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Die CORONA-Tagebücher

Ein Corona-Virus bestimmt derzeit das Leben, den Tag jedes Einzelnen sowie die Nachrichten rund um den Globus. In unseren CORONA-Tagebüchern lassen wir Musiker oder Szene-Volk zu Wort kommen. Heute:

 

Marek Arnold, Musiker, SEVEN STEPS TO THE GREEN DOOR, CYRIL

https://www.facebook.com/bsidemusicde/

Kürzlich las ich den Status einer Schülerin „Wegen Corona ist Papa jetzt ständig zu Hause. Wir haben sogar schon mal geredet, er scheint ganz nett zu sein!“

Gut, soweit ist es bei meinen Kindern und mir sicher nicht, aber dennoch hat man als Musiker mit recht vielen unterschiedlichen Standbeinen nie vorher soviel Zeit daheim verbracht, sogar gemeinsam Mittag gegessen oder sich einmal ohne Gedanken an die noch offenen Projekte gemütlich gemeinsam zum Mittags-Film aufs Sofa gelegt.

Und – ganz klar – vielleicht kann man das als positive Sache dieser „Corona-Krise“ einfach mal registrieren – das Leben ist etwas entschleunigt, man verbringt mehr Zeit mit den Lieben und kann sich auch um lange liegengebliebene Dinge kümmern, mal die Schränke entrümpeln, das Gartentor für die frisch eingezogene kleine Hündin bauen oder endlich die Steuererklärung anfangen. Und Musik hören oder machen.

Aber natürlich drücken einen auch Sorgen. Die Pandemie hat uns eiskalt erwischt und uns schmerzlich erkennen lassen, dass z. B. grenzenlose Globalisierung und das Auslagern von weltweiten Produktionsketten nach China seine Schattenseiten hat. Dass die Privatisierung von weiten Teilen des Gesundheitssystems vielleicht doch keine so klasse Idee war und die EU gerade jetzt ihre vorhandenen Defizite erkennen lässt und Europa partiell bereits geradezu in nationale Kleinstaaterei zurückfällt. Noch mehr Sorgen bereitet mir, wie im Schatten der allgemeine Krisensituation Entwicklungen vorangetrieben werden, die alles andere als gut für uns sind – von fortschreitender Sensibilisierung zugunsten der Bargeldabschaffung bis zu weiteren Einschränkungen von Bürgerrechten – ein Blick nach Ungarn oder Polen macht das besonders deutlich. Die Auswirkungen dieser Krise werden möglicherweise für uns alle schwere Konsequenzen bringen.

Nutzen ziehen daraus vor allem die etablierten Global-Player wie beispielsweise Amazon, auch durch eine weitere Etablierung des Online-Handels selbst in Kreisen bislang untypischer Nutzer auf Kosten kleiner und regionaler Händler. Auch eine Inflation als Folge der in unmittelbarer Abhängigkeit stehenden Finanzkrise erscheint recht wahrscheinlich. Und gerade da frage ich durchaus, wie es sein kann, dass man es zulässt, dass Hedge-Fonds in diesen Zeiten noch auf fallende Kurse wetten können… (und warum denkt man angesichts steigender Arbeitslosenzahlen und insolventer Selbstständiger nicht endlich ernsthafter darüber nach, das BGE ( Grundeinkommen ) umzusetzen – oder zumindest zu testen?) Aber ich gestehe auch offen, dass ich mich mit den Regularien und Gegebenheiten des Finanzmarktes zu wenig auskenne, um hier mitreden zu können und wahrscheinlich ohnehin zu naiv denke.

Und auch als Musiker wird man unmittelbar betroffen – fast alle meine Auftritte mit meinen Bands und Projekten bis weit in den Mai hinein sind bereits gestrichen, erste Aufträge im Studio brachen weg – beides verbunden mit entsprechenden Einnahmeausfällen – und keinerlei Proben können stattfinden – das ist tatsächlich problematisch, wenn man bspw. wie wir mit SEVEN STEPS TO THE GREEN DOOR gerade mit neuem Lin-eup Tour und Festivals vorbereiten möchte, einem die Zeit davon läuft. Unabhängig davon, dass derzeit keiner weiß, welche Veranstaltungen 2020 überhaupt wieder stattfinden können.

Wer ausschließlich davon leben muss, ist hier besonders arg dran – aber mittlerweile ist dies ja in fast allen Branchen angekommen. Immerhin scheint – zumindest in einigen Bundesländern – die Hilfe tatsächlich unbürokratisch und schnell anzulaufen.

Aber – und das möchte ich dennoch in den Raum stellen – was wäre die Alternative gewesen? Eine völlig unkontrollierte Ausbreitung des Virus wäre für uns unbeherrschbar geworden, die Kollateralschäden durch nicht mehr mögliche Notfallversorgung immens und das Leid unendlich. Hier ärgert es mich sehr, wenn immer wieder diese Theorien in sozialen Netzwerken die Runde machen, dass dieser Virus doch so viel weniger Opfer bringt als eine normale Grippe und wesentlich mehr Menschen an anderen Krankheiten sterben. Dabei wurde immer wieder von allen Seiten belegt und betont, dass nicht die Erkrankung an sich, sondern vor allem eine zu schnelle Ausbreitung das Problem darstellt und das Gesundheitssystem zum Erliegen bringen könnte, wie wir schmerzhaft in Italien schon mit ansehen mussten.

Und da habe ich immerhin erstmals seit langem das Gefühl, dass hier international sehr stringent und zielorientiert zusammengearbeitet wird, von Politik ( und das fällt mir schwer zu schreiben, da nicht unbedingt ein Fan dieser derzeitigen Regierungskonstellation 😉 ) bis Wissenschaft, Virologen und Ärzten.

Nun habe ich – obwohl weder Philosoph, noch Wissenschaftler oder Politologe  – viel zu viel über Sachen geschrieben, über die ich gar nicht schreiben wollte.

Eigentlich aber wollte ich eines schreiben: nutzt die Zeit, um zu entschleunigen, aufzuarbeiten, zu genießen, auszuruhen, kreativ zu sein, regional zu kaufen, wo es derzeit möglich ist, und Musik zu hören oder machen! Ja, Musik – sicher blieb gerade dafür auch in Eurem stressigen Alltag wenig Zeit. Jetzt ist dafür Gelegenheit!

( Und man kann denen nicht genug danken, die in diesen Zeiten so viel für uns leisten. Im Gesundheitssystem, im Einzelhandel, auf den Lastwagen, in Pflegeheimen und und und.

Und jetzt ist die Gelegenheit, angesichts der deutlich gemachten Verantwortung endlich auch über eine anständige Vergütung vor allem dieser Berufe zu reden, die bislang zu weit hintenanstehen. Dass man dies nach wie vor nicht zum Thema macht oder für unfinanzierbar hält, beispielsweise aber die jährlichen Staatsleistungen an die Kirchen, die es als unmissverständlichen Verfassungsauftrag bereits seit 100 Jahren zu Unrecht gibt, beibehält, erschließt sich mir nicht. )

Ich habe die letzten Tage auch genutzt, um kreativ zu sein, zu bleiben. Endlich die Homepage überarbeitet ( www.bside-music.de ), einen Bandcamp-Shop ( https://marekarnold.bandcamp.com ) eingerichtet, um meine Musik auch an den Hörer bringen zu können und in diesen Zeiten vielleicht hin und wieder zumindest ein paar der Einnahmeausfälle zu kompensieren. Habe an neuen Songs geschrieben, das Studio auf Vordermann gebracht, viel mit der Familie telefoniert, war sogar mit dem Hund spazieren. Habe auch versucht, im Rahmen meiner Möglichkeiten einigen befreundeten Musikern und Veranstaltern etwas zu helfen. Und werde bald anfangen, Zeitungen in lustige Schnipsel zu schneiden, da man ja seit drei Wochen kein Klopapier bekommt.

Ich wünsche Euch dies auch – etwas Positives aus der schweren Zeit mitzunehmen.

Und vielleicht birgt diese Krise auch eine echte Chance? Die Erkenntnisse, dass ein Gesundheitssystem nicht privatisiert sein und ein Arzneimittel nicht ausschließlich aus Asien kommen sollte, man regionaler kaufen kann, Kunst und Kultur nicht selbstverständlich sind und es uns eigentlich unglaublich gut ging – und hoffentlich weiter gehen kann, Solidarität – die wir derzeit vielerorts bewundern können – Mut und Zuversicht spenden, in einer solchen Situation alle näher zusammenrücken, obwohl mit 2m Sicherheitsabstand.

Und mehr Musik zu hören oder machen. Erwähnte ich das schon?