PlattenkritikenPressfrisch

BORIS – W

~ 2022 (Sacred Bones) – Stil: Shoegaze/Drone/Sludge/Experimental ~


Ein großartiges BORIS-Album gibt es meistens in zwei unterschiedlichen Geschmacksrichtungen: entweder sind es titanische Stoner-Suiten, mit polternden Gitarren, heftigen Drones und hallendem Feedback. Oder es sind weit ruhigere Klangwelten, die sich in experimentelleren Gefilden austoben, sei es im Shoegaze, im Ambient oder Psychedelic.

´W´ ist jedenfalls ihr mittlerweile sage und schreibe 27. reguläres Studioalbum seit 1996, und gerade während ihrer COVID-bedingten Tour-Auszeit waren die Japaner besonders eifrig, mit etlichen Split-Releases und Singles sowie einem Beitrag für ein Weihnachtsalbum, auf dem sie WHAM!s ´Last Christmas´ coverten.

Ihr nun vorliegendes neuestes Werk ist als Begleitstück zum hervorragenden 2020er-Release ´NO´ gedacht, und quasi als Ausgleich zu dessen Sludge-Punk-Wut, die eines der stärksten und härtesten Alben des Nippon-Trios hervorbrachte. Auf den ersten Blick ist ´W´ insofern auch deutlich mehr BRIAN ENO als DISCHARGE bzw. auf die eigene Albumhistorie referenziert: mehr ´New Album´ als ´Heavy Rocks´!

Prinzessin Wata übernimmt hierauf bei nahezu sämtlichen Songs den Gesang, zugleich ätherisch und hypnotisierend – ein zarter Sopran, der oftmals wie ein Ruf aus dem Jenseits klingt. Das Album ist insofern vor allem auch eine praktische Erinnerung daran, dass BORIS jedes Mal, wenn sie den Stoner-Rammbock, wie etwa bei ´The Fallen´, hernehmen, genauso geschickt in den leisen und kontemplativen Momenten a la ´Icelina´ sind.

 

 

´W´ wirkt gerade dann, wenn die Band diese Stimmungen in Schnappschussversionen ihrer langjährigen Arbeit zusammenfügt: ´ I Want To Go To The Side Where You Can Touch…´, ´Old Projector´, sowie das neunminütige Herzstück ´You Will Know (Ohayo Version)´ sind raffinierte Mikrokosmen aus Builds und Drops, Dunkelheit und Licht, die zeigen, dass BORIS ihre besondere Art von Transzendenz auch ohne eine allzu lange Laufzeit erreichen können.

Allerdings zeigen sich hierauf immer noch einige Spuren von ´NO´, wie beispielsweise beim massiv-sludgigen ´You Will Know´ oder dem schroffen ´Old Projector´, wo die Percussion eher als Schmuck denn als leitender Rhythmus dient, und große Hallwellen und das Krachen eines Gongs meilenweit hinterherdröhnen.

´W´s Shoegazer-Qualitäten liegen jedenfalls irgendwo zwischen Binaural Beats und Drone Metal und sind reich an destillierten Stimmungen, und hinter den meisten Songs steckt auch ein Hauch von Erschöpfung, gepaart mit dem buchstäblichen Zusammenbruch.

Das Album bringt BORIS` lautere Texturen zu neuen Höhen und nutzt insbesondere Watas Gesang, um den Zuhörer einzulullen und in einen tranceartigen Zustand zu versetzen. In einer Zeit, in der Müdigkeit weit verbreitet ist und COVID nach wie vor unaufhaltsam wütet, wünschen sich zweifellos viele von uns nichts mehr, als komplett abzuschalten – und die drei Japaner liefern eine nahezu ideale Soundumgebung dafür.

(7,5 Punkte)


(VÖ: 21.01.2022)