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KIEV STINGL – Hart wie Mozart

~ 1979 / 2017 (Sireena Records / Broken Silence) – Stil: Rock ~


Als dem deutschen Underground-Poeten KIEV STINGL endlich die ihm zustehende Aufmerksamkeit zuteilwird, hat sein Debütalbum ´Teuflisch´ aus 1975 (Review siehe hier) schon einige Jahre auf dem Buckel und die Musikwelt stellt sich, in Zeiten des Punk sowie der Neuen Deutschen Welle, neu auf. Endlich scheint nicht nur die musikalische Subkultur an dem besonderen Gesang und den radikalen Lyrics des Dichters gefallen zu finden, derweil Stingl längst den Nachfolger ins Visier nimmt.

Sein Zweitwerk ´Hart wie Mozart´ gelangt 1979 dagegen umgehend zu einer gewissen Berühmtheit, da das Cover-Artwork der Erstauflage dem Titelblatt des Magazins ‚Der Spiegel‘ nachempfunden ist. An der Stelle, an der üblicherweise die Auslandsverkaufspreise abgebildet sind, druckt die Plattenfirma die Telefonnummern von Prostituierten aus Hamburg ab. ‚Der Spiegel‘ ist not amused, doch die Aufmerksamkeit Stingl sicher. Provokation ist nicht selten die beste Promotion. Die aktuelle Wiederveröffentlichung durch ‚Sireena Records‘ erscheint daher auch mit dem im Anschluss genutzten Cover-Artwork, das ursprüngliche ist aber im Innenteil, natürlich ohne längst überholte Telefonnummern, ebenfalls abgebildet.

Zu ´Hart wie Mozart`, da sich Mozart weitaus besser als Marmelade reimt, holt sich Kiev Stingl eine neue Backingband, die sich aus nicht ganz so berühmten Musikern wie die des Vorgängers zusammen setzt und sich STEREA LISA schimpft: Gitarrist Andre Rademacher, Gitarrist/Geiger Holger Hiller, Schlagzeuger Walter Thielsch, Keyboarder Götz Humpf sowie Bass-Flügel-Spieler Jean-Paul Prat.

Die Musik lässt den harten Rock hinter sich und wird minimaler. Nennen wir es tiefenentspannt oder restlos drogengeschwängert. Kiev Stingl scheint zurückgelehnt, oder durchgedreht, angekratzt vom Klubsessel zu rutschen und seine lasziven Wunschvorstellungen nunmehr nicht an scharfen Bräuten, sondern an süßen jungen Mädchen (´Süß und rein´) oder gar minderjährigen (´Lila Diva´) auszuleben. Die Lou Reed- und VELVET UNDERGROUND-Vergleiche treffen nicht mehr ins Schwarze, eher ein im Rausch befindlicher Udo Lindenberg. Die Songs sind zwar eigenständiger, erwachsener, aber nicht besser geworden, einfach anders. Bei einer restlos ausgewechselten Begleitband kommt dieser Wandel nicht überraschend.

Als ewiger Provokateur und Verweigerer des Mittelmaßes wird er im Laufe der Jahre zum gefürchteten Talk-Gast, wie Klaus Kinski, und fordert schon einmal in solchen die Damen auf, ihre „Titten auf den Tisch“ zu legen, mit seinem Schwanz ziehe er nach. In den Texten fällt seine Wortwahl hingegen nicht gar so vulgär aus. Statt Geschichten und aufrüttelnder Handlungsstränge reimt er Sätze ohne sofort erkennbaren Zusammenhang, wie es in der aufkommenden Neuen Deutschen Welle oftmals üblich werden sollte, benutzt Produktnamen als Schlagwörter und englische Worte im Übermaß. Neben dem für ihn zum Hit avancierenden Song ´Lila Diva´ drehen sich viel mehr in die durchgedrehten Hirnwindungen das punkig mitnehmende ´Keine Täter´ hinein und das musikalisch vom Klavier sowie dem mitnehmenden Gesang Kiev Stingls lebende ´Einmal erröten´. Ein Werk wie ein Intimspray.

(7 Punkte)

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