MeilensteineVergessene Juwelen

IN THE WOODS – Heart Of The Ages

~ 1995 (Misanthropy Records) – Stil: Black Metal/Progressive Rock/Avantgarde ~


Ich hatte einmal diese Doppel-LP auf dem britischen „Misanthropy Label“, wie ich eben viele LPs hatte, die inzwischen weg sind. Weg, weil mich zwischendurch Black Metal-Müdigkeit, Unverständnis oder gar Ablehnung heimsuchten und ich Geld brauchte. Nun, eine CD-Wiederveröffentlichung tut es dann eben auch. Bin ich halt „untrue“. Muss ich mich vor irgendwem rechtfertigen? Szene? Vergesst es, Musik ist das was zählt.

Und so hab ich mir dann eine CD Version von diesem Wunderwerk bestellt und bin schon vom Intro hin und weg. In bester Tradition kosmischer Musik der Berliner TANGERINE DREAM- und Klaus Schulze-Schule durchdringt eine unglaublich kalte, dunkle Sternenmelodie meine Seele. Dann setzen Rockstrukturen ein, langsame Rhythmen, erst unverzerrte E-Gitarren, dann verzerrt, aber melodisch aufspielend. Wunderschöne Keyboardharmonien und heroischer Klargesang schaffen eine majestätische Stimmung. ´Yearning The Seeds Of New Dimension´, wie wunderbar episch. Über zwölf Minuten lang, immer wieder innehaltend in sparsam strukturierten Passagen, melancholisch, meist getragenen Tempos, dann aber auch wieder eruptiv und doch so melodisch erhaben, bringt uns dieser Song alles auf den Tisch, was wir an diesem Album lieben. Inklusive klirrend kalten LoFi-Sounds, arm an Bassklang, aber umso eindringlicher dadurch.

Die Musik dieser Band fußt eher auf folkloristisch-heidnischen Motiven, denn auf bestialischer Satansverehrung und Christenablehnung. Wenn IN THE WOODS in diesem Stück loslegen, dann erreichen sie schon Up-Tempo-Regionen, aber noch in moderateren Gefilden. Und dem schwarzmetallischen Gekeife setzen sie nach wie vor gerne melodisch gesungene Parts entgegen. Ist das noch Black Metal? War das jemals welcher? Da geht es ihren Landsleuten ULVER und den irischen CRUACHAN ähnlich – keine Teufelsanbeterei, sondern eher eine Naturverehrung und ein Huldigen alter heidnischer Götter. Erstere ist heutzutage bei Bands wie ALDA oder WOLVES IN THE THRONE ROOM zu einer recht hippen Geschichte avanciert. Und schlechter sind die alten Helden der Black Metal-Hochzeit da auch nicht.

Der Titelsong bringt es nur auf etwas mehr als acht Minuten, könnte eine Verbindung von treibendem Spacerock der 70er und rohem, rollendem Black Metal sein. Ich würde es fast so einordnen. Wieder haben sie den schönen Klargesang dabei. Hier nehmen sie Dich mit auf Sternenreise und jagen durch den Kosmos, aber auch hier wird immer mal innegehalten, werden schwebende und sanft dahinfließende Passagen eingebaut, die deine Seele liebkosen. Dieser Aspekt wurde wohl später etwas mehr hervorgehoben, aber außer diesem Album hab ich nie eins von IN THE WOODS besessen.

Eigentlich möchte ich die Platte lieber Epic Metal-Aficionadoes ans Herz legen, die einmal eine rauere, nordische Variante hören möchten. IN THE WOODS sind da die erste Wahl. So wunderschöne Melodien zwischen Folklore, Kosmische Musik und Progrock, wie sie immer wieder in diesen Stücken auftauchen und dann von aufwühlenden metallischen Parts abgelöst werden, packen mich zumindest tief in der Seele und ich bereue meine eingangs erwähnte Ablehnung und den Verkauf der alten Scheibe zutiefst. Tja, Pech gehabt.

Die Headbanger kommen natürlich auch auf ihre Kosten und letzten Endes ist das hier eine Metal-Platte. „Black“, darüber kann man bis zum Ende hin streiten. „Metal“ auf alle Fälle, ganz groß geschrieben. Diese bassarme Produktion mag noch am ehesten dem damaligen Black Metal-Gefühl entsprechen. Viele Geknüppelparts findest du hier nicht, dafür erstklassige Riffs und auch schräge Momente. Und wenn man denkt, es geht in Raserei, dann spielt der Drummer einen herrlichen Groove, mal eher springend und wogend, tänzelnd oder auch mal treibender, aber niemals in reines Geblaste abdriftend. Die Musiker hier sind allesamt wirkliche Könner, das hört man trotz der lausigen Produktion heraus. Und die wiederum macht dieses Album doch perfekt. Wunderbar sind die melodischen Gitarrenleads, die es von IN THE WOODS aufgetischt gibt. Ihre Musik klingt nach Underground, aber sie bleibt immer musikalisch und auf gewisse Weise schön.

Augenblicke reinen Doom Metal lassen meine innere Welt erblühen und gleichzeitig meine Seele vor Leidenschaft brennen. Ich vergesse meine irdischen Qualen vollends beim Lustwandeln im göttlichen Klanggarten, wo ich vom süßen Nektar der Liebe koste. Liebe und Hingabe zur Musik.

Im Grunde haben sie mit manchen Parts sogar die besten aller Dungeon Synth-Genremomente an Bord und diese stilistische Bandbreite, diese Vielfarbigkeit berührt wahrhaftig mein Herz. Eine Folksängerin darf mitmischen und schenkt der Musik noch eine weitere Nuance spätherbstlichen Zaubers. Dieses Album muss intensiv gehört werden, hier muss der Musikliebhaber ein – und immer tiefer in die von den Melodien gemalten Berg – und Waldlandschaften eindringen, wo er die wunderlichsten Kreaturen antrifft. Keine von ihnen ist allerdings böse.

Was für geniale Riffs und Gitarrenmelodien sie aus dem Ärmel zu schütteln in der Lage sind, zeigt uns an fünfter Stelle auf dem Album der feurige Headbanger ´Wotan‘s Return´, bei dem der schrille Keifgesang in bester Black Metal-Manier auf flottem Heavy Metal das Blut zum Kochen bringt. Dieser eigentlich hochmelodische Song mit Hymnenqualität gewinnt eine ureigene, kauzige Atmosphäre durch den wirklich schlimmen Sound. Aber da sind andere norwegische Epen aus dieser Zeit nicht besser gemacht. ULVER, die erste BORKNAGAR, zur Hölle, was hat der Typ an den Reglern da gemacht? Wahrscheinlich nicht gearbeitet.

Sei es drum, irgendwie passt alles perfekt zueinander, die Platte läuft herrlich rund und ist vollkommen in ihrer Unvollkommenheit. Ich freue mich an meiner neu erworbenen CD und kann nur jedem Freund des außergewöhnlichen Metal mit etwas räudigerer Kante raten, es mir gleich zu tun und sich dieses Album ranzuschaffen.