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KARIN RABHANSL – Rodeo

~ 2023 (Donnerwetter Musik/Cargo) – Stil: (Mundart-Riot) Rock ~


OIDA! Des rockt! Bin ich gerade richtig? Ah, ja klar – da ist sie ja, die Karin – unverkennbar im Dialekt auf dem Opener und Titelstück ´Rodeo´ über die Verliererromantik von tragischen Helden, die noch einmal in den Ring oder eben auf’s Pferd müssen.

Da geht unvermittelt so richtig der Gaul durch und der Gedanke liegt nahe, daß der Freistaat (bzw. Karins Exil Nürnberg) ab jetzt seine eigene JOAN JETT oder SUZI QUATRO hat. Und ihre fränkischen „BLACKHEARTS“ fetzen dazu nach allen Regeln der Kunst der GIRLSCHOOL, teilweise fast sogar mit einer punkig-unverschämten Lockerheit, die eine wahrhaft ´Gute Zeit´ verheisst.

 

 

Das muss lauter! Gesagt, getan. Huch? TOTO-Keyboards? Hehe – nur zur flotten Untermalung des ´Amor´, der ein freches NDW-Rock Feeling vermittelt und dem es stinkt, daß nur noch wild herumgepoppt wird, nach der Befriedigung der Triebe doch nur der fade Nachgeschmack von Einsamkeit bleibt und die wahre Liebe eine vergebliche Suche geworden ist:

Alle 11 Minuten verliebt sich ein Single
und alle zwei Minuten, da trennt sich ein Paar.
Ooooh – schade!

Jeder will Liebe und jeder will küssen,
den besten Sex des Lebens, immer mehr, immer ja.
Ooooh – ja!

Karin hat Bock auf Party, lädt die Bläser vom Kellerkommando aus Bamberg für die nächste Nummer mit leichtem Ska-Touch ein – doch der Abend mit ´Anett´ nimmt einen unerwarteten Verlauf, bei dem unmissverständlich klargemacht werden muss:

Pfoten weg von meinen Brüsten!
Anett, sei so nett, pack die kleinen Finger weg.
Ich weiß, du hast’s nicht leicht, doch es gibt Grenzen.

Pfoten weg von meinen Brüsten!
Anett, sei so nett, pack die kleinen Finger weg
und bitte sei so lieb, sag nie mehr Tittchen!

Nein heißt nein und nein heißt nein!
Es gibt keine Ausnahme für Niemand!

Fast schon düster kommt der groovig swingende Schweinerocker ´Schaufema´ daher (das sagenumwobene Pendant zu unserem „Mann mit dem Sauerstoffhammer“ vor der Kneipe) und spätestens jetzt wird klar, daß unsere Karin zumindest auf Seite eins ihr Pferdchen hurtig für die Verfolgung der Spitzenreiter MY PRETTY RECKLESS oder DOROTHY anpeitscht, denn auch im Gesamten geben sich die Niederbayerin und ihre drei fränkischen Musketiere härter, grooviger und rockiger als zuvor. Sie bleibt sich auch diesmal treu und präsentiert ihre Geschichten zur Hälfte auf Niederbayrisch und zur Hälfte auf Hochuldeutsch.

 

 

Selbstverständlich hat man mit ´Baby lauf´ auch ein starkes Hufeisen für’s Radio im Feuer, welches bei genauerer Betrachtung sofortige Schmusegedanken wegfegt und dir das bisherige Lachen aus dem Gesicht fällt, da es zu viele Menschen gibt, die Gewalt in der Partnerschaft erfahren müssen und nicht wie hier die Kraft haben, nach vorne in eine bessere Zukunft zu flüchten.

Er nennt dich Baby, das stört dich.
Doch so schlimm ist das auch nicht.
Lässt dir sonst jegliche Freiheit,
wenig sinnlich, doch es passt.

Bald macht er dir einen Antrag,
die Hochzeit ist wunderschön.
Das letzte Lied kaum verklungen,
schlägt er zu – jetzt gehörst du ihm.

Lauf, Baby – Baby lauf, Baby lauf.
Lauf, Baby – Baby lauf, Baby lauf.

Das ist KARIN RABHANSL wie ich sie auf ihrer ersten Scheibe kennen- und liebengelernt habe. Bei allem Fun und Petzauge sind da eben die Themen, die uns alle angehen und vor denen man sich nicht verschliessen sollte. Doch nicht mit erhobenem Pseudozeigefinger, sondern Geschichten, die man nur so intonieren kann, wenn man sie selbst erlebt hat.

Daher bleibst du nach all dem musikalischen Spass und dem eigentlich wunderschönen und äusserst intensiv gesungenen Abschlußtitel ´12 Joa´ von Seite eins gebannt sitzen und hörst gedankenverloren dem stetigen Knacken der Auslaufrille zu, denn das hätte jedem von uns jeden Tag passieren können, egal auf welcher Seite des Lenkrades man sich befindet, ob die Schuld vergeben wird und man sich selbst vergeben kann:

Heid vor 12 Joa bin i in’d Probe gfoan,
Bayern 3 spoit „Hells Bells“, i drah auf.
Am Stopschoidl stehbleim, links rechts schaun,
lernst in da Foaschui, nur amoi links häd’s na braucht.

