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BORKNAGAR – Borknagar

~ 1996/2021 (Century Media) – Stil: Black Metal/Folk/Progressive Metal ~


Was passiert, wenn ein Death Metal-Musiker der langweiligen und viel zu brutalen Ausrichtung des eigenen Genres überdrüssig wird? Na klar, er engagiert einige namhafte Talente, um eines der bedeutendsten Black Metal-Alben der 90er Jahre zu erschaffen! Oystein Garnes Brun verließ seinerzeit MOLESTED, als er das Gefühl hatte, ein Ventil für sein melodischeres und progressiveres Songwriting zu brauchen, und er fand, dass der damals gerade aufblühende Schwarzmetall am besten dafür geeignet war.

Nachdem Brun im Alleingang sämtliche Musik und Texte bereits geschrieben hatte, suchte er nach Gleichgesinnten und bildete schließlich eine Art „Supergroup“ mit Leuten von GORGOROTH, ENSLAVED und ULVER. Alleine der ausgezeichnete Ruf der Bandmitglieder bedeutete, dass sie von „Malicious Records“ unter Vertrag genommen wurden, ohne dass diese zuvor auch nur eine einzige Note gehört hatten. Krystoffer „Garm“ Rygg von ULVER übernahm den Gesang, Infernus von GORGOROTH den Bass, während Grim, ebenfalls von GORGOROTH, die Drums bearbeitete und Ivar Bjornson von ENSLAVED für die Keyboards verantwortlich war. Brun selbst leistete die Arbeit an der Gitarre und das Album wurde in den beheimateten „Grieghallen Studios“ im norwegischen Bergen eingespielt.

Das Album ist eine glühende Mischung aus Blastbeats und dämonischen Schreien, eingefangen in einem dreckigen Lo-Fi-Sound, der genauso die Trommelfelle zerfetzt wie die satanischen Gefilde, die es malt. Auf dem aktuellen ´True North´ von 2019 ist BORKNAGARs Ehe aus nihilistischer Aggression und melodischer Sensibilität bereits vollends ausgeprägt und auf elegante Weise balanciert. Auf ´Borknagar´ hingegen ist es ein Ur-Punch-Up, der mehr als alles andere der zweiten Welle des Black Metal zu verdanken ist – und Brun selbst hat die Jubiläumsversion nun sorgfältig geremastert.

 

 

BORKNAGAR schaffen es bereits auf ihrem Debüt, gleichzeitig explosiv und unberechenbar zu sein, und dabei einen Fluss und eine Geschlossenheit zu erreichen, von der die meisten Musiker nur träumen können. Der progressive Einfallsreichtum des Songwritings regt zum Nachdenken an und ist in weiten Teilen geradezu atemberaubend, wobei die Stücke eine ungemein große Bandbreite an einzigartigen Ideen und Dynamiken implementieren.

Auch wenn es an sich schon lohnenswert ist, dieses Album erneut zu erforschen, so liegt das wahre Vergnügen dieser Neuauflage etwa nicht am Remaster, sondern am Bonusmaterial, und wir erleben zum ersten Mal Live-Sessions aus den „Grieghallen Studios“ sowie alternative Mixes und Erstaufnahmen. Es ist ein Blick hinter den Vorhang, der dem Wahnsinn dieses Debüts eine Methode verleiht, und die Sessions dienen als Scheinwerfer auf die ungeheure Musikalität der Band während dieser frühen Ära und positionieren die Neuauflage als ein Stück Black Metal-Geschichte, das in seiner Zeit zementiert wurde. Wenn man genauer hinhört, werden sogar die bergigen Riffs und polyrhythmischen Strukturen des Progressive Metal erstmals deutlich, den BORKNAGAR 1997 auf dem Nachfolgewerk ´The Old Domain´ noch viel ausgeprägter kultivierten.

Mit der Veränderung des Line-Ups, der generellen Weiterentwicklung von Musiktechnologien und ihrer unentwegten Erforschung des Black Metal sind BORKNAGAR mittlerweile zu Underground-Alchemisten geworden, und diese Wiederveröffentlichung erstrahlt in majestätischem Glanz und inspiriert sowohl zum Staunen als auch zum heftigen Headbangen. ´Borknagar´ verschiebt die Grenzen dessen, was Black Metal sein kann und sein sollte, und es ist ein Album, das so ziemlich alles verkörpert, was man sich wünscht und was auf einer höheren künstlerischen Ebene gewürdigt sein muss – ungezügelte Emotionen, kühnes Risiko und durchdachte Komposition!

(9 Punkte)