PlattenkritikenPressfrisch

ELECTRIC MOON – Live At Freak Valley Festival 2019

~ 2020 (Sulatron Records) – Stil: Psychedelia ~


Dave und Lulu haben wieder zugeschlagen, was sie ja dauernd machen. Wieder ist eine ihrer grandiosen Liveplatten entstanden, auf der sie mit einem Schlagzeuger verstärkt ihren mystischen, brodelnden Jamrock aufleben lassen. Ihre Stücke sind dabei keine wirklichen Kompositionen. Vielmehr entwickelt Dave „Sula Bassana“ Schmidt aus einigen Akkorden einen Beginn, Lulu steigt ein und das Schlagzeug donnert dazu einen steten, hypnotischen Groove. Dann bleibt Lulu auf einem Lauf stehen, viele Töne sind nie nötig, worüber sich Dave mit seiner Gitarre und einer ganzen Armada von Effektpedalen austobt. Mal entstehen Melodien, die Dich förmlich in sich aufsaugen, mal auch nur ein Zischen und Sausen, als würdest Du durch die Dimensionen geschleudert.

Beim „Freak Valley Festiva“l (Deutschlands beliebtestes Psyche / Stoner / Prog Festival ohne Altrockeinschlag) in Netphen 2019 haben sie mit einem sehr spacig sphärischen Stück eröffnet und die Seele des gebannt lauschenden zuerst in einen Sternenrausch versetzt. Lulu wabert etwas mit dem Bass herum, Dave lässt seine Gitarre hallen, singen, zischen und zusammen erschaffen sie eine freiformatige Klangmasse, die aber eine verzaubernde Atmosphäre besitzt. Nach einer Weile dann bricht aber das Inferno in gewohnter Weise los. Heavy Gitarrensounds, ein manisch gedroschenes Schlagzeug, Lulus alles zermalmende Basswellen dazwischen und immer wieder diese spacigen Effekte. Man sieht auch ohne Einnahme von Substanzen überall kleine blaue Raumschiffe um sich herum starten. Wer dabei war, wird in einen Mahlstrom gerissen, dem er nur tanzend und umherwogend wieder entrinnen konnte. Wer dabei noch drauf war, der hat hoffentlich überlebt. Unglaublich intensiv, unglaublich durchdringend, aus der Tiefe des Körpers und der Seele heraus.

Bleibt bei einem solchen Stück etwas hängen? Soll das denn? ELECTRIC MOON machen keine Popmusik, auch wenn sie das könnten. Den alten DOORS, PINK FLOYD und JEFFERSON AIRPLANE können sie locker Paroli bieten, wenn sie wollen. Sie wollen aber nicht. Sie wollen Klangwelten erschaffen, die für ihren Moment existieren und dann wieder in der nächsten Klangwelt aufgehen. Bis zum jeweiligen großen Finale und Abklang.  ´Increase´ nennt sich das erste Stück.

´777´ schließt sich an und hat zu Beginn nach einem melodischen Wabern der Saiteninstrumente tatsächlich sowas wie einen poppigen Ausdruck, allerdings unter Tonnen von kosmischem Schmutz begraben. Und auch hier merkt man schnell, wie hypnotisch die Melodien angelegt sind und wie sie sich um die Seele schlingen. Und bald schon ist man wieder in den mystifizierenden Harmonien gefangen, die einen zu den Sternen tragen. Über 20 Minuten dauert diese Reise.

Und erneut achtzehneinhalb Minuten dauert die nächste Reise, diesmal mit satten, schweren Rockriffs und doomig verrauchtem Ausdruck eher durch die brütende Wüstenhitze bis an geheime Stellen an der Küste, wo sich die Kinder der Freiheit treffen und am weißen Sandstrand und im Schatten der Felsen hocken und sich von den Klängen der Musik davontragen lassen. Sehr wuchtig, aber auch sehr entspannt, mystisch, dunkel wird die Richtung dann und die der Hitze geschuldeten Fieberbilder in der Seele der Zuhörer versetzen ihn in schiere Ekstase. Dieses Stück ist ein einziger Fieberwahn und wer hier nicht sofort alle Zwänge und Hemmungen verliert, dem schlägt bestimmt das Herz nicht länger. Und wieder läuft es durch geschickte Tempowechsel auf ein großes Finale und einen die Seele zermalmenden Abspann hin, der einen durch die Tore des Lichts in die große, schöne Anderswelt trägt. Man hört die Menge beim „Freak Valley“ in ihrer spirituellen Verlorenheit und im vollkommenen Lustrausch schreien, wenn die Band die Wucht aus dem Stück herausnimmt und ganz geheimnisvoll klingt, bis sie förmlich in einer ´Sonic Supernova´ zu verglühen scheint.

Muss man dieses Album haben, wenn man vorherige Alben der Band hat? Machen sie nicht immer wieder alles gleich? Aber niemals. Kein Stück der Band ist gleich, nicht einmal wenn sie es nochmal spielen. Es sind hier und da Eckpunkte, die sich ähneln, aber dazwischen passiert was gerade in dem entsprechenden Moment passiert. Und wenn sie dann hier auf dem Album wie eine ächzende, nach Öl schreiende, rostige alte Todesmaschine in einer gewaltigen Werkshalle klingen, dann ist das just in der Sekunde entschieden worden. Wahnsinniges Stück, ´The Picture´.

Mir bluten Nase, Ohren, Augen, alle Sinne, das Blut ist grünlich schimmernd, manchmal ins violette driftend. Und ich fühle mich, als stünde ich zwischen all den wunderschönen Stonern und Hippies beim „Freak Valley“ und würde mit ihnen diese wunderbar wollüstige Ekstase erleben.

Die zwei kürzeren Songs, die nun folgen, runden das Geschehen ab. ´D-Tune´ schafft als schöner Heavyjamrock die Acht-Minuten-Marke nicht, hat aber tatsächlich eine den ersten drei Jamhymnen ähnliche Struktur. ´Der Mondsenator auf dem Weg zur Erde´ ist ein psychedelischer Akustikjam, wirkt etwas komponierter und friedvoller, scheint auch eher ein Bonusstück darzustellen. Eine schöne Facette dieser Band. Quasi für die ausgebrannte, blutende Seele des Hörers das Wundbalsam, kosmisch und abgeflogen auf alle Fälle und angenehm krautig.

ELECTRIC MOON sind Kult, auf ihre Weise. Liebenswert, kauzig und wunderschön. Ja, dieses Album muss man als Fan von kantig spacigem Krautjamrock mit Heavyeinschlag absolut haben.

10/10, denn für das Genre sind sie eben eine perfekte Band mit perfekten Platten.