Dir geht’s schlecht und i bin schuid,
neamand außa mia kann was dafür.
Du liegst auf da Teerstroß und i hoff nur,
dass du endlich wieda schnaufst,
dass du endlich wieda schnaufst.

Nach zweimal lyrisch harter Kost wird’s zu Beginn von Seite zwei bluesig-heavy und dunkel. Okkultrock nennt man in anderen Hemisphären die Rückkehr zu ´Tod und Teufel´, dem Deal an den Crossroads und dem Streben, dem Allmächtigen doch zu gefallen mit dem Titel ´Er oder I´. Das Tauziehen von Gut und Böse wurde selten witziger beschrieben, ist doch niemand von uns sein ganzes Leben lang „nur“ auf einer Seite.

 

 

Der cool-groovende ´Misty´ könnte auf seiner Flucht einen mit den RED HOT CHILI PEPPERS trinken, während der hochemotionale Übersong ´Real´ sich mit den Ängsten im Kopf befasst, die in ähnlicher Weise von allzu vielen Menschen wie auch mir – die ihre Erfahrungen mit dem allgegenwärtigen Thema Depression gemacht haben – nachvollziehen werden können. Dazu passend wird eine beschwörende Atmosphäre bis zum Wahnsinnsausbruch im Gitarrensolo kreiert, um dann in das gefühlvoll flehende ´Gold’ne Stund’´ („… bitte bleib“) überzuleiten.

Koida Schweiß,
i foi me vafoigt, vafoigt, vafoigt.
S’Gsicht schneeweiß,
heast du, wia mei Herz schnoi schlogt, schnoi schlogt?

Gloane schwoaze Spinnen krabbeln überoi,
da Raum, der wird glei z’gloa und i kann ned weg, he i kann ned weg.
Überoi de Viecha und i frog me, hod des wos mid meim Kopf z’doa.

Und i kimm ned klar, na i kimm ned klar.

Genau das sind die Momente, die ein ohnehin schon klasse Album zu einem Überflieger machen und in meiner Wahrnehmung Karins Pferdchen an oben genannten Jockeys fast vorbeipreschen lassen. Und es gibt keine Pause. Wenn eine starke Frau sich nicht mehr vom ´Vampyr´ aussaugen lässt und nie mehr auf ihn reinfällt, dann schreit sie das genau so in die Welt hinaus und sorgt für eine weitere absolute Gänsehaut des Jahres 2023.

Du saugst – immer weiter, immer mehr.
Du saugst, meine Lebensenergie aus.
Du saugst, bis ich nur noch eine Hülle bin.

Weil du so leer bist, so unendlich leer bist.
Weil du so leer bist, so unfassbar leer bist.
Und ich falle nicht mehr auf dich rein …

Nie mehr wieder fall’ ich auf dich rein.

Auch wenn die Einsamkeit auf dem ´Berg´ kalt ist, so hinterlässt uns dieses letzte Ballädchen doch entspannt zurück nach dieser Achterbahnfahrt der Gefühle namens ´Rodeo´, welches wahrhaft ein Ritt des Lebens ist.

Host mia ois beibrocht, jeden Handgriff, der zoit.
Ned dauernd ärgern, diaf Luft hoin, so schee is d’Woid.
Imma höher, weida, i woid über d’Wolkn auße,
dabei hob i uns aus de Aung valorn.

Es is so koid drom auf’m Gipfe,
es is so einsam ohne di.
Es is so koid drom auf’m Gipfe,
es is so einsam ohne di.

Die Unterteilung des Albums in den „Abfahrpart“ und den „Nachdenkpart“ ist perfekt gelungen – rocken tut das gesamte Album, sogar ein kleines Fitzelchen Pop ist noch vorhanden.

Die Singer-Songwriterin KARIN RABHANSL lebt weiter in ihren Texten, hat sich jedoch in weitaus dickeres Leder gehüllt und setzt sich mit ihrer Band auf die Pole Position der emanzipierten Frontfrauen im Rock-Biz – und das nicht nur national.

Da kann noch kommen, was will – dieses Album wird sich Ende 2023 neben DISPYRIA in meinen Top Ten befinden.

 

 

Die dunkelbunten Milieustudien (nicht nur für Bayern) erzählen euch:

Karin Rabhansl – Gesang, Bass, Akustikgitarre
Joschi Joachimsthaler – Gitarre, Gesang
Julia Fischer – Keyboard, Gesang
Simon Weber – Schlagzeug, Gesang

 

www.karinrabhansl.de
facebook.com/rabhansl


Pics (1,2): Stefan Gnad
Pic (3): Bilderbube