~ 2021 (Clouds Hill/Warner/ADA) – Stil: Industrial/Postpunk/Avantgarde ~
Sie sind GEWALT und bereit, sie suchen das Paradies. GEWALT sind Helen Henfling (sang bei der Postpunkband LOOKBABY/Gitarre, Percussion, Gesang), Jasmin Rilke (fingerte bei der Indie-Band AIVERY/Bass, Percussion, Gesang), Patrick Wagner (kämpfte bei SURROGAT/Text, Gitarre, Gesang) und LMMS (Schlagzeug). Sie gründeten sich 2015 in der Besetzung DM1 (Schlagzeug), Helen Henfling, Patrick Wagner und Yelka Wehmeier (Bass) in Berlin, spielten das „Haldern Pop Festival“, das „Spacefest“ in Polen, eine Headlinershow im Berliner SO36 und neun Vinyl-Singles ein. Sie begleiteten obendrein Jack White auf seiner Deutschlandtour.
Jetzt lautet die Überschrift „Die Verdichtung der Unmöglichkeit und Unentrinnbarkeit unserer Existenz.“ GEWALT denken an Liebe und Sex, während sie auf das Ende der Welt warten. Sie feiern Party, allein in der Einsamkeit, und haben keine Wünsche offen. Ein letzter Tanz und alle Körper zucken im Paradies. Sie haben es erschaffen. ´Paradies´ heißt ihr Debütalbum. Geschrieben in zwanzig Tagen in Berlin, live und ungeschnitten aufgenommen in zwölf Tagen im „Clouds Hill Studio“ in Hamburg, gemischt in zehn Tagen im „Freshly Baked Studio“ in New York und gemastert in fünf Tagen in Mannheim. Das ´Paradies´ ist da.
GEWALT haben dieses Album aus sich herausgedrückt als die ganze Welt in dieser Stille ihre Schlechtigkeit entschleierte. Ein wahnsinniger Versuch, das Unmögliche unmöglich zu richten. Für die ganz Harten halten GEWALT sogar das Unüberbietbare bereit. Ein zweites Album aus dem ´Paradies´ vereint die ersten fünf Jahre der GEWALT und übergibt die Jahre 2016 bis 2020 aus den neun Singles schlüsselfertig. „Wir sind Sicher. Wir sind Sicher. Wir sind Sicher. Wir sind Sicher.“ – schreit es vom zweiten Paradies herüber.
Natürlich ist das ´Paradies´ der pure Größenwahn. Neben den 21 Kompositionen des Doppelalbums kann zudem das Buch von Patrick Wagner „Paradies: Gewalt“ rezitiert werden, während die 21 Kompositionen voller Maschinenbeats bersten und von Gewaltriffs zertrümmert werden.
Gewaltig feiern GEWALT die letzte Rave-Party mit allen, die dasselbe verbindet: die ´Gier´. Grollend – „Ein schwarzer Mob, der randaliert“ – beben die Beats der 90s – „Ein täglich neuer Weltuntergang“ – und lassen sich von 80s Gitarren – „Die Saat der Angst“ – zertrümmern – „Er lügt uns offen ins Gesicht“ – solange bis alle sagen: ´Es funktioniert´, denn „Es funktioniert. Ein Rettungsfond. Ihr Hungertod. Ein Flüchtlingsstrom. Es funktioniert. Ein täglich neuer Weltuntergang, solide finanziert.“ Gewaltherrschaft.
Metall schlägt auf Metall. Was kommt ist die ´Unterwerfung´, doch „der Weg ist beschwerlich, ins Ungewisse. Es wird gefährlich.“ Die Räume vibrieren in der schönen neuen Welt: „Wir sind angekommen. Du bist glücklich, du fragst: Was ist da? Nichts.“ Und du bist glücklich. Wenn dies das Leben sein soll, wenn die Hoffnung nur ein Funken ist, dann ´Stirb es gleich´. Förderlich sind sogleich Tribal Beats. Daher nicht so viel reden, wenn ein ´Jahrhundertfick´ möglich ist. Die TALKING HEADS treffen in Berlin ein: „Ugh!! Du sagst: Du redest viel zu viel. Du sagst: Gib mir den Jahrhundertfick.“ Gewaltfantasie.
Denn es braucht nicht die zehn Minuten, um die Einweisung und das eigene ´Paradies´, von außen „die Tür verriegelt“, zu erleben, eine Dauerschleife durch die Wolken einer musikalischen Kommune der Siebzigerjahre genügt. Gewaltig feiert die Dauerrezitation von „Manchmal wage ich mich unter Leute zum Beispiel zum Einkaufen oder wenn ich wo hin muss mit öffentlichen Verkehrsmitteln“ in einem Groove, den die GEWALT aus dem chilenischen Frauen-Protestsong ´Der Vergewaltiger bist Du´ herausgehört haben will. Aber alle fühlen ihn, alle wissen, dass er da ist: „Der Schmerz“. Gewalthandlung.
Gewaltig bauen die Gitarren ´Die Wand´ für immer auf: „Keiner kommt raus. Keiner kommt rein.“ Erich? Sind IDEAL wieder erwacht? „Wir stellen uns davor, und lassen uns erschießen.“ Erschießen. Erschießen. Ja, wir müssen ´Stumpfer werden´: „Du musst dich abtöten. Höhl Dich aus. Mach dich stumm und taub.“ Der Beat schlägt wieder ohne Unterlass ein. Bin ich erst erschossen, bin ich durchaus taub und stumm. „Du musst stumpfer werden.“ Im Fieberwahn – „kalter Schweiß“ – ist die Nacht um ´3:35 Uhr´ mindestens bis „6:35“ – „Gedanken kreisen sich im Kreis“ – eine reine Qual.
Einzigartig, gewaltig. Ein Gewaltakt.
(9 Punkte)
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