen, in einer der folgenden Staffeln der norwegischen Dystopie „Beforeigners“ einen Song dieser Band zu entdecken. Verdient wäre es allemal. Eine Idee zum Schluss. Wenn ADVENTURE live spielen sollten sie den Song ´Hell’s Belle´ mit dem Schlagen einer Glocke einläuten.

Von mir gehen schon einmal 9 Glockenschläge an den Trondheim Fjord.

 

https://www.facebook.com/Adventureprog


(VÖ: 22.04.2022)