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KIEV STINGL – Ich wünsch den Deutschen alles Gute

~ 1981 / 2017 (Sireena Records / Broken Silence) – Stil: Rock ~


Anfangs war er teuflisch, dann wurde er sanft und hart wie Mozart zugleich. Doch plötzlich wünschte der Dichter und Denker KIEV STINGL den Deutschen alles Gute. Sehr verdächtig. Was bereits im Albumtitel des 1981er Werkes wie ein Abschied klang, wurde anschließend Wirklichkeit.

´Ich wünsch den Deutschen alles Gute´ war das letzte Werk der Zusammenarbeit mit Achim Reichel und erst acht Jahre später sollte Kiev Stingl nochmals mit einem, bis heute allerletzten Longplayer die Welt beglücken.

Nach einer bemerkenswerten Deutschland-Tour 1980 wechselte Kiev Stingl zudem erneut seine Begleitmannschaft aus. Eigentlich wie beim Vorgänger kein gutes Zeichen für das einst künstlerische Qualitätssiegel. Diesmal stand ihm daher Gitarrist Achim Mennicken, Bassist Joko Osiek, Keyboarder C. Naked Lunch und Drummer Manuel Darboven zur Seite.

Gleichwohl wurde die Musik nochmals richtig aufregend und aufwühlend zugleich. Denn gemeinsam bewegten sich Band und Stingl im Geiste der Zeit als die TALKING HEADS den Großstadtdschungel beschallten und DAF die Elektronik in dessen Kellergewölben pulsieren ließ. Es war die Zeit der RAF – Restlos Alles Fraktion – und das westliche System sah schon damals den toten Afrikanern zu (´Einsam weiß Boy´). Aber kein Problem, weil Genickschuss makes you stay sleepin.

Vollends sich international gebend, verwendet Stingl durchgehend englischen und im Laufe des Werkes ebenso französischen Wortschatz. Repetitive Rhythmus- und Melodienschleifen bereiten einem ehemaligem Clubhit (´Ich wünsch den Deutschen alles Gute´) den Boden. Siebeneinhalb Minuten sind nicht erst die Maxi-Version und prangern erneut Europa sowie Deutschland in ihrem Verhältnis zu Afrika an, Links und Rechts, und die Illusion des dritten Geschlechts. Hysterisches Lachen, dicke Synthesizer-Teppiche streuen hingegen die Saat für das großartige Gespräch zwischen Gottvater und Gottsohn, zwischen Vater und Sohn aus (´Gott euer neuer Herr´). Eine bereits wieder als genial anzusehende, durchgedrehte Nummer-Gottes.

Gern darf es auch restlos psychedelisch-krank zugehen (´Mann ist Mann`), und Stingl sich den Atomslip anziehen, sowie die Modernität (´Der Tod in der modernen Welt´) ausleben. Denn le Zuchthaus dans le Monde wird von Stingl himself mit Gitarrensalven in den Abgrund von Görl-Delgado treiben. Hauptsache: Ich fühl Tod, that´s my way. Ganzgleich ob ein Gott im Westen, ein Gott im Osten existiert (´Die Helden der Zeit´), Stingl singt immer mehr Französisch und widmet sich abschließend endlich wieder in einer Kommunikation den kleinen Mädchen, glaubt wieder ein Mann zu sein und nach dem Tod, zu den neuen Göttern zugehören.

Abgefahren und überspannt, verstiegen und bizarr. Alles Gute.

(7,77 Punkte)

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