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KENN NARDI – Trauma

~ 2021 (Independent) – Stil: Avantgarde Thrash/Metal ~


Anno 1993 brachten ANACRUSIS mit ´Screams And Whispers´ so manches musikalische Haus zum Erbeben. Viel zu eigenständig und Genregrenzen sprengend agierten die US-Amerikaner. Sie führten den Thrash Metal in eigene, bislang unergründete Welten. Doch das Schicksal meint es mit visionären Gruppen zumeist nicht gut, ANACRUSIS verschwanden aus der Szene, nicht aber aus dem Gedächtnis.

2014 erschien Mastermind Kenn Nardi mit einem Solo-Album und durfte in jenen grauen Tagen wie ein Messias gefeiert werden. ´Dancing With The Past´ war das progressive Götterwerk und ein Klassiker vor dem Herrn. Sieben Jahre später ist es endlich wieder soweit. Seine Jünger dürfen sich auf die Knie begeben und dem Meister huldigen. Erneut hat Kenn Nardi den Begriff Solo-Werk hundertprozentig umgesetzt, indem er ein Album komplett in Eigenregie, inklusive Gesang, Gitarre, Bass sowie Sequences Drums, eingespielt hat. Und es ist ein weiteres Meisterwerk geworden.

Kenn Nardi setzt mit ´Trauma´ mehr als bei seinem ersten Solo-Scheibchen wieder beim Thrash Metal von ANACRUSIS an, um diesen in neuen Weiten des Universums schillern zu lassen. Die Musik klingt wie aus einer fernen Sci-Fi-Kapsel entsprungen. Jedes Lied folgt einem anderen Ansatz und gleicht in keiner Weise dem anderen. Der ehemalige ANACRUSIS-Sänger/Gitarrist kreiert einen Sound, der einschließlich aller wiedergefundenen Härte mit orchestraler Wucht erschallt und diese spezielle sowie enorm hypnotische Anziehungskraft entwickelt. Kenn Nardi führt mit ´Trauma´ schlichtweg das Erbe von ANACRUSIS fort und brennt einen weiteren Meilenstein in seine musikalische Diskografie ein.

Dreizehn Kompositionen enthält die aktuelle digitale Version des Werkes. Sie umfasst zudem wie die in Kürze erscheinende CD-Version via „Divebomb Records“ zwei weitere neue Lieder als Bonus plus vier neu aufgenommene und überarbeitete ANACRUSIS-Songs. Die angestrebte Vinyl-Version muss ohne diese sechs Zusatzlieder auskommen.

Weitaus zielgerichteter, aber nicht weniger faszinierend agiert Kenn Nardi auf seinen aller neuesten Schönheiten. Diese präsentieren sich mehr oder weniger in einer bitterbösen Grundstimmung und lassen den Hörer fortwährend von dieser einmaligen Magie kosten. Die hypnotische Wirkung eines ´Clarion Call´ könnte natürlich ebenso unter dem Namen ANACRUSIS dieselbe Ausstrahlung zeigen. So sicher wie das Amen in der Kirche, so sicher wie die Sonne täglich aufgeht: „As sure as the sun will paint the sky.“ Wahnwitzige Gitarrenläufe zeigen sich in einem Irrlicht aus funkelnden Eindrücken.

Sind in weiter Ferne bereits die Glöckchen des Jüngsten Gerichts zu hören? ´Masquerade´ bietet mehr davon und gibt sich nur im entscheidenden Moment flotter im Schritt, verarbeitet jedoch die Angst vor der Zukunft: „The fear of the future erases the past.“ Da erscheint das womöglich den Tränen nahe gesungene ´Trauma´ zur richtigen Zeit, um die aufkommende Wut herauszulassen. Narben, Wunden oder Schmerzen, was uns nicht umbringt, macht uns nur härter. Manchmal beschleicht einen das Gefühl, KENN NARDI entspräche den GENTLE GIANT des Thrash Metal.

Klaviertastenklänge und Riff-Salven bereiten das schlicht über drei Strophen garstig wandelnde ´The Time For Tears (Dry Your Eyes)´. „It’s time to rise“ wird dabei leise gewispert und als Antwort „and dry your eyes“ herausgeschrien. In diesem Moment beschleicht einen das Gefühl, dass als einziger Vergleichspunkt die KILLING JOKE Mitte der Neunzigerjahre angeführt werden können.

Zufriedener und erhobenen Hauptes reitet ´A Reckoning´ über den sinfonischen Untergrund des Lebens und des Lernens: „In every chance you take, and every choice you make, a lesson well learned, a reckoning.“ Abermals besitzen ´Blessed Are´…“the peaceful“ und in aller Getragenheit ein faszinierendes ´Quiet Wars´ diese gespenstische und einmalige Atmosphäre. In regelrechter Garstigkeit lässt ´Shed My Skin´ das Blut aller in Wallung geraten: „When no longer angered by things we’d thought we thought.“

Sind wir aufs Neue würdig, in ein hypnotisches ´Grace Is Greater´ einzutauchen? Natürlich, denn „the blood and grace are greater.“ Und selbst wenn die Antworten ausbleiben, die Magie von ´Absence Of Presence´ bleibt. Shouts rufen in ´Light Up The Shadows´ dazu auf, dunkle Mächte aufzudecken: „lying bare their might abates as the light disintegrates, light up the shadows.“ Denn deren Lügen hören wir Tag für Tag über das ganze Dasein hinweg, das ist ´No Surprise´ – und schneller und schneller gebärt sich dabei das Inferno des Lebens.

Im finalen, elfminütigen ´The Orphan´ entblößt sich dieser garstige als auch himmlische, Seelen zum Leuchten bringende Gesang im sinfonischen Overkill, der schließlich im thrashigen Ausbruch implodiert: „Defend myself, protect myself, sustain myself, preserve myself“ im Leben, im Rückblick, in der Familie, in der „I pledged my alligiance to these parents who are only a memory.“

Kenn Nardi erweist sich mit ´Trauma´ neuerlich als Pionier. Höret!

„Liberty, my birthright, life is just lonely cage, the world is just an orphanage.“

(9,5 Punkte)

https://knardi.bandcamp.com/album/trauma

https://www.facebook.com/kenn.nardi.official